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Kongress 2022

«Es geht eine Ära zu Ende und es beginnt etwas Neues»

Nachdem der SEV-Kongress letztes Jahr wegen der Pandemie nicht stattfinden konnte, wird er am 27. Oktober nach über drei Jahren wieder tagen, einmal mehr im Kursaal Bern. Geleitet wird er – wie schon im Juni 2019 – von Danilo Tonina als Präsident und Peter Käppler als Vizepräsident, unterstützt von SEV-Organisationssekretärin Christina Jäggi. Die beiden präsidieren zusammen seit Mitte 2017 auch den SEV-Vorstand. Dort vertreten sie die Unterverbände RPV (Rangierpersonal) und AS (Administration und Services), welchen sie als Zentralpräsidenten vorstehen. Interview.

Hat der Aufschub des Kongresses um ein Jahr zu einem Geschäftsstau geführt?

Peter Käppler: Die Sektionen, Unterverbände und Kommissionen konnten erst nach drei Jahren wieder Anträge einbringen. Sonst aber gab es keinen Geschäftsstau, weil der Vorstand für den Kongress einspringen kann. Das hat er vor allem mit der Wahl von Valérie Solano als Nachfolgerin von Vizepräsidentin Barbara Spalinger auf Anfang 2022 getan. Der Kongress kann Valérie nun nachträglich bestätigen.

Wie hat der Vorstand in der Pandemiezeit funktioniert?

Danilo Tonina: Wir haben online getagt, was ganz gut funktioniert hat. Trotzdem waren wir froh, als wir uns in grösseren Sälen wieder physisch treffen konnten. Denn die Delegationen müssen sich manchmal auch unter sich austauschen. Und die Qualität der Diskussionen ist nicht dieselbe, das Zwischenmenschliche geht verloren. Deshalb war für uns ein Online-Kongress keine Option.

P. Käppler: Der Vorstand hat sich an die neue Situation rasch angepasst. Und sein Zusammenhalt ist gestiegen: nicht inhaltlich, da diskutieren wir gut, aber wenn ein Entscheid mal ausdiskutiert ist, wird er auch mitgetragen. Das Bewusstsein seiner Mitglieder für ihre strategische Aufgabe ist gewachsen. In einer Firma wären wir ja der Verwaltungsrat.

Ein Höhepunkt dieses Kongresses ist die Verabschiedung von Giorgio Tuti nach 14 Jahren als SEV-Präsident: Wie habt ihr ihn erlebt?

P. Käppler: Er war kein «CEO», sondern der Typ Patron, der für alle da war. Quasi der Mister SEV für alle Mitglieder und die SEV-Angestellten. Wenn es im SEV mal Disharmonie gab, war er da und hat geschlichtet, denn er wollte nicht, dass es interne Kämpfe gibt wie in anderen Gewerkschaften. Er war sehr vorausdenkend, auch politisch, und gut vernetzt. Der SGB war ihm sehr wichtig und auch die Sektion Eisenbahn der ETF, die er ja weiterhin präsidiert. Aber er ist stets mit seiner vollen Arbeitskraft für den SEV dagewesen.

D. Tonina: Giorgio hat sich im SEV mit Leidenschaft und Freude engagiert und hat nie abgesagt, wenn wir ihn für eine Sektions- oder Delegiertenversammlung angefragt haben. Er hat viel dazu beigetragen, dass der SEV so stark ist, wie er es heute ist – zusammen mit den anderen Mitgliedern der Geschäftsleitung wie Barbara Spalinger, die an diesem Kongress ja auch verabschiedet wird, neben den ehemaligen Zentralpräsidenten Markus Kaufmann, Andreas Menet und Hans-Ruedi Schürch. An diesem Kongress geht eine Ära zu Ende und es beginnt etwas Neues!

Als einziger Kandidat für das Präsidium wurde vom Vorstand Matthias Hartwich nominiert, obwohl er nie im öffentlichen Verkehr gearbeitet hat und keine politische Karriere vorweisen kann, wie sie früher von SEV-Präsidenten verlangt wurde. Sind dies keine Nachteile für diese Funktion?

D. Tonina: Der SEV hat in den letzten Jahren eben gerade gute Erfahrungen damit gemacht, dass der Präsident nicht selber National- oder Ständerat war und dafür voll für den SEV da war. Der Präsident muss nicht selber Verbindungsmann im Parlament sein, diese Aufgabe können andere Leute im SEV übernehmen.

P. Käppler: Giorgio Tuti hat auch bewiesen, dass sich jemand ohne eigene Erfahrung im öffentlichen Verkehr gut in diese Welt einarbeiten kann. Dieses Know-how ist im Profiapparat gewährleistet. Wir haben eine Person gesucht, die vor allem das gewerkschaftliche Know-how hat und weiss, wie man eine solche Bewegung voranbringt. Welche die Basis begeistern kann und bereit ist, in diesem Job ohne Feierabend die erwartete Leistung zu bringen.

Matthias Hartwich lebt schon lange in der Schweiz und ist mit einer Bernerin verheiratet. Aber er ist in Deutschland aufgewachsen und spricht lieber Hoch- als Schweizerdeutsch. Sind das Handicaps?

D. Tonina: Dass er lieber nicht Dialekt spricht, weil das merkwürdig tönen könnte, ist völlig in Ordnung. Wichtig ist, dass er Dialekt versteht. Auch die Herkunft ist nicht zentral, aber er muss wissen, wie die Mitglieder ticken, und ihnen gut zuhören. Mentalitätsunterschiede gibt es übrigens auch innerhalb der Schweiz.

P. Käppler: In der Schweiz und auch bei den Verkehrsunternehmen haben viele Leute einen Migrationshintergrund. In den Gewerkschaften als internationale Bewegungen und auch im SEV ist es Tradition, dass alle Leute unabhängig von ihrer Herkunft mitmachen können. Wir wollen ja die Leute zusammenbringen, denn zusammen sind wir stark.

Markus Fischer
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Warum beantragen Vorstand und Geschäftsleitung dem Kongress, ab 1.1.2025 nur noch alle vier Jahre einen (zweitägigen) Kongress durchzuführen – und dazwischen jährlich mindestens eine SEV-Delegiertenversammlung?

Bisher führt der SEV jedes zweite Jahr einen Kongress durch, wobei seit 2009 jeder zweite Kongress nur noch einen Tag dauert statt zwei. Die Erfahrung zeigt, dass an einem einzigen Tag neben Wahlen, Verabschiedungen und anderen statutarischen Geschäften kaum Zeit bleibt für seriöse, kongresswürdige Debatten und Aktionen, die den Kongress lebendig machen, wie zum Beispiel 2015 der Protest mit Regenpelerinen gegen Lohndumping oder spontane Aktionen von Gruppen zu Anträgen, Resolutionen oder Aktualitäten. Zu kurz kommt an eintägigen Kongressen auch die Pflege des Zusammenhalts.

Darum würde es Sinn machen, den eintägigen Kongress durch eine SEV-Delegiertenversammlung (DV) zu ersetzen, die in den drei Jahren ohne Kongress mindestens einmal jährlich tagt und damit kurzfristiger auf Aktualitäten reagieren oder Wahlen in die Geschäftsleitung vornehmen kann. Damit würde jährlich ein SEV-Gremium tagen, das breiter aufgestellt wäre als der Vorstand. So würde die Demokratie im SEV nicht geschwächt, sondern gestärkt. Und weil die DV kleiner und weniger aufwändig wäre als ein Kongress, würden drei DV und ein zweitägiger Kongress zusammen sogar weniger kosten als die bisherige Lösung.

Zudem sind zwei Jahre für die Umsetzung der Kongressanträge und Positionspapiere eine relativ kurze Zeit, nach der oft noch keine Resultate vorliegen. Der Vierjahresrhythmus wäre auch mit der Amtszeit der Geschäftsleitungsmitglieder und mit dem Rhythmus der SGB-Kongresse abgestimmt.

Der diesjährige Kongress soll erst mal den Auftrag erteilen, zuhanden des Kongresses 2024 die detaillierten Statutenänderungen auszuarbeiten, zum Beispiel zur Zusammensetzung der DV.