Bildungstagung der SEV-Frauen 2017
Gewaltfrei leben: ein Menschenrecht!
Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites, soziales Problem. Deshalb lautete das Thema der diesjährigen Bildungstagung der SEV-Frauen «Umgang mit Gewalt – gewaltfrei im Alltag». Sie fand am 27. November im Hotel Bern statt. Ein Erfahrungsbericht.
Erst kürzlich ging der Hashtag #MeToo in den sozialen Medien viral. Als Folge des Weinstein-Skandals trauten sich tausende von Frauen an die Öffentlichkeit: Sie erzählten von ihren Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen und Belästigung.
Doch sexuelle Gewalt ist nur eine der vielen Formen der Gewalt, mit denen wir Frauen zu kämpfen haben – besonders im öffentlichen Verkehr. Bei der European Transport Federation (ETF) läuft zurzeit eine Kampagne gegen Gewalt gegen weibliche Angestellte im öffentlichen Verkehr. Diese Nachricht vernehmen die zahlreich erschienenen Frauen von SEV-Präsident Giorgio Tuti. «Erst gestern war ich im Exekutivausschuss der ETF in Brüssel», erzählt er und versichert, dass man sich auch dort für die Sicherheit der Frauen im öffentlichen Verkehr einsetzt.
40 Polizeieinsätze pro Tag
Das Thema Gewalt ist auch in einem Land wie der Schweiz allgegenwärtig. «Die Polizei rückt täglich rund 40 mal aus, allein wegen häuslicher Gewalt», erklärt Luzia Siegrist vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung (EGB) im Impulsreferat. Im Jahr 2016 wurden 17685 Straftaten registriert, dabei waren 73% der Geschädigten Frauen. «Gewalt gegen Frauen ist weltweit ein enormes soziales Problem», sagt Siegrist. Zum Schluss ihres einführenden Vortrags macht sie ein klares Statement: «Ein Leben ohne Gewalt ist ein Menschenrecht, kein Privileg!»
Was tun gegen Gewalt? Was, wenn man Gewalt erlebt hat?
Diesen Fragen gehen wir in verschiedenen Workshops nach. Jede von uns darf zwei Workshops ihrer Wahl besuchen.
«Hilfe für Gewaltbetroffene – Rechte und Hilfsangebote»
Den für direkt Betroffene wohl wichtigsten Workshop leitet Susan Peter von der Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO). Bei ihr geht es um konkrete Hilfsangebote für Menschen, die Gewalt erlebt haben (siehe Box). Bevor sie genauer auf das Angebot der Frauenhäuser eingeht, spricht auch sie die Gewalt gegen Frauen als weltweites Problem an: «Gewalt gegen Frauen kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor», sagt sie. «Sie ist nicht alters- oder kulturspezifisch». Demnach sei die Frauenbewegung eine der grössten und stärksten Bewegung der Welt.
«Gewalt im Job. Wie helfe ich mir weiter?»
Der Workshop der Psychologin Anne-Lise Schneider vom SBB Care Team findet grossen Anklang, vor allem unter den Zugbegleiterinnen. Viele unter uns haben im Alltag schon Gewalt erlebt, Pensionierte gleich wie jüngere Angestellte. Der Workshop wird zum regen Austausch solcher Erfahrungen genutzt, die Frauen ermutigen sich gegenseitig und berichten davon, wie sie selbst bedrohliche Situationen lösen konnten. Anne-Lise Schneider gibt zudem Tipps, wie man das Erlebte besser verarbeiten kann.
«Selbstschutz und Selbstvertrauen ist die beste Verteidigung»
In diesem Workshop geht es richtig zur Sache: Von Wing Tsun Trainer Martin Piper lernen wir, wie man sich in einer Notsituation verteidigen kann. «Die Verteidigung fängt schon vor dem Angriff an», sagt er und ruft uns Frauen dazu auf, aus der Opferrolle herauszukommen. Zunächst muss man klare Grenzen setzen und einem potentiellen Angreifer zeigen: ‹Ich bin kein Opfer›; sich stark und selbstbewusst geben. Dies fängt bei der Körperhaltung an und geht nötigenfalls bis zu einem schwungvollen Kick mit dem Knie, den die Teilnehmerinnen dann auch üben können.
«Gewalt (mit-)erlebt – Trauma vorbeugen – Solidarität wahrnehmen»
Etwas ruhiger setzt sich die Trauma-Therapeutin Meret Fankhauser mit dem Thema auseinander. In ihrem Workshop lernen die Teilnehmerinnen, sich von traumatischen Erinnerungen zu distanzieren. Sie lässt uns eine solche Erinnerung auf einen Zettel malen. Danach wird der Zettel an eine Wand gelehnt und man kann sich physisch davon entfernen – und vielleicht merkt man dann plötzlich, dass es einen gar nicht mehr kümmert.
«Angst beginnt im Kopf – Mut aber auch!»
Wie schon bei Martin Piper geht es auch bei der Wen-Do-Trainerin Jeanne Allemann um Mut und Selbstbewusstsein. In ihrem Workshop bringt sie den Teilnehmerinnen ihre Methode «Wen Do» näher. «Der Unterschied zur klassischen Selbstverteidigung ist, dass ich einen stark psychologischen Ansatz habe», erklärt sie. Um Mut und Selbstvertrauen zu gewinnen, lässt sie uns zum Anfang mit blosser Hand Holzlatten zerschlagen. Für Jeanne Allemann ist in Gefahrensituationen vor allem die mentale Bereitschaft zur Verteidigung wichtig: «Man kann sich nicht zu Stärke zwingen, aber man sollte darauf vertrauen, dass man eine Faust und eine Stimme hat».
Eine gewaltfreie Gesellschaft bleibt ein Wunschtraum. Trotzdem müssen wir dagegen kämpfen und uns wappnen, denn zusammen sind wir stark.
Karin Taglang
Hilfsangebote für Gewaltbetroffene
Im akuten Notfall:
Polizeinotruf 117