Der Frauenkommission geht die Arbeit nicht aus, zum Beispiel was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie betrifft
«Viel hängt von den direkten Vorgesetzten ab»
Im Hinblick auf den internationalen Frauentag am 8. März sprach kontakt.sev mit Petra Hegi, Mitglied der Frauenkommission SEV, Mitarbeiterin der Bildung SBB und dreifache Mutter, über die Gleichstellung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Frauenquoten und über ihr gewerkschaftliches Engagement.
kontakt.sev: Ist der 8. März für dich ein wichtiger Tag oder braucht es ihn nicht mehr?
Petra Hegi: Wichtiger ist in der Schweiz der 14. Juni, der an den grossen Frauenstreik von 1991 erinnert. Die Frauenkommissionen von SGB und SEV konzentrieren sich mehr darauf, organisieren aber auch an diesem 8. März wieder regionale Aktionen und Events. Der 8. März ist wirklich der Internationale Frauentag, an dem in allen Ländern Veranstaltungen stattfinden. Und das braucht es auch weiterhin, denn die Frauenanliegen sind noch nicht «gegessen». Dort, wo schon grosse Fortschritte gemacht wurden, entwickelt sich der Tag immer mehr zu einem Aktionstag für gute Lösungen für beide Geschlechter.
In welchen Bereichen zum Beispiel?
Zum Beispiel bei der Lohnungleichheit, da sind wir immer dran. Ein anderes wichtiges Thema ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auch für viele Männer, die damit ebenfalls Mühe haben und beim Familienleben auch dabei sein wollen. Dass wir im SBB-GAV 2015 den Vaterschaftsurlaub auf zwei Wochen erhöhen konnten, ist ein wichtiger Fortschritt. Im gleichen Zug wurde auch der Mutterschaftsurlaub erhöht, bei der SBB haben wir nun 18 Wochen.
Warum engagierst du dich in der Frauenkommission SEV?
Ich bin in einer Generation aufgewachsen, in der ich zu Hause lernte, dass ich alles auch machen kann, was ein Bub machen kann. Ich habe dann aber immer mehr gemerkt, dass dies für viele Leute noch nicht so selbstverständlich ist. Zum Beispiel habe ich Mühe damit, wenn man mir im Privaten und im Beruf Schuldgefühle machen will, weil ich als Mutter von drei Kindern 60 Prozent arbeite. Für mich ist das nicht zu viel, und ich möchte nicht weniger arbeiten. Ich sage dann jeweils: Fändest du es auch zu viel, wenn ich der Vater wäre? Das ist immer noch in vielen Köpfen, dass eine Mutter gefälligst nicht mehr als 20 oder 40 Prozent arbeitet. Und dass die Frauen immer noch weniger Lohn haben sollen. Das finde ich ganz schlimm. Ich habe mich bei Bewerbungsgesprächen schon für meine Lohnforderung rechtfertigen müssen, weil das ja nicht das Haupteinkommen der Familie sei... Ob das stimmt oder nicht, spielt doch keine Rolle.
Für dich lassen sich Beruf und Familie aktuell gut vereinbaren?
Ja, die SBB gibt sich da wirklich auch Mühe, doch viel hängt halt von den direkten Vorgesetzten ab oder von denjenigen, welche die Einteilung machen. Wenn man nur 40 Prozent angestellt ist, aber jeden Tag nur wenige Stunden arbeiten soll, mag das für einen Teil der Mütter zwar optimal sein. Für einen anderen Teil geht das aber gar nicht, weil sie sich dann fast wie mit 100 Prozent Arbeit organisieren müssen. Mir selber sind die Vorgesetzten bei der Teilzeitarbeit immer entgegengekommen. Mein Mann hat auch auf 90 Prozent reduzieren können und hat heute pro Woche einen fixen freien Tag für die Kinderbetreuung, obwohl er im Schichtdienst arbeitet: Solche Dinge sind wichtig zum Planen. Schwieriger scheinen es jene Mütter zu haben, deren Partner nicht bei der SBB arbeitet. Wenn dieser zum Beispiel Lokführer bei der BLS ist, dann scheint die Vorschrift nicht mehr zu gelten, dass bei der Schichtplanung darauf Rücksicht genommen werden muss. Ein Problem für manche Paare ist es auch, wenn beide Elternteile Schicht arbeiten: Wie lässt sich das dann vereinbaren?
Gibt dir auch die Möglichkeit der Telearbeit noch etwas zusätzliche Flexibilität?
Tatsächlich bietet E-Working die Chance, dass man notfalls, wenn die Kinder krank sind, ein wichtiges Telefon von zu Hause aus machen oder ein Dokument mit einem Kollegen zusammen anschauen kann. Und es ermöglicht generell mehr Flexibilität. Ich habe bei der SBB verschiedene Kontaktpersonen, die nicht alle am selben Ort arbeiten, und kann mit meinem Laptop zu ihnen gehen oder über eine Konferenzschaltung mit ihnen telefonieren, egal, wo sie gerade sind. Ich arbeite hauptsächlich in Ostermundigen, manchmal in Bern, Lausanne oder auch anderswo.
Birgt E-Working Gefahren?
Eine Gefahr ist schon, dass man ständig ein wenig arbeitet und das Gefühl hat, man müsse ständig erreichbar sein. Man muss sich wirklich auch Inseln schaffen, wo man nicht schnell noch Mails anschaut, sondern den Laptop ausschaltet und das Telefon auch. Auch mein privates Handy trage ich nicht immer mit und bin nicht immer erreichbar. Das muss unser Umfeld einfach akzeptieren, das berufliche und das private. Ob E-Working funktioniert, steht und fällt auch mit den direkten Vorgesetzten. Es scheint bei der SBB noch immer solche zu geben, die einfach sagen, Homeworking gibt es nicht, obwohl die oberste Leitung das E-Working befürwortet. Diese Ablehnung ist für mich kaum verständlich. Meine Chefin hat grosses Vertrauen in uns. Sie sagt, ihr seid erwachsen, ihr habt eine Selbstverantwortung, die Arbeit muss einfach erledigt sein. Wir haben auch Regeln abgemacht: Man darf mich unter meiner privaten Handynummer stets anschreiben, doch ich muss nicht ständig erreichbar sein. Meine Chefin hat ganz klar gesagt, dass sie das von uns nicht erwartet, weil auch sie die Gefahren von ständigem Druck sieht.
Schreibst du wirklich alle Arbeitszeit auf?
Ich habe Phasen gehabt, wo ich immer wieder in Zehnminutenblöcken gearbeitet und ein Telefon oder Mail gemacht habe, ohne das aufzuschreiben. Doch jetzt habe ich eine App auf meinem Handy, mit der ich ein- und ausstempeln und auf Pause drücken kann. Das nutze ich jetzt ziemlich konsequent. Die Arbeitszeiten sind häufig ein Thema in der Frauenkommission, denn Vereinbarkeit heisst nicht nur, weniger Prozent zu arbeiten, sondern es kommt eben auch darauf an, wie man diese Prozente arbeitet. Sobald man Schicht arbeitet, ist es für viele schwieriger.
Was ist in der Frauenkommission sonst ein Thema?
Ein Thema sind immer wieder die Rechte und Pflichten während der Schwangerschaft und deren Auswirkungen auf die Karriere. Denn schwangere Zugbegleiterinnen und Lokführerinnen dürfen ja nicht mehr auf den Zug. Und als Aushängeschild der Unternehmung haben Mitarbeiterinnen immer wieder mit verbalen und gar physischen Attacken zu kämpfen und müssen sich auch einiges unter der Gürtellinie anhören. Und obwohl sich die SBB die Frauenförderung auf die Fahne schreibt, hat sie nicht sehr viele Frauen im Kader – je nach Bereich mehr oder weniger, sodass sich die heikle Frage stellt, ob sie das dort nicht zulassen oder ob es dort weniger Frauen hat, die sich eignen.
Bist du für Frauenquoten?
Dagegen spricht, dass es nicht die Idee der Gleichstellung ist, dass man Frauen Männern vorzieht, obwohl sie vielleicht weniger geeignet sind. Das macht den Männern Angst, und «Quotenfrauen» müssten sich umso mehr beweisen. Andererseits denke ich, dass man als Frau für manche Chefs immer noch mehr leisten muss als ein Mann, um als gleich gut zu gelten, und dass es eigentlich genug gute Frauen gäbe, um solche Quoten zu erfüllen.
Lässt sich eine Karriere mit einer Familie vereinbaren?
In der Tat müssen sich heute die meisten Frauen irgendwannzwischen Karriere und Familie entscheiden, weil beides zu vereinbaren ein zu grosser Energieaufwand ist. Das ist wohl das Hauptproblem. In anderen Ländern sind die Frauen besser aufgestellt. Sehr gut wäre eine Elternzeit wie in den skandinavischen Ländern, die sich die Eltern selber aufteilen können, aber mit einer Minimalzeit, die nur der Vater nehmen soll, und zwar nicht weniger als acht Wochen. Sonst beziehen wieder vielfach nur die Frauen die Elternzeit. Es fehlt auch noch die Anerkennung der Arbeit, die Frauen während der Baby- und Kinderpause in der Familie leisten: Sie hüten ja nicht einfach Kinder, sondern managen den Haushalt, das Budget und all die Termine vom Kuchenbacken über Flötenstunden bis zum Sportverein und zu den Elternabenden. Das dafür nötige Organisationstalent wird von den Arbeitgebern zu wenig geschätzt. Einige rechnen diese Jahre bei der Lohnberechnung immerhin teilweise als Erfahrung an.
Wo setzt die Frauenkommission 2016 Schwerpunkte?
Wir haben gemerkt, dass viele Berufsfrauen nicht wirklich vernetzt sind, weil sie zwischen Beruf und Familie hin und her pendeln und meist weniger Zeit haben als die Männer, um nach der Arbeit z.B. zusammen etwas zu trinken. Darum wollen wir Vernetzungsanlässe für Frauen durchführen, und zwar nach Unterverbänden bzw. Berufen, regional und nur für ein paar Stunden, damit sie für die Frauen zeitlich drin liegen. Zudem engagieren wir uns für die Initiative AHVplus. Gerade viele Frauen haben nur eine kleine oder gar keine Pensionskassenrente und sind daher auf eine höhere AHV-Rente angewiesen.
Warum bist du SEV-Mitglied geworden?
Ich habe ein starkes Gerechtigkeitsempfinden und finde es wichtig, dass sich die Gewerkschaft für eine gerechte Behandlung aller Mitarbeitenden einsetzt. Beim SEV findet man auch Ansprechpersonen, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, und er stellt Leute, die wissen, wie man einen GAV aushandelt und umsetzt.
Dein Engagement im SEV benötigt auch Zeit: Warum machst du es trotzdem?
Mein Mann unterstützt mich dabei voll und ist auch gerne aktiv. Auch kann man im SEV sagen, wie viel man von sich gibt. Man verstand, dass ich mein Engagement auf die Frauenkommission konzentriere und wir beide uns zurücknahmen, als die jüngste Tochter kam. Ich habe diese sogar mal an eine Sitzung der Frauen und beim AS Ouest mitnehmen dürfen. Im SEV kann man auch seine «Soft Skills» trainieren. Dazu gehören neben allem Zwischenmenschlichen auch das Organisieren von Anlässen und Aktionen, man kann neue Dinge ausprobieren. Ich habe auch tolle SEV- und Movendo-Kurse besucht zu Dingen, die in den SBB-Kursen kaum behandelt werden, zum Beispiel war der Umgang mit viel älteren Chefs ein Thema.
Markus Fischer
BIO
Petra Hegi (30) wuchs in der Region Langenthal auf, machte eine Matur mit Physik und Mathematik als Hauptfächer, lernte Automatikerin und nach einer Babypause 2010 bis 2011 Zugverkehrsleiterin (ZVL) im OBZ Olten. 2012 bis 2014 arbeitete sie in der Betriebszentrale Lausanne und wurde parallel dazu Lehrmittelentwicklerin bei Login. 2014 wurde sie in die Bildung SBB «migriert» und ist heute für die Fortbildungskurse der ZVL zuständig (60%). Im SEV, dem sie 2011 beitrat, war sie Vertreterin der Jugend im AS Ouest und engagiert sich seit zwei Jahren in der Frauenkommission. Sie lebt mit ihrem Mann, der bei SBB Infrastruktur arbeitet, und den drei Kindern (8, 6, 1) in Bolligen. Hobbys: klettern mit der ganzen Familie, lesen, nähen.