kontakt.sev hat den neuen Präsidenten der Alpen-Initiative getroffen
«Wir müssen die Alpen- Initiative exportieren»
Seit vergangenem Mai wird der Verein Alpen-Initiative vom Bündner Jon Pult präsidiert. Dieser kann mit gerade mal 30 Jahren schon auf eine brillante politische Karriere zurückblicken und weiss, was er will.
kontakt.sev: Jon Pult, woher kommt Ihr Interesse für Politik?
Jon Pult: Ich habe mich schon immer sehr für alles interessiert, was mit Geschichte, Gesellschaft und Politik zu tun hat. Als ich 20 Jahre alt war, haben Freunde die Juso Kanton Graubünden gegründet, der ich auch beitrat. Zuerst mehr aus Sympathie zu meinen Freunden, doch dann hat es mich gepackt und ich bin zuerst in den Gemeinderat von Chur gewählt worden, dann als Präsident der kantonalen SP, schliesslich in den Grossen Rat, und seit diesem Jahr präsidiere ich nun auch die AlpenInitiative.
Eine Blitzkarriere …
Ich kann mich aber nicht besonderer Verdienste rühmen. In Chur ist die Linke zwar stark, aber in der Minderheit, und unsere Partei und Wählerschaft bringt einem Jungen viel Wohlwollen entgegen. Dies hat es für mich zweifellos leichter gemacht. Besonders herausfordernd und anspornend für mich war, mir Achtung und Autorität zu verschaffen in den Gremien, in die ich gewählt worden war .
Und wie sind Sie zur Alpen-Initiative gekommen?
Das Thema hat mich schon immer interessiert. Eine meiner frühsten Erinnerungen an die Schweizer Politik geht auf eine «Arena»-Sendung zur Initiative im Deutschschweizer Fernsehen zurück, in der Andrea Hämmerle und der Urner Landammann Hansruedi Stadler mit Bundesrat Adolf Ogi diskutierten. Ich war zehnjährig, doch diese Debatte hat mich begeistert, und seither habe ich die ganze politische Diskussion über Verkehr und Infrastrukturen stets verfolgt. Ich trat der Alpen-Initiative bei und wurde in den Vorstand gewählt.
Und heute sind Sie gar ihr Präsident …
Fabio Pedrina hat mich gefragt, ob ich sein Nachfolger werden möchte. Der Umstand, dass der Präsident aus einem Alpenkanton kommt, ist gut für die Glaubwürdigkeit des Vereins, und die Herausforderung hat mich gereizt.
Als Bündner dürften Sie eine spezielle Meinung zum Durchgangsverkehr haben?
Natürlich ist der Transitverkehr auch für die Bündnerinnen und Bündner ein Problem, wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie für die Urner/innen und Tessiner/innen. Das stelle ich jeweils fest, wenn ich mit Leuten aus den Gemeinden an der San-Bernardino-Achse spreche. Es stimmt, dass uns die Frage der zweiten Gotthard-Strassenröhre in eine verzwickte Situation bringt, da zu befürchten ist, dass der Verkehr während der Schliessung des Gotthardtunnels für die Sanierungsarbeiten über die A 13 umgeleitet wird. Aber gerade deshalb ist es auch für die Bündnerinnen und Bündner wichtig zu kämpfen. Wir müssen der Bevölkerung den Grundgedanken des Verfassungsartikels für den Alpenschutz in Erinnerung rufen: Der Transit-Schwerverkehr muss auf allen Achsen durch die Alpen reduziert werden, also auch am San Bernardino. Und ich bin überzeugt, dass wir die Alpen-Initiative in die andern Alpennationen exportieren müssen, die mit den gleichen Problemen konfrontiert sind.
Das Thema ist ja zurzeit hochaktuell. Wie läuft die Unterschriftensammlung gegen die zweite Strassenröhre am Gotthard?
Sehr gut. Wir haben schon mehr als 40 000 Unterschriften gesammelt. Ich bin zuversichtlich, dass wir die nötigen 60 000 Unterschriften bis zu den Festtagen zusammen haben werden, sodass wir unser Referendum in aller Ruhe einreichen können.
Die Befürworter der zweiten Röhre reiten stark auf der Sicherheit herum, und das Thema ist auch kürzlich durch die Frontalkollision eines Cars mit einem Camper im Tunnel neu lanciert worden …
Eine zweite Röhre erhöht die Sicherheit der Gotthard-Achse nicht. Man darf sich da nichts vormachen. Wenn einmal beide Röhren gebaut sind, wird der Druck, alle vier Spuren zu öffnen, so stark sein, dass man dies tun wird. Damit nimmt aber der Verkehr entsprechend zu, insbesondere der Schwerverkehr, und damit nehmen auch die Gefahren auf der ganzen Achse zu. Die wirkliche Lösung, um die Gotthardachse sicherer zu machen, ist die Verlagerung des Schwerverkehrs auf die Bahn. Aber auch für die Tunnelsicherheit an sich gibt es bessere Lösungen.
Welche?
Auf den ersten Blick erscheint eine zweite Röhre, die die beiden Fahrtrichtungen physisch trennt, sehr beruhigend zu sein. Doch man muss sich vor Augen halten, dass sie erst gegen 2030 bereitstände, wenn fast alle Fahrzeuge mit Instrumenten ausgerüstet sein werden, die eine Frontalkollision verhindern; schon heute sind sie in neuen Autos eingebaut. Wenn man hingegen die heutige Röhre saniert, ohne die Fertigstellung der zweiten Röhre abwarten zu müssen, könnte man sie innert kürzerer Frist mit technischen Vorrichtungen wie absenkbaren Schranken ausrüsten, die eine höhere Sicherheit garantieren. Für mich ist das wirklich eine wesentliche Frage: statt die Kapazitäten auszubauen, müssen wir die Sicherheit der bestehenden Infrastrukturen verbessern.
Wenn man den Autobahntunnel sanieren will, ohne eine zweite Röhre zu bauen, müssen aber für die Umleitung des Verkehrs die nötigen Kapazitäten bereitstehen, inklusive Terminals für den Bahnverlad, die auf etliche Probleme stossen.
Ich bin sicher, dass sich für die Terminals machbare Lösungen finden lassen. Der Bund hat übrigens beschlossen, auch den Bau eines Terminals nördlich von Mailand zu unterstützen. Dies ist der richtige Weg, weil das Verkehrsproblem so langfristig gelöst wird. Die Sanierung des Gotthardtunnels muss auch in diesem Sinne genutzt werden.
Wie meinen Sie das genau?
Die Zeit der Tunnelschliessung muss dazu dienen, die Verlagerungspolitik durchzusetzen, die auch von der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels profitieren kann.
Aber denken Sie nicht, dass die Produktivitätssteigerung der Bahn, auch dank Alptransit, genügen könnte, um die Verlagerungspolitik umzusetzen?
Bei dieser Frage muss man sich die Schwierigkeiten vor Augen halten, mit denen diese Politik wegen der Zunahme des Strassengüterverkehrs zu kämpfen hatte. Diesen Trend zugunsten der Nachhaltigkeit umzukehren bleibt schwierig. Ein Entscheid für den Ausbau der Strasseninfrastruktur am Gotthard würde unweigerlich als Lockerung der vom Schweizer Volk stets befürworteten Verlagerungspolitik interpretiert. Das wäre auf internationaler Ebene ein sehr schlechtes Signal. Deshalb bekämpfen die Alpen-Initiative und ihre Verbündeten die zweite Röhre.
Themenwechsel: Was sind Ihre politischen Ambitionen?
Ich habe 2011 für den Nationalrat kandidiert und wir sind einem zweiten Sitz für die Bündner SP nahe gekommen; dieser wäre mir zugefallen. Ich denke, dass ich nächstes Jahr erneut kandidieren werde, doch bleibt es eine schwierige Aufgabe. Auch wenn es mich freuen würde, eines Tages im nationalen Parlament zu politisieren, bin ich mit den Ämtern zufrieden, die ich zurzeit im Kanton, als Präsident der Partei und der Alpen-Initiative habe. Für diese hat jetzt das Referendum Priorität, doch danach wird darüber nachzudenken sein, wie auf nationaler und internationaler Ebene die Art von Verkehrspolitik vorangebracht werden kann, wie wir sie wünschen.
Auf internationaler Ebene herrscht die Meinung vor, dass die Förderung des Schienengüterverkehrs dessen Liberalisierung und Deregulierung voraussetzt. Eine Tendenz, die uns grosse Sorgen bereitet angesichts der Erfahrungen, die man damit im Strassenverkehr gemacht hat.
Diese Sorgen sind sehr realistisch und berechtigt. Der nächste politische Kampf, der uns auf diesem Gebiet bevorsteht und sehr hart werden dürfte, ist die Parlamentsdebatte über das Gütertransportgesetz, das in diese Richtung geht. Es ist eine grosse Bedrohung für ein ganzheitliches, nachhaltiges Verkehrskonzept und für die Arbeitsbedingungen in der Branche. Die Alpen-Initiative hat sich stets für eine Verkehrspolitik eingesetzt, die nicht nur auf ökonomische und unternehmerische Effizienz achtet, sondern auch auf korrekte Arbeitsbedingungen und die Vermeidung von Dumping.
Wie kann man die Abwärtsspirale bei den Transportkosten stoppen?
Da gibt es in der Tat eine besorgniserregende Entwicklung, auch beim Personenverkehr in Europa: Fliegen wird immer billiger, und auch Fernbusse legen auf Kosten der Bahn zu, obwohl letztere punkto Umwelt und wohl auch in sozialer Hinsicht am besten abschneidet. In der Politik muss man immer versuchen, die Dinge in die richtige Richtung zu lenken. Alle Kräfte, die sich für die Umwelt und eine soziale Gesellschaft einsetzen, müssen zusammen dafür sorgen, dass die Mobilität in den nächsten Jahren nach andern Parametern neu ausgerichtet wird. Und dies über die Grenzen unseres Landes hinweg.
Inzwischen werden aber immer mehr Busverbindungen geschaffen, die der Bahn Konkurrenz machen.
Auf den ersten Blick scheint es eine konsumentenfreundliche Entwicklung zu sein, doch wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass diese Entwicklung auf Dumpingwettbewerb beruht und längerfristig zu Problemen führt.
Es gibt aber Kreise, die auch in der Schweiz die Fernbuslinien fördern wollen.
Ich denke nicht, dass diese sehr erfolgreich wären. Denn das Bahnangebot ist dank der Investitionen in Infrastruktur und Betrieb gut entwickelt. Hinzu kommt ein kultureller Aspekt: die meisten Schweizer/innen fahren lieber Zug. Damit die Bahn weiterhin die Nase vorn hat, müssen die Anreize so gesetzt werden, dass sie der Bahn helfen und nicht den Fernbussen. Der öffentliche Verkehr ist ein Service public und soll es bleiben.
Interview. Pietro Gianolli / Fi