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Arbeitslose Frau verurteilt
Wann ist von Verweigerung zumutbarer Arbeit zu sprechen und wo beginnt eine schwere Verfehlung? Dies war Gegenstand einer Berufung des Seco gegen einen Entscheid des Genfer Kantonsgerichts, die neulich das Bundesgericht zu beurteilen hatte. Dieses gab dem Seco recht und verschärfte die Sanktion gegen eine arbeitslose Frau, die sich nicht genügend um eine zumutbare Stelle bemüht hatte.
Astrid, in Genf arbeitslos gemeldet, sucht eine 100-Prozent-Stelle. Das kantonale Amt stellt ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld für 34 Tage ein mit der Begründung, Astrid habe eine zumutbare Beschäftigung abgelehnt. Gegen diesen Entscheid legt Astrid beim Kantonsgericht Beschwerde ein und erhält Recht: Das Gericht senkt die Zahl der Einstelltage von 34 auf 20. Doch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sieht es anders und legt Berufung gegen das Urteil ein.
Gemäss Artikel 30 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) wird der Anspruch auf Entschädigung vorübergehend eingestellt, wenn festgestellt wird, dass die Kontrollanforderungen oder die festgelegten Regeln nicht eingehalten wurden, insbesondere im Falle von Verweigerung einer «zumutbaren Arbeit». Dies ist nach der Rechtsprechung z. B. nicht nur dann der Fall, wenn Versicherte eine ihnen zugewiesene zumutbare Arbeit ausdrücklich ablehnen, sondern auch, wenn sie das Risiko eingehen, dass die Stelle anderweitig vergeben wird, oder wenn sie ihre Aussichten auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages anderweitig vereiteln.
Bei geringfügigem Fehlverhalten wird der Anspruch auf Arbeitslosengeld um 1 bis 15 Tage eingestellt, bei mittelschwerem Fehlverhalten um 16 bis 30 Tage und bei schwerwiegendem Fehlverhalten um 31 bis 60 Tage. Die Verweigerung einer als zumutbar erachteten Stelle ohne triftigen Grund stellt ein schweres Fehlverhalten dar und führt zu 31 bis 60 Einstelltagen. Unter besonderen Umständen sind ausnahmsweise weniger als 31 Einstelltage möglich, doch muss ein triftiger Grund vorliegen, der z. B. mit der subjektiven Situation der betroffenen Person zusammenhängt (gesundheitliche Probleme, familiäre Situation oder Religionszugehörigkeit) oder mit objektiven Umständen (z. B. befristete Dauer eines Stellenangebots).
Das Kantonsgericht hielt fest, dass sich Astrid im Internet auf eine Stellenausschreibung für eine Vollzeit-Assistenzstelle bewerben musste. Doch sie kopierte den Link zur Ausschreibung nicht richtig, und als sie bemerkte, dass der Link nicht funktionierte, unterliess sie es, ihre RAV-Beraterin zu kontaktieren und darüber zu informieren. Sie schickte lediglich eine LinkedIn-Kontaktanfrage an den Verfasser der Stellenanzeige.
Das Kantonsgericht stufte diesen Fehler als «mittelschwer» ein. Ausserdem war dies Astrids erster Verstoss, nachdem sie sonst bei der Stellensuche immer sehr aktiv gewesen und ihren sonstigen Pflichten als arbeitslose Frau stets nachgekommen war. Daher erachtete das Gericht eine Reduktion auf 20 Einstelltage als verhältnismässig.
Doch das Seco ist anderer Meinung: Aus seiner Sicht gibt es keinen Grund, der bei schwerwiegendem Fehlverhalten ein Abweichen von der Einstellungsskala (31 bis 60 Tage) rechtfertigt.
Das Bundesgericht schreibt in seinem Urteil, das Versenden einer LinkedIn-Anfrage an den Verfasser der Stellenausschreibung sei ein weitgehend unzureichendes Verfahren gewesen und Astrid hätte ihre RAV-Beraterin kontaktieren müssen, um ihr das Problem zu melden. Es liege kein triftiger Grund vor, der Astrids Verschulden als mittelschwer oder gering erscheinen lasse. Dass sie ihre Pflichten als arbeitslose Frau sonst ernst genommen hat, reiche nicht aus, um die Verweigerung einer zumutbaren Stelle zu rechtfertigen. Mit 21 Einstelltagen sei das Kantonsgericht deutlich vom Rahmen von 31 bis 60 Tagen bei schwerwiegendem Fehlverhalten abgewichen. Zudem liege auch kein triftiger Grund hinsichtlich Astrids subjektiver Situation oder objektiver Umstände vor.
Bei schwerwiegendem Fehlverhalten ohne triftigen Grund sei als Ausgangspunkt für die individuelle Beurteilung des Verschuldens der Mittelwert in der Einstellskala von 31 bis 60 Tagen gemäss Verordnung zum AVIG anzusetzen, so das Bundesgericht weiter. Im vorliegenden Fall sei das kantonale Amt mit 34 Einstelltagen bereits erheblich von diesem Mittelwert von 45 Tagen abgewichen und habe damit den Umständen gebührend Rechnung getragen. Daher gab das Bundesgericht der Berufung statt und bestätigte die ursprüngliche Sanktion von 34 Einstelltagen.
SEV-Rechtsschutzteam