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Sektionskonferenz Sankt Gallen

«Sie können uns nicht auf die Füsse treten!»

Die Vertreter und die Vertreterin der Ostschweizer SEV-Sektionen sind froh, dass man sich nach der Coronakrise endlich wieder vor Ort treffen kann.

An der ersten Deutschschweizer Sektionskonferenz, am 9. Februar in St. Gallen, trafen sich rund zwei Dutzend SEV-Mitglieder. Branchenübergreifend tauschten sie sich zu aktuellen Herausforderungen aus. Zudem diskutierten sie über Rezepte bei der Mitgliederbetreuung und -werbung.

Der neue SEV-Präsident Matthias Hartwich begrüsst die Vertreter und die Vertreterin der Ostschweizer Sektionen in der Militärkantine in St. Gallen. «Ich habe richtig Lust, ans Werk zu gehen», sagt er, nachdem er seine persönliche gewerkschaftliche Geschichte erzählt hat. Er betont, wie wichtig es ihm ist, dass der SEV seinen Mitgliedern gehört und dass diese bestimmen müssen, was er und die anderen Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre anpacken sollen. Gerne nimmt er Einladungen von Sektionen entgegen, um sich vor Ort ein Bild zu machen.

Gegen aggressives Verhalten

SEV-Vizepräsidentin Valérie Solano spricht über die Jahresschwerpunkte des SEV. Neben den üblichen Aufgaben, wie Verhandlungen über Gesamtarbeitsverträge und Löhne, muss sich die Gewerkschaft auch um konkrete neue Herausforderungen kümmern. Das sind beispielsweise die neuesten Entwicklungen bei der Digitalisierung, wie selbstfahrende Züge, oder die Zunahme von temporär Angestellten, die kaum gewerkschaftlich organisiert sind. Einen weiteren Brennpunkt, den sie anspricht, sind die wachsenden Probleme beim Kundenkontakt in den Zügen und Bussen: «Wir müssen Druck machen, damit die Unternehmen endlich etwas machen gegen die zunehmende Aggression gegen das Personal.» Tatsächlich sehen sich viele Kolleginnen und Kollegen damit konfrontiert, dass die Gäste vermehrt ausserordentlich aggressiv und zuweilen gewalttätig auftreten. «Das hat seit Corona massiv zugenommen», bemerkt SBB-Kundenbegleiter Matthias Müller vom ZPV Säntis Bodensee.

 

Matthias Hartwich spricht über weitere gewerkschaftliche Ziele. «Der Trend, dass wir immer weniger werden, muss stoppen und umgekehrt werden», betont er und verspricht, bei der Mitgliederwerbung vorwärts zu machen. Dabei will der SEV den Fokus auf die Jugend und die Frauen legen. «Wir werden keine Standwerbung auf irgendwelchen Plätzen machen, sondern wir werden auch dieses Jahr zu euch in die Betriebe kommen. Wir setzen weiterhin auf das erfolgreiche Rezept, dass Mitglieder selber Mitglieder werben.» Auch bei der Umwelt- und Klimapolitik will der SEV Pflöcke einschlagen. «Ich bin stolz, dass wir Teil der Lösung des Klimaproblems sind. Wir vertreten die Menschen, die es möglich machen, eine nachhaltigere Mobilität zu fördern.» Bei der Verkehrspolitik kritisiert Matthias Hartwich die Aussagen, die kürzlich vom Bundesamt für Verkehr gemacht wurden, nämlich den Bahnverkehr vermehrt für private Unternehmen wie Flixtrain öffnen zu wollen: «Ich verstehe nicht, warum man hier in der Schweiz etwas zerstören will, dass derart gut funktioniert.» Augenzwinkernd verweist er auf die Situation in Deutschland, wo die Teilprivatisierung der Bahn zu Problemen, statt zu einem besseren Service geführt hat. Schliesslich spricht er über wichtige Mobilisierungen im neuen Jahr, wie den feministischen Streik am 14. Juni, und die aktuelle Petition des TPG-Personals für das «Recht auf Streik».

Erfolgreiche Mitgliederwerbung

Christian Fankhauser schaut auf das letzte Jahr zurück und zeigt sich erfreut, dass der SEV 2022 bei der Mitgliederwerbung ein sehr gutes Resultat gemacht hat: «Wir haben die 2000er-Marke geknackt. Und das wollen wir auch dieses Jahr wieder tun.» Den Anwesenden aus St. Gallen empfiehlt der SEV-Vizepräsident, bei den Ständeratsersatzwahlen am 12. März die Sozialdemokratin Barbara Gysi zu wählen als würdige Nachfolgerin des ehemaligen SGB-Präsidenten Paul Rechsteiner.

Nach der Kaffeepause übernehmen die Präsidenten der verschiedenen Ostschweizer Sektionen das Wort. Auch hier ist die Mitgliedergewinnung ein wichtiges Thema. Berat Rahimi von der VPT-Sektion Bus Ostschweiz ist zufrieden, dass nicht nur das Unternehmen wächst, sondern auch die Gewerkschaftsmitgliederzahlen. Allerdings sei es schwierig, Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und Österreich zu werben, die auch im Betrieb arbeiten. «Die sagen, sie hätten dort schon gute Rechtsschutzversicherungen, die billiger als die Schweizer Gewerkschaft seien.» Einfacher sei es für ihn, andere Menschen mit Migrationshintergrund zu werben: «Ich sage einfach, schaut, ich habe selber Migrationshintergrund. Und ich weiss, dass es wichtig ist, dass ich in der Gewerkschaft bin. Dann unterschreiben sie meistens.»

«Manchmal vergessen unsere Leute, warum Gewerkschaften so wichtig sind», sagt Alois Strehler vom RPV Winterthur Schaffhausen. «Dann erinnere ich sie daran, dass wir Gewerkschaften dafür gekämpft haben, dass sie heute Ferien haben dürfen.» Pascal Müller von der VPT-Sektion Bodensee SBS fügt an: «Ich erkläre den Kolleginnen und Kollegen, dass wir ein bisschen wie eine Krankenkasse sind. Meistens brauchst du die Gewerkschaften nicht, aber wenn du einmal ein Problem hast, dann bist du extrem froh, dass es uns gibt.» Danach erzählt er mit Stolz, dass in seiner Sektion fast alle Mitarbeitenden SEV-Mitglied sind. Obwohl sich die Geschäftsleitung der 100 % privaten Schifffahrtsunternehmung standhaft weigert, mit dem SEV einen GAV auszuhandeln, ist die Gewerkschaft hilfreich und schützt das Personal.

Hoher Organisationsgrad hilft

Relativ stabil sind die Mitgliederzahlen in fast allen Ostschweizer Sektionen. Bei den Pensionierten sind sie etwas rückläufig. «Wir müssen persönlich mit den Menschen sprechen, wenn sie in Pension gehen. Wir müssen ihnen deutlich machen, dass es wichtig ist, dass sie weiterhin in der Gewerkschaft bleiben», sagt einer der Vertreter der PV-Sektionen. Sehr gut ist die Situation bei den ZPV-Sektionen, die auf einen starken Nachwuchs zählen können. «Bei uns im Depot liegt der Organisationsgrad bei 95 %. Für die Leitung bedeutet das, sie können uns nicht einfach auf die Füsse treten», sagt Matthias Müller vom ZPV Säntis Bodensee und fügt lachend hinzu: «Und es macht natürlich Spass, wenn du dazu gehörst und beim gemeinsamen Bowling dabei sein kannst.» Auch beim ZPV Samedan ist die Geselligkeit ein wichtiger Faktor, warum sehr viele Kolleginnen und Kollegen bei der Gewerkschaft aktiv sind.

Andere Themen, welche die Kolleginnen und Kollegen in der Ostschweiz beschäftigen, sind Arbeitsbedingungen und vertragliche Abmachungen. «Als die Appenzeller Bahnen vor zwei Jahren mit der Frauenfeld-Wil-Bahn fusionierten, meinten wir, wir müssten den FAV nur leicht anpassen. Jetzt stecken wir mitten in den Verhandlungen für einen neuen Firmenarbeitsvertrag», erzählt Roland Huber von der VPT-Sektion AB. «Kein leichtes Unterfangen.» In Rorschach ärgern sich viele über den Fahrplan des Rheintal Bus, der zur Bus Ostschweiz AG gehört. Seit dem Fahrplanwechsel ist es mühselig, den richtigen Anschluss zu erwischen. Ausserdem beklagt sich das Buspersonal darüber, dass es kaum Zeit hat, an der Endstation auf die Toilette zu gehen. Jetzt haben Bewohnerinnen und Bewohner der Region eine Petition gestartet, um das zu ändern.

Am Schluss der Sektionskonferenz weist SEV-Gewerkschaftssekretär Claude Meier auf anstehende Veranstaltungen und Aktionen hin. «In St. Gallen findet der 1. Mai dieses Jahr wieder am 1. Mai statt», sagt er scherzend (Anm. der Redaktion: 2022 wurden die Feierlichkeiten zum «Tag der Arbeit» am 30. April abgehalten). Zudem informiert er, dass das SEV-Regionalsekretariat in St. Gallen voraussichtlich Ende Jahr in eine Bürogemeinschaft mit der Gewerkschaft Syndicom umzieht.

Michael Spahr
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