Auswirkungen des Gotthard-Basistunnels auf das Personal
Unsichere Zukunft für Schweizer Lokdepots im Transit
Der Fahrzeitgewinn kostet Stellen beim Fahrpersonal und macht im Transitgüterverkehr Lokdepots in der Schweiz verzichtbar. Anderseits gibt es neue Stellen in den Erhaltungs- und Interventionszentren EIZ.
Mit dem fahrplanmässigen Betrieb durch den Gotthard-Basistunnel (GBT) ab Dezember sinkt die Reisezeit der ICN von Zürich nach Lugano von heute 161 auf 130 Minuten. Zwar wird der (verschobene) Doppelspurausbau am Zugersee die Reise vorübergehend wieder um ein paar Minuten verlängern, doch grundsätzlich wird das Lok- und Zugpersonal in den Gotthardzügen pro Weg rund 30 Minuten kürzer unterwegs sein.
Beim Zugpersonal fallen im Fernverkehr schweizweit 65 bis 70 Stellen weg, bis die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels voraussichtlich Ende 2020 zusätzliche Züge und damit wieder mehr Stellen bringt. In dieser Rechnung nicht enthalten sind Zugbegleiter/innen auf der Bergstrecke. Offenbar hat die SBB noch immer nicht von der Idee Abschied genommen, unbegleitete Flirts durch all die Kehrtunnels und den Scheiteltunnel fahren zu lassen, trotz aller Sicherheitsbedenken (siehe Einleitungstext). Diese Frage hat natürlich Einfluss auf die Dienstpläne mehrerer Depots. Wie diese aussehen werden, ist zurzeit noch völlig offen, eine Vernehmlassung dazu ist wie jedes Jahr im September/Oktober geplant.
Entsprechend «abwartend» ist die Stimmung beim Luzerner Zugpersonal: «Falls wir weniger ins Tessin fahren können, ist dies ein grosser Verlust», sagt Erwin Wessner, Präsident ZPV Luzern. «Die bisherige Arbeit auf der Bergstrecke war schöne Arbeit.» Voraussetzung dafür war auch Italienisch als zweite Fremdsprache.
Güterbahnen brauchen keine Schweizer Lokdepots mehr
Dem Wegfall von Touren beim Lokpersonal des Personenverkehrs SBB sieht LPV-Präsident Hans-Ruedi Schürch wegen dem aktuellen Lokführermangel gelassen entgegen: «Zumindest in der Deutschschweiz ist dies eher eine Entlastung als ein Problem.» Sorgen bereitet Schürch dagegen – neben der Führerstands-Signalisierung ETCS Level 2, die noch nicht einwandfrei funktioniert – die Zukunft des Cargo-Lokpersonals, weil dank dem Basistunnel Bellinzona für deutsche Depots erreichbar wird und Goldau für italienische, erst recht nach der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels. Dort werden dann auch keine Zusatzloks mehr nötig sein. Zudem will das Bundesamt für Verkehr von den Lokführern am Gotthard ab 2018 keine Zweisprachigkeit mehr verlangen: Von Norden her sollen sie ohne Italienischkenntnisse bis Bellinzona fahren dürfen, und von Süden her ohne Deutschkennt- nisse bis Goldau. Im Gegenzug müssen die Zugverkehrsleiter/innen in Pollegio neu beide Sprachen beherrschen.
«Der CEO von SBB Cargo International befürwortet die neue Sprachregelung und wird künftig an Schweizer Lokpersonal weniger interessiert sein», befürchtet Urs Kieliger, Cargo-Lokführer in Erstfeld und Ressortleiter Cargo im LPV. Zum Schutz des Lokpersonals haben die Sozialpartner mit SBB Cargo International 2014 eine Vereinbarung zum grenzüberschreitenden Lokführereinsatz abgeschlossen: Diese besagt, dass das ausländische Lokpersonal der Unternehmung in der Schweiz nicht mehr Kilometer fahren darf als ihr Schweizer Personal im Ausland.
Für die zirka 30 Cargo-Lokführer, die jetzt noch in Erstfeld arbeiten, ist im Hinblick auf die GBT-Eröffnung eine akzeptable Lösung gefunden worden: Sie wechseln nach Goldau. Zudem hat der Personenverkehr in Erstfeld Ende 2014 ein Depot mit rund 20 Stellen eröffnet. Je nachdem, wie die Bergstrecke «bewirtschaftet» wird, erwartet Urs Kieliger mehr Fahrleistungen für das Personenverkehrsdepot in Erstfeld.
Anstellungsbedingungen beim Unterhalt auf dem Prüfstand
Für den Unterhalt des neuen Tunnels und allfällige Interventionen mit den Lösch- und Rettungszügen ist im Oktober das EIZ Erstfeld mit ca. 120 Stellen (Erhaltung ca. 95, Intervention ca. 25) eröffnet worden und im Dezember das EIZ Biasca mit ca. 180 Stellen (E. ca. 150 und Intervention ca. 25 gemäss SBB). Genügend qualifiziertes Personal zu finden, war nicht einfach, z.B. für das Erstfelder Elektro- und Telecomteam, das von 6 auf 21 Leute aufgestockt wurde. Es unterhält in der nördlichen Tunnelhälfte und draussen zwischen Göschenen und Zug alle elektrischen Anlagen, vom Starkstrom über Belüftung und Beleuchtung bis zur Wasserpumpe, ausser den Stellwerken und Signalen. Jeweils fünf fahren ab 11. Juni jede Woche in den Nächten von Samstag bis Dienstag mit dem Bauzug in den Tunnel, zusammen mit zehn externen Monteuren. So arbeiten sie nacheinander zwei Wochenenden, gefolgt von Ruhetagen, dann vier Wochen von Montag bis Freitag ausserhalb des Tunnels (auch mit Pikettdienst), dann wieder zwei Wochenenden im Tunnel usw. Manche Bewerber fanden solche Schichtarbeit zu nachteilig oder durch den Lohn zu wenig kompensiert. Ob die Gehälter und Schichtvergütungen genügend attraktiv sind, um die Mitarbeitenden langfristig bei der Stange zu halten, ist fraglich. Springen sie ab, geht mit ihnen auch die in sie investierte Ausbildung verloren.
Was die Ausbildung des Personals allgemein, auch des Fahrpersonals, für die Arbeit im Tunnel betrifft, waren die Befragten der Meinung, dass die SBB diese Aufgabe ernst nimmt und recht gut meistert.
Markus Fischer
Im Tessin weckt der Gotthard-Basistunnel nicht nur Erwartungen
Jenseits des 1. Juni
Das Tessin bereitet sich auf das grosse Fest vor, das Anfang Juni die schnellste je gebaute Verbindung zwischen der Süd- und der Nordschweiz offiziell einweiht – auch wenn man sich noch einige Monate gedulden muss, bis man sie benutzen kann.
In der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni wechselt der Basistunnel offiziell den Besitzer, indem er von der Alptransit Gotthard AG, die ihn gebaut und ausgerüstet hat, an die SBB übergeht. Darauf folgt von September bis Dezember der Probebetrieb. Ab dem Fahrplanwechsel werden dann die wichtigsten Verbindungen zwischen Nord- und Südschweiz durch den Basistunnel führen.
Letzter Schliff
Im Prinzip kann der Tunnel schon ab der zweiten Juniwoche befahren werden, wenn die Eröffnungsfeierlichkeiten vorbei sind. Bis Ende August laufen allerdings noch letzte Abschluss- und Aufräumarbeiten, und erst ab dem 5. September wird der Probebetrieb deutlich intensiviert. Diese Phase wird es den Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) ermöglichen, die Ausbildung ihres Fahrpersonals abzurunden. Ab September wird es nämlich möglich sein, einzelne Personenzüge beispielsweise im Fall von Verspätungen durch den Basistunnel zu leiten. Voraussetzung da-für ist selbstverständlich, dass der Zug und das Personal die Zulassungsbedingungen erfüllen.
«Beim Güterverkehr haben wir vor, die EVU zu kontaktieren, um ihnen die Benützung des Basistunnels anzubieten, wobei entsprechend reduzierte, nicht für die Bergstrecke dimensionierte Lokbespannung möglich ist», erklärt Thomas Senekowitsch, Co-Leiter Fahrplan und Netzdesign des Projekts Nord-Süd. «Nur so können wir die Betriebsbedingungen und die Kapazität des Tunnels im Massstab 1:1 überprüfen. Über die Umleitung von Personenzügen entscheiden das Operation Center Personenverkehr und die Betriebszentrale Pollegio in gegenseitiger Absprache. Für die Einhaltung der Tunnelzulassungsvorschriften sind dagegen die EVU verantwortlich.»
Bereit für den Notfall
Das Dispositiv für die Intervention bei ernsten Problemen ist ab sofort operativ, wie Paolo Tappa, Leiter des Interventionssektors Tessin in Biasca, versichert. «Rund um die Uhr das ganze Jahr über sind stets fünf Mitarbeitende einsatzbereit, und alle sind für die Intervention im Tunnel selbstverständlich bereits ausgebildet worden. Wir werden auch von der Feuerwehr Biasca unterstützt.» Zu den aktuell 26 Mitarbeitenden der Intervention in Biasca werden bis April 2017 noch die zwölf Betriebswehrmitarbeitenden stossen, die bisher in Airolo stationiert waren.
Auswirkungen auf die Bergstrecke
Mit der Inbetriebnahme des Basistunnels wird der Verkehr auf der Bergstrecke drastisch eingeschränkt. Aktuell sind nur 32 Züge pro Tag vorgesehen, einer pro Stunde in jeder Richtung zwischen 6 Uhr und 22 Uhr zwischen Bellinzona und Erstfeld. Es ist nicht einmal mehr vorgesehen, die Bergstrecke als Ausweichstrecke zu benutzen, falls es im (Basis-)Tunnel zu Störungen, Engpässen oder sonstigen Problemen kommt.
Dies erregt im Tessin auch Besorgnis, vor allem in der Leventina. Doch im Vordergrund steht in der Zwischenzeit verständlicherweise das Warten auf die neue Linie und ihre positiven Auswirkungen.
Pietro Gianolli/Fi