In zwei Wochen steigt das mehrtägige Eröffnungsfest für den längsten Bahntunnel der Welt
Nicht nur pure Feststimmung zur Gotthard-Eröffnung
Alle kommen sie, die politischen Würdenträger aus ganz Europa, wenn am 1. Juni an den beiden Portalen die gigantische Einweihungsfeier zum Gotthard-Basistunnel steigt. Sie erinnert leicht an die Olympischen Spiele und wird in Radio und Fernsehen direkt übertragen. Das Personal hat an diesem Tag eine Statistenrolle. Aber wenn es wirklich losgeht, gehört ihm die Hauptrolle.
Es kommt selten vor, dass sich Staatschefs aus Nachbarländern selbst einladen, um in der Schweiz an einem Anlass dabei zu sein. Genau dies soll sich aber zugetragen haben, weil der französische Präsident François Hollande nicht nur am Fernsehen zuschauen wollte, wie Angela Merkel und Matteo Renzi zusammen mit dem gesamten Schweizer Bundesrat den Gotthard-Basistunnel eröffnen. Nun muss zur Sicherung des gigantischen Anlasses gar das Militär aufgeboten werden. Die Zahl der Einladungen war beschränkt, aber die Spitzen der Schweizer Bahngewerkschaften gehören dazu.
Fürs Personal sind separate Anlässe vorgesehen, was sinnvoll ist, denn sowohl am grossen Eröffnungsfest als auch an den Publikumstagen vom 4. und 5. Juni braucht es viele Leute, die dafür sorgen, dass der noch ungewohnte Bahnverkehr rund läuft.
Personal wird vorbereitet
Danach aber beginnt langsam der Alltag: Neu ist dann nicht mehr Alptransit zuständig, sondern die SBB, die vom Bund als Betreiberin des längsten Bahntunnels der Welt festgelegt worden ist. Beim Bahnpersonal ist durchaus Stolz spürbar, diesen Tunnel betreiben zu können. Seit Monaten laufen die Ausbildungen für die verschiedensten Berufsgruppen, die im Tunnel zum Einsatz kommen. Neben dem fahrenden Personal sind dies die Einheiten des Unterhalts und für jede Art von Zwischenfällen die Interventionsteams.
Depot Erstfeld geschlossen
Während bei den Unterhalts- und Interventionsberufen zusätzliche Stellen geschaffen wurden, geht der Bedarf beim fahrenden Personal, also Lok- und Zugpersonal, wegen der kürzeren Fahrzeit eher zurück. Und auch das historische Depot Erstfeld wird nach einem seit langem laufenden schrittweisen Abbau jetzt komplett stillgelegt – gleichzeitig eröffnet aber SBB Personenverkehr in Erstfeld neu ein eigenes Depot.
Die grössten Sorgen des SEV liegen jedoch anders; Zug- und Lokpersonal werden in den nächsten Tagen mit Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam machen (kontakt.sev berichtet in der nächsten Ausgabe).
Gegen unbegleitete Züge
Das Zugpersonal wird sich insbesondere dazu äussern, dass SBB und BAV der Meinung sind, der Verkehr über die Gotthard-Bergstrecke könne künftig ohne Zugpersonal betrieben werden. «Der Lokführer hat im Ereignisfall zu viel zu tun, um allein für eine sichere Evakuation der Passagiere sorgen zu können», erklärt Andreas Menet, Zentralpräsident des SEV ZPV. Nötig sei die Begleitung auch wegen vielen touristischen Reisenden und solchen mit Velos. Der SEV ZPV ist zudem überzeugt, dass die Bergstrecke als Ausweichstrecke weiter gebraucht wird, falls eine Tunnelröhre längere Zeit gesperrt werden muss. Bei der SBB ist vorgesehen, dass keine Güterzüge mehr über den Berg fahren. Ob das wirklich so sein wird, wird sich noch zeigen. Man erinnert sich an die Eröffnung des Lötschberg-Basistunnels: Damals wurde die Bergstrecke lediglich als Ausweich- strecke bei Störungen vorgesehen, doch kaum ein Jahr nach der Eröffnung war der Basistunnel komplett ausgebucht und die Bergstrecke wieder eine willkommene Entlastung.
Schweizer Löhne
Was sich aber als grösste Bedrohung abzeichnet, ist die Möglichkeit, die Schweiz von Italien nach Deutschland und umgekehrt ohne Personalwechsel durchfahren zu können. Damit kommt ein grosser Druck auf die Arbeitsplätze, aber ein noch grösserer Druck auf die Löhne. Die Forderung «Schweizer Löhne auf Schweizer Schienen», die für den SEV seit dem Beginn der Bahnliberalisierung gilt, erhält damit nochmals eine grössere Bedeutung.
Peter Moor
Der Gotthard-Basistunnel aus Westschweizer Sicht
Distanzierter, aber aufmerksamer Blick
«Ich erwarte, dass mehr Güter auf die Schiene verlagert werden, insbesondere im Transit. Und ich hoffe, dass es in naher Zukunft möglich sein wird, auch Autos samt Insassen auf die Schiene zu verlagern, doch das ist wahrscheinlich nur ein Traum eines Eisenbahners …»
Stéphane Chevalier, Sektionspräsident VPT MBC
«Für mich ist klar, dass man es gut findet, schneller im Tessin zu sein, wenn man pressiert ist, doch sieht man statt der Landschaft halt nur noch schwarz. Sorgen mache ich mir vor allem um die Begleitung auf der alten Strecke. Falls es dort kein Zug- personal mehr gibt, bedeutet dies Stellenabbau im Tessin. Zudem sind mit dem neuen Tunnel die Zugbegleiter/innen aus Bellinzona und Chiasso schneller in Zürich und Luzern und müssen bisherige Leistungen der andern Depots über- nehmen, um auf ihre Arbeitsstunden zu kommen. Vorläufig bleiben viele Fragen offen.»
Daniel Mollard, Präsident ZPV Fribourg
Es ist klar, dass der Basistunnel aus Westschweizer Sicht vor allem die Gebiete nördlich und südlich des Gotthards betrifft. Zwar werden dank des neuen Tunnels alle Romands schneller ins Tessin fahren können, doch vom Genferseebogen aus wird die Reisezeit nach Italien nicht kürzer, weil man von dort weiterhin über den Simplon fährt. Die Bewohner/innen der Genferseeregion, besonders in den Kantonen Waadt und Genf, warten vor allem auf das Bahnausbauprojekt «Léman 2030», das sich auf ihren Alltag viel stärker auswirken wird.
Es sei aber daran erinnert, dass die Westschweiz die Neat im September 1991 mit einem Ja-Stimmen-Anteil von 75,9% guthiess, während die gesamte Schweiz mit 63,6% zustimmte.
Hes/Fi