Stefan Bruderer vertritt die Jugendkommission im Vorstand SEV

«Der SEV hat mich politisiert»

Der 25-jährige Stefan Bruderer ist Zugverkehrsleiter in Zürich Flughafen. Er ist gewerkschaftlich stark engagiert: als Mitglied der Jugendkommission, des Vorstands SEV und des Sektionsvorstands AS Ost – und er führt die örtliche Personalkommission.

Stefan Bruderer vertritt die Jugendkommission im Vorstand SEV

kontakt.sev: Weshalb engagierst du dich politisch?

Stefan Bruderer: Weil ich da-ran glaube, dass hier jeder etwas erreichen kann. Das gilt in der Schweiz wegen der direkten Demokratie ganz speziell.

Wann hast du damit begonnen?

Im eigentlichen Sinn politisch bin ich erst seit dem 1. Mai dieses Jahres; da bin ich der Juso beigetreten! Begonnen hat es in der Lehre, weil dort erstmals in der Schule über Politik gesprochen wurde. Im eigentlichen Sinn politisiert hat mich aber der SEV.

Bist du familiär politisch «belastet»?

Mein Vater war im Vorstand der SVP-Ortspartei, aber zu Hause wurde nie über Politik diskutiert. Ich hatte auch lange gar keine eigene Meinung, um mitreden zu können. Im Thurgau, wo ich aufgewachsen bin, gab es häufig gar keine Diskussionen, weil es – scheinbar – nur eine Meinung gab. So ist zumindest meine Erinnerung; in der Zwischenzeit weiss ich natürlich, dass es auch im Thurgau andere Meinungen gibt.

Du bist also als Lehrling zum SEV gekommen?

Wie viele bin ich an einer Lehrlingssitzung über die Kinogutscheine zum SEV gelotst worden. Darauf hat mich ein Kollege an eine Sitzung der Jugendkommission mitgenommen, und das hat mich sehr angesprochen. Es war für mich völlig neu: umgeben von vielen jungen Leuten, die sich für eine gemeinsame Sache engagieren. Ich nahm weiter an den Sitzungen der Jugendkommission teil, dann wurde ich als Ersatzmitglied für den Vorstand gewählt, und als Matthias Sterchi aufhörte, rückte ich nach.

Aber du bist zudem im Sektionsvorstand von AS Ost – geht es immer weiter?

Fast möchte ich sagen: leider. Ich mache das sehr gerne, aber es braucht einiges an Zeit. Es hat mir sehr gefallen, dass AS so aktiv eine Jugendstruktur aufbaut; da konnte ich nicht Nein sagen. Jetzt habe ich mich als Lokführer beworben, und wenn das klappt, bin ich nicht unglücklich, von AS wegzugehen. Ich finde nämlich, es wäre sehr gut, wenn noch mehr Junge ihre Meinung einbringen können. Sonst hört man immer nur mich, gerade auch im Vorstand. Es wäre besser, wenn auch andere Junge den Einblick bekommen könnten, wie es läuft.

Wie empfindest du die Arbeit in den Gremien?

Teilweise ist sie schon sehr statutarisch, was auch viele abschreckt. Wenn man mit den richtigen Leuten zusammenarbeiten kann, ist es aber einfach, Lösungen zu finden. Häufig bringe ich Ideen nicht über die Sektion ein sondern über die Jugendkommission, weil sie damit direkt in der Zentrale landen. Beim klassischen Weg über Sektion, Unterverband und Vorstand geht es viel zu langsam, und es müssen viel zu viele Leute einbezogen werden. Deshalb finde ich die Jugendkommission so wichtig; sonst würden viele Themen der Jugendlichen kein Gehör finden.

Die «Jungen» sind doch eher Leute, die Informationen, Musik, Filme aus dem Internet herunterladen ohne zu bezahlen, aber sich sicher nicht engagieren wollen …

(lacht) Das finde ich ein Vorurteil …

… selbstverständlich!

Es stimmt eben nicht! Ein Beispiel: In der Juso Zürich treffe ich auf ganz viele 15-, 16-, 17-Jährige, die sich engagieren, obwohl sie noch nicht einmal stimmberechtigt sind. Aber sie vertrauen darauf, dass sie etwas bewegen können, und sie opfern viel Zeit dafür. Das motiviert mich sehr; ich kann dort richtig Energie tanken! Wenn man ein Thema findet, für das sich einige engagieren wollen, klappt es. Man darf einfach nicht davon ausgehen, dass sich alle für dasselbe engagieren wollen.

Du umgibst dich nicht immer mit Leuten gleicher Meinung. Willst du diese dann von deiner Haltung überzeugen?

Nein. Ich habe gelernt, meine Meinung zu vertreten und dazu zu stehen – also wenn mir jemand «Scheiss-Sozi» nachruft, antworte ich «Danke!» – aber ich bin froh, andere Meinungen zu hören, um meine Haltung zu schärfen.

Stellst du dir gelegentlich die Frage, ob du in einer Organisation wie Amnesty International oder WWF mehr erreichen könntest als im SEV?

Das schliesst sich nicht aus. Über einzelne Gruppierungen kann man sich besser für einzelne Anliegen einsetzen. Ich engagiere mich auch noch in der GSoA. Aber der SEV ist sehr wichtig: Er wirkt sich direkt auf mein Berufsleben aus. Wenn ich daneben noch Freizeit und Energie habe, mache ich gerne noch anderes.

Das heisst, du zählst den SEV praktisch zur Arbeitszeit?

Tatsächlich, aber ich habe natürlich auch das Anrecht, in der Arbeitszeit gewerkschaftlich aktiv zu sein, was ich übrigens richtig finde. Der SEV ist sehr wichtig, weil zu viele Leute meinen, alles sei gut, wie es ist und werde immer so bleiben.

Siehst du grundsätzlich eine Zukunft für die Gewerkschaften?

Ganz bestimmt. Gewerkschaften wird es weiter geben und vor allem auch brauchen. Wenn man die ganze Entwicklung des Arbeitsmarktes und des kapitalistischen Systems an sich sieht, dann braucht es diese Instanz, die aufpasst und sich für die einfachen Leute einsetzt. Die grosse Bewegung läuft leider anders. 2008 haben wir gesehen, wie plötzlich an der Basis Bewegungen entstanden sind, alles vielleicht ein bisschen linker geworden ist. Jetzt geht es wieder in die andere Richtung, nur noch um Migration. Wenn weniger Kriege wären und damit weniger Flüchtlinge, würde es wohl anders aussehen.

Wo findest du, müsste sich der SEV stärker einsetzen; oder macht er alles richtig?

Ich weiss, dass nicht alle Leute zufrieden sind mit dem SEV, aber es ist auch schwierig, so viele Berufsgattungen, Branchen und Unternehmen zu
vertreten. Der SEV darf nicht aufhören, sich bekannt zu machen und zu zeigen, dass es ihn braucht. Aber ich sehe nicht ein einzelnes Thema, das er zusätzlich aufnehmen müsste.

Wirbst du in deinem Umfeld Mitglieder?

Ich versuche es!

Mit welchen Argumenten?

Ich bin häufig in den Lernendensitzungen, wo es darum geht, überhaupt zu erklären was eine Gewerkschaft ist. Das ist heute ein grosses Problem: Die Leute wissen nicht, dass es Gewerkschaften gibt und wozu sie gut sind. Man muss sogar erklären, was ein GAV ist. Dann ist es recht einfach, Mitglieder zu werben. In meinem Berufsumfeld ist der Rechtsschutz das wichtigste Argument, weil wir im Sicherheitsbereich arbeiten. Natürlich versuche ich es immer zuerst über die Solidarität, aber das ist ein Argument, das nicht bei vielen zieht. Auch hier muss ich häufig den GAV erklären und betonen, dass nicht die SBB ihn geschrieben hat, sondern wir ihn gemeinsam verhandelt haben.

Wie reagieren deine Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz auf dein starkes Engagement im SEV?

Sehr positiv! Ich bin bekannt dafür, dass ich weiss, was läuft oder zumindest weiss, wo die Information geholt werden können. Auch mein Chef unterstützt mich, zumal ich noch die Peko Fläche leite; er unterstützt mich oft, sodass wir uns gegenseitig helfen können.

Und trotzdem willst du Lokführer werden?

Genau! Es wäre völlig falsch zu sagen, ich wolle nicht mehr Zugverkehrsleiter sein, nein, das ist ein Superberuf, den ich liebe, aber: ich möchte Lokführer werden! Ich habe gefunden, es sei ein guter Zeitpunkt – wenn sie mich dann nehmen …

Im SEV wirkst du sehr seriös. Vor diesem Gespräch habe ich aber deine Facebook-Seite besucht und bin dort auf ein «verrücktes Huhn» gestossen, einen Menschen, der viel Witziges und Schräges von sich zeigt. Was bist du genau?

(lacht laut) Gut, hast du geschaut, sonst gibt es wirklich ein einseitiges Bild von mir! Ich bin sehr vieles. In erster Linie fröhlich und positiv, vor allem aber offen. Das ist mir das Wichtigste! Man sieht auf meiner Seite, dass ich beim Couchsurfing mitmache. So habe ich die ganze Welt bei mir zu Gast. Wenn man immer nur Leute aus der Schweiz hört, hat man eine bestimmte Meinung, aber wenn man hört, wie es den Menschen in Australien, Amerika, Kenia oder China geht, sieht man plötzlich andere Probleme. Das führt dazu, die eigene Situation zu relativieren. Ich mache das also nicht, damit ich gratis reisen und in der ganzen Welt übernachten kann, sondern um den Horizont zu erweitern.

Woher nimmst du die Energie für all das?

Von diesen Menschen! Diese Leute zu treffen, das sind immer positive Erfahrungen.

Interview: Peter Moor