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Am 1. Mai begegnen sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer Mischung aus Tradition und Erneuerung

Der Tag der Arbeit findet neue Formen für bleibende Anliegen

Am 1. Mai wird weltweit der Tag der Arbeit begangen. In der Schweiz ist er allerdings kein nationaler Feiertag; nur wenige Kantone sehen einen ganzen oder zumindest halben freien Tag vor. Dennoch gibt es überall Feiern – teils in traditioneller Form, teils mit neuen Ansätzen. Vier Beispiele für 1.-Mai-Feiern, bei denen der SEV mitwirkt: Zürich, Olten, Lausanne und Lugano.

Am Morgen der Umzug, dann Essen, ab Nachmittag Konzerte: Das Tessin feiert den Tag der Arbeit gemeinsam in Lugano.

Am meisten Aufmerksamkeit gilt in der Schweiz den Veranstaltungen in Zürich. Zum einen, weil dort international bekannte Rednerinnen und Redner auftreten, zum andern aber auch, weil es seit Jahren zu schweren Ausschreitungen ausserhalb der Maifeiern kam, zunehmend ohne politischen Hintergrund, sondern als reines Spektakel. Der SEV stand in den letzten Jahren eher abseits, doch dieses Jahr hat das Regionalsekretariat entschieden, wieder aktiver bei der Planung und der Veranstaltung mitzuwirken. «Ärgerlich ist, dass nach wie vor zwei Gruppierungen getrennte Veranstaltungen durchführen », hält Regionalsekretär Arne Hegland fest. Immerhin sieht er unter den meisten Gewerkschaften den Willen, eine lebendige Maifeier mit klarer politischer Aussage durchzuführen. Der Demonstrationszug startet um 10 Uhr an der Lagerstrasse, danach werden bei der Kundgebung auf dem Bürkliplatz Gewerkschaftsbundpräsident Paul Rechsteiner, der ägyptische Gewerkschafter Kamal Abbas und Schriftsteller Pedro Lenz sprechen. Schon ab dem 28. April findet auf dem Kasernenareal das 1.-Mai-Fest statt; zusammen mit Syndicom und VPOD lässt der SEV dort die Gewerkschaftsbeiz «Zur roten Eintracht» wieder aufleben.

Literarischer Beitrag

Der literarische Beitrag zum 1. Mai 2012 stammt von der Slam Poetin Lara Stoll. Sie liest ihn gleich selber vor.

Olten: gemeinsam statt einsam

In den 80er Jahren stand in Olten die 1.-Mai-Feier vor dem Ende. Gewerkschafter waren mit Sozialdemokraten zerstritten, eine erstarkte neue Linke aus Marxisten und Poch-Anhängern versuchte, die gewerkschaftliche Feier für eigene Anliegen umzubiegen. Da besann sich die Oltner Linke auf einen gewerkschaftlichen Grundgedanken: Gemeinsam geht es besser. Seither gibt es eine gemeinsame Feier, die mit Umzug und Reden traditionelle Werte pflegt, danach aber zum Volksfest wird.

Da im Kanton Solothurn der 1. Mai nur ein halber Feiertag ist, beginnt die Feier am frühen Nachmittag mit dem Umzug, der je nach Wetter zwischen 200 und 1000 Personen anzieht. Kinderbetreuung während den Reden, eine Tombola und ganze Waschbecken voll Sangria mit handgeschnittenen Fruchtstücken gehören dazu. Wesentlich ist aber der Abend, der ein breites Publikum anzieht. Es ist ein Volksfest mit Livemusik von lokalen Bands, die damit eine Auftrittsmöglichkeit erhalten.

Dass diese 1.-Mai-Feier eine erfolgreiche Tradition geworden ist, ist sehr stark das Verdienst von Urs Huber, seit einigen Jahren Gewerkschaftssekretär des SEV und schon vorher aktiver und antreibender Sozialdemokrat und Gewerkschafter.

Getragen wird der 1. Mai in Olten von einem Komitee, dem die verschiedenen Gewerkschaften und Parteien angehören, alle mit gleicher Stimmkraft und dem gemeinsamen Willen, die Einheit zu wahren.

Politischer Film in Lausanne

Die Maifeier in Lausanne wird wie üblich von einem Einheitskomitee organisiert, in dem auch die Linksparteien und die Gewerkschaften ausserhalb des SGB mitmachen. Der Waadtländer Gewerkschaftsbund USV führt diese Organisation an. Es gibt jeweils einen Umzug, der zwischen 500 und 1000 Personen anzieht. Letztes Jahr waren es über tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmer, weil der 1. Mai auf einen Sonntag fiel. Das 1.-Mai-Komitee entschied deshalb auch, die Feier auf dem grossen Platz in Ouchy direkt am See durchzuführen. Da nun der 1. Mai wieder mitten in der Woche liegt, gibt es ein eher traditionelles Programm. Es kommen ausschliesslich Lohnempfängerinnen und Lohnempfänger zu Wort, und der Umzug endet diesmal auf der Place de l’Europe, was Gelegenheit gibt, internationale Themen anzusprechen.

Neu gibt es dieses Jahr eine Filmvorführung am Abend: «Les lundis au soleil» von Fernando León de Aranoa. Ein Film, der nicht auf einer wahren Geschichte basiert, sondern auf Tausenden, wie die Ankündigung verspricht. Er zeigt die Auswirkungen der industriellen Wandlung der spanischen Stadt Vigo auf die Bevölkerung und erinnert auch an das Drama der Werften von Gijón.

Olivier Barraud, Regionalsekretär des SEV und Präsident des USV, hofft, dass sich die SEV-Mitglieder stärker engagieren und zahlreich an der Kundgebung teilnehmen. Einzelne Firmen geben ihrem Personal die Zeit, um an der Kundgebung teilzunehmen, andere gewähren sogar einen freien Tag. «Es gibt also keine Ausrede: Der 1. Mai ist das Symbol der gewerkschaftlichen Einheit», mahnt Olivier Barraud und erinnert daran, dass in früheren Zeiten Menschen ihr Leben gelassen haben im Kampf für den Achtstundentag. «An der Kundgebung teilnehmen heisst, diesen Kämpfern die Ehre zu erweisen und zu zeigen, dass der Einsatz weitergeht.»

Ein eigenes Tessiner Profil

Im Tessin wird der 1. Mai nun schon seit einigen Jahren mit einem ganztägigen Anlass in Lugano gefeiert. Dieser trägt mit Umzug und Reden der Tradition Rechnung, pflegt mit Mittag- und Abendessen Geselligkeit und dient der Gemeinschaft mit einer Reihe von Konzerten, die sich eher an ein junges Publikum richten. Dabei geht es darum, die jüngere Generation an den 1. Mai mit seiner ruhmreichen Geschichte heranzuführen. Jahre mit grosser Beteiligung haben sich mit teilweiser Interesselosigkeit abgewechselt.

In Zeiten des Wechsels und des Umbruchs will der Gewerkschaftsbund Tessin und Moesa die Arbeit wieder in den Mittelpunkt des Festtages stellen. Dazu gibt er dem Fest ein unverwechselbares Profil, das von der Werbung über das Thema bis zum Anlass an sich geht. Kulturell und politisch soll es auf die Eigenart der italienischen Schweiz ausgerichtet sein – die oft weit weg von Bern und den Deutschschweizer Machtzentren ist. Um die Idee des 1. Mai unter die Leute zu bringen, muss der Anlass nahe am Volk und seinen Anliegen sein. Es genügt nicht, Manifeste und Flugblätter zu verteilen. Der 1. Mai ist zu wichtig, als dass er kleinräumig versickern dürfte.

frg / Hes / pmo

Der 1. Mai ist der einzige weltweite Feiertag

Weihnachten feiert nur die christlich inspirierte Welt, Karneval ebenfalls. Neujahr ist nicht überall am 1. Januar. Nationalfeiertage gelten nur in den jeweiligen Nationen. Der einzig wirkliche weltumspannende Feiertag ist der 1. Mai. Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts erstarkende Arbeiterbewegung stellte vor allem den 8-Stunden-Tag in den Mittelpunkt ihrer Forderungen. Die US-amerikanischen Gewerkschaften wollten diese Forderung am 1. Mai 1886 durchdrücken. Denn der 1. Mai war in den USA der Tag, an dem die Arbeiter ihre neuen Arbeitsbedingungen aushandelten. In Chicago begann an diesem 1. Mai 1886 ein umfassender Streik, der am 4. Mai in einem Attentat auf die Polizei und einer offenen Strassenschlacht endete. In einem Farceprozess (Staatsanwalt Grimell: «Die Arbeiter sollen wie Ratten in ihre Höhlen zurück gejagt werden!») wurden anschliessend sieben Arbeiterführer zum Tod verurteilt, an vier wurde die Strafe vollzogen, einer beging in der Zelle Selbstmord, zwei wurden zu «lebenslänglich» begnadigt. 1893 wurden die Verurteilten, die ersten Märtyrer der Arbeiterbewegung, rehabilitiert.

Beschluss des Arbeiterkongresses

Auch in Europa und Australien erstarkte zu dieser Zeit die Arbeiterbewegung. Auch hier stand die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag im Zentrum. Deshalb erklärte der internationale Arbeiterkongress von Paris 1889 den 1. Mai zum «Tag der Arbeit». In allen Ländern solle am 1. Mai 1890 für den 8-Stunden- Tag und besseren Arbeitsschutz demonstriert werden. Bei der Wahl des 1. Mai spielte das Gedenken an den Streik von Chicago eine Rolle. Damit liess sich aber auch der Mythos vom Mai als grünem, fruchtbarem Monat, als Zeit des Aufbruchs verbinden.

Anfänge in der Schweiz

In der Schweiz wurde der 1. Mai 1890 bereits in 34 Orten gefeiert. Der SGB zählte damals knapp 5000 Mitglieder, die SPS war ganze 9 Monate alt. Einige Tausend dürften an diesem Tag auch der Arbeit fern geblieben sein, weitaus am meisten in Bern, wo am frühen Nachmittag bereits rund 2000 gezählt wurden, die durch die Stadt marschierten, schön geordnet nach den Gewerkschaften, denen sie angehörten. Regeren Zulauf hatten aber in den meisten Orten die Abendveranstaltungen. Die gute Quellenlage über die Teilnahme an den ersten 1.-Mai-Feiern rührt daher, dass der Generalbundesanwalt die Manifestationen systematisch bespitzeln liess …

1919: 50 000 in Zürich

1910 wurden in der Schweiz 96 Orte mit 1.-Mai-Feiern gezählt. Die grösste Schweizer 1.-Mai- Demo fand 1919 mit rund 50 000 Teilnehmenden in Zürich statt. Die weitere Geschichte des 1. Mai in der Schweiz – wie in der Welt – liest sich wie ein Abbild linker Geschichte. Innerlinke Richtungskämpfe prägten die 1.-Mai-Feiern vor allem in den Zwanziger, der Kampf gegen Faschismus in den Dreissiger und die allmähliche Integration in den sozialdemokratisch- gewerkschaftlich mitgeprägten Staat ab den Dreissiger Jahren.

Ab 1968 bringen die Neuen Linken und daraus entstehende Bewegungen – deren Exponenten heute zu einem guten Teil als Gewerkschaftsprofis tätig sind – sowie ausländische Gemeinschaften neue Farbe in die Demonstrationen.

Ewald Ackermann