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Präsident Pierre-Alain Gentil eröffnet SEV-Kongress mit kantiger Rede

«Ich bin der Bauleiter, nicht der Museumswärter»

Kongress 2007 - Der Einsatz fürs Personal in den Zeiten zunehmender Liberalisierung und Deregulierung im öffentlichen Verkehr steht im Mittelpunkt des Kongresses der Gewerkschaft SEV. Dieser findet heute und morgen in Bern statt; über 200 Delegierte nehmen daran teil. Zum Auftakt hat SEV-Präsident Pierre-Alain Gentil klar Position bezogen für eine starke und kämpferische Transportgewerkschaft.

Erstmals ist der jurassische Ständerat Pierre-Alain Gentil als Präsident vor den Kongress des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbands SEV getreten. Vor zwei Jahren hatte ihn dieses oberste Gremium an die Spitze der Transportgewerkschaft gewählt. In seiner Eingangsrede blickte er auf diese zwei Jahre zurück, aber auch voraus auf die kommenden Herausforderungen.

Grussbotschaften am SEV-Kongress

Rechsteiner: gegen Sozialabbau

Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Nationalrat Paul Rechsteiner, hat dem SEV in seiner kurzen Rede die Unterstützung der Gewerkschaftsbewegung im Kampf für einen starken und sozialen Service public zugesichert. Er rief alle Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf, am 17. Juni die IV-Revision abzulehnen und das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform zu unterzeichnen. „Steuergeschenke für ein paar Reiche in der Grössenordnung von Hunderten von Millionen Franken einerseits und kleinere IV-Renten für Geburtsinvalide, denen 83 Millionen abgezwackt werden andererseits: das ist die perverse Botschaft der bürgerlichen Mehrheit ein halbes Jahr vor den Wahlen.“ Die Gewerkschaftsmitglieder müssten sich daher in die Politik einmischen und vor allem auch mit ihrer Stimmabgabe im Herbst die Linke und die Grünen im Parlament stärken, „die in in den entscheidenden sozialen Fragen auf die sozialen Interessen Rücksicht nehmen.“ Dazu gehört für Rechsteiner auch der Kampf gegen eine Rentenaltererhöhung und für das Recht auf eine flexible soziale Frühpensionierung ab 62. Denn die Finanzierung der AHV sei so leistungsfähig, dass sie die Zunahme der Rentner/-innen auch ohne Erhöhung des Rentenalters weiterhin verkraften könne wie in den vergangen Jahren. Dringend nötig sei auch ein besserer Kündigungsschutz für Gewerkschafter/-innen in der schweizerischen Gesetzgebung.

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Meyer dankt öV-Personal für seine Kundenfreundlichkeit

Der SEV hat mit dem diesjährigen Kongress mit der Tradition gebrochen, die Vertreter der Transportunternehmen ebenfalls einzuladen und ans Rednerpult zu bitten. Mit einer Ausnahme: Der neue SBB-Chef Andreas Meyer erhielt die Gelegenheit, sich in einer Grussbotschaft an die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter zu wenden – über drei Viertel der SEV-Mitglieder sind SBB-Angestellte oder -Pensionierte. Meyer dankte den SBB-Mitarbeitenden für ihren wesentlichen Beitrag zum guten SBB-Ergebnis 2006 und speziell für ihre sprichwörtliche Kundenfreundlichkeit. Er betonte, dass die SBB eine integrierte Bahn mit Produktion, Infrastruktur und Rollmaterial unter einem Dach bleiben müsse, um die zu erwartenden 45-Prozent-Zunahme an Passagieren bis 2030 meistern zu können. Der Bundesrat stehe moralisch und rechtlich in der Pflicht gegenüber den SBB-Pensionierten, die noch Bundesbeamte gewesen waren, und müsse daher seinen Teil zur Sanierung der Pensionskasse leisten – so wie es die SBB schon getan habe. Den Schweizer Politikern riet er, der EU bei der Öffnung des Personennahverkehrs für den Wettbewerb nicht vorauszueilen. Dennoch müsse die SBB auch auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein und sich unternehmerisch entsprechend fit halten. Applaus erhielt er für seine Feststellung, dass ein GAV Normalspur nötig sei, damit faire Wettbewerbsregeln eingehalten werden. Er unterstrich, dass er glücklich sei darüber, dass der GAV SBB noch letztes Jahr abgeschlossen werden konnte, auch wenn deswegen im SBB-Budget 2007 nun 38 Millionen fehlten, die anderweitig eingespart werden müssten. SEV-Vizepräsident François Gatabin stellte dazu fest: „Allzu schlecht hat der SEV also nicht verhandelt. Es ist besser, dieses Geld ist in den Taschen der Mitarbeitenden als in jener des Chefs!“ Und er mahnte den SBB-Chef, dass ständige Leistungssteigerungen nicht möglich sind, ohne auch den Personalbestand entsprechend nach oben anzupassen.

Gentil begann mit einem Rückblick auf die GAV-Verhandlungen mit der SBB, die seine ersten beiden Jahre im Amt prägten. Er betonte, dass der Ton zwischen Unternehmen und Gewerkschaft deutlich schärfer geworden ist, und dass dies Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Gewerkschaft hat. Früher habe der Gewerkschafter seine Mitgliedschaft als eine Art Versicherung ansehen können, doch heute gehöre ein persönliches Engagement dazu. Er warnte die Mitglieder davor, mit ruhigeren Jahren zu rechnen. Die SBB habe gezeigt, dass sie trotz GAV jeden Spielraum nutze; der SEV müsse deshalb wachsam bleiben. Er hob hervor, dass dies auch für die Mitglieder aus andern Bahnen und Verkehrsbetrieben gelte, da diese sich bezüglich Arbeitsbedingungen ohnehin an der SBB orientierten.

Der SEV-Präsident widmete sich danach der Frage, ob eine Gewerkschaft auch über die Fragen der Arbeitsplatzsicherheit, der Löhne und Anstellungen hinaus politisch tätig sein solle. Seine Antwort fiel deutlich aus: Man könne gerade in der heutigen politischen Landschaft nicht einfach zuschauen, wie die Grundlagen für den öffentlichen Verkehr verwässert und untergraben würden – sowohl in der Schweiz als auch in Europa. Der SEV brauche Verbündete im politischen Kampf, der Nutzen sei gegenseitig.

Schliesslich ging er auf die Identität und Mentalität des SEV ein, ohne dabei die Frage der gescheiterten Fusion mit der Gewerkschaft Kommunikation näher anzusprechen. Diese wird am Nachmittag des ersten Kongresstages ausgiebig diskutiert. Gentil stellte klar, dass er den SEV als Gewerkschaft in andauernder Bewegung verstehe. Zwar habe in früheren Zeiten die Eisenbahn als stabile Heimat gedient, doch das Umfeld sei inzwischen in starker Bewegung, und die Gewerkschaft bewege sich mit. «Ich verstehe mich nicht als Wärter des SEV-Museums, sondern als Bauleiter des SEV-Hauses», erklärte er sein Selbstverständnis bildhaft. Dieses Haus müsse gelegentlich renoviert, aber auch ausgebaut werden, um allen Platz zu bieten, betonte er.