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Arbeitskampf

Vetropack: Hier wurde viel Glas zerschlagen

Am 14. Mai hat die Geschäftsleitung von Vetropack, der letzten Glasfabrik der Schweiz, rücksichtslos die Schliessung ihres Standorts in Saint-Prex (VD) und den Abbau von 182 Arbeitsplätzen angekündigt. Nach 7 Streiktagen erreichten die Beschäftigten die Aufnahme von Verhandlungen über den Sozialplan und den Erhalt von Industriearbeitsplätzen am Standort.

«Wir sind enttäuscht. Es ist inakzeptabel, dass man im Land der grossen Menschenrechtsorganisationen so behandelt wird. Wir haben unseren Arbeitgeber immer respektiert. Wir produzieren täglich eine Million Flaschen, aber man wirft uns weg wie ein abgebranntes Zündholz», fasst ein Vetropack-Arbeiter auf Anfrage von «L’Evénement syndical» zusammen, nachdem die Geschäftsleitung am 14. Mai bestätigte, den Standort der letzten Glasfabrik der Schweiz schliessen zu wollen.

Respekt

Die Geschäftsleitung hatte diese Ankündigung via Medien gemacht, noch bevor sie die Beschäftigten und die Gewerkschaften darüber informiert hatte. Sie sei nicht verpflichtet, einen Sozialplan auszuhandeln. Die Arbeitnehmer:innen und die Gewerkschaften waren über diese Kommunikation verärgert, wie ein Arbeiter erklärte: «Wir sind sauer, fühlen uns betrogen. Wir arbeiten sehr viel, an Weihnachten, Neujahr, an den Geburtstagen unserer Kinder. Wir haben nur ein ganzes freies Wochenende pro Monat. Wir wollen nicht mit Peanuts abgespeist werden, sondern fordern Respekt».

Vetropack lehnte die Vorschläge der Belegschaft ab, obwohl sie die Lebensfähigkeit der Waadtländer Fabrik belegten. Am 30. April hatten die Abeitnehmer:innen einen über 50-seitigen Bericht mit konkreten Vorschlägen zur Rettung des Unternehmens vorgelegt. Diese Vorschläge waren in Zusammenarbeit mit Ingenieur:innen der EPFL, Zulieferern, Produzenten und Politiker:innen auf kantonaler und eidgenössischer Ebene ausgearbeitet worden, als Antwort auf das Konsultationsverfahren, das der Konzern am 7. März mit Blick auf eine mögliche Schliessung ab Juli eingeleitet hatte. Er sprach von angeschlagener Wettbewerbsfähigkeit, negativen Entwicklungsaussichten oder einer nicht mehr gesicherten Rentabilität.

Keineswegs rote Zahlen

Vetropack schreibt jedoch keineswegs rote Zahlen. Dessen Gewinn stieg bis 2023 um 55 %, die Investitionen um 22,3 %, und für den Bau eines neuen Hightech-Standorts in Italien wurden 400 Millionen ausgegeben. Für «L’Evénement syndical» scheint die Strategie des Unternehmens klar zu sein: «Das jahrhundertealte Know-how von Saint-Prex soll liquidiert und die Mitarbeitenden, die Tag und Nacht unermüdlich arbeiten, im Stich gelassen werden, um die Profite und Dividenden zu erhöhen, zur Freude der Aktionäre.»

Obwohl mittels Petition mehr als 5000 Unterschriften gesammelt wurden und das Parlament und die Waadtländer Delegation im Nationalrat von links bis rechts einheitlich das Eingreifen des Staates zur Rettung der Fabrik forderten, stellt sich die Frage, warum der Bund so wenig Kampfgeist zeigt, um diese Schliessung zu verhindern – und weswegen er sich weigert, eine nationale Industriestrategie für Glas zu entwickeln. Es geht nicht nur um die strategische Herausforderung, das Know-how im Land zu erhalten, sondern auch um die ökologische Ebene.

Vetropack rezikliert 100 000 Tonnen

Jedes Jahr werden in der Schweiz 300 000 Tonnen Altglas gesammelt. Vetropack rezikliert 100 000 Tonnen davon. Daneben gibt es hierzulande keine nennenswerten Recyclinganlagen. Fast das gesamte Schweizer Altglas muss nun ins Ausland transportiert werden, um dort rezikliert zu werden – sei es ins österreichische Kremsmünster und Pöchlarn oder in das neue Werk in Boffalora sopra Ticino in Italien. Lange LKW-Transporte werden unvermeidlich sein, bei zunehmenden Emissionen und einer stärkeren Beanspruchung der Infrastrukturen. Im Jahr 2022 brüstete sich SBB Cargo damit, dass Vetropack dank der Bahntransporte rund 4302 LKW-Fahrten einsparen konnte. Wie sieht es nach der Schliessung der Fabrik damit aus?

In Saint-Prex jagt eine Vollver-sammlung die nächste. «Keine Entlassungen ohne Sozialplan», so die Parole der Unia und des Personals von Vetro-pack. Eine Woche nach der niederschmetternden Schliessunsankündigung können endlich Gespräche mit der Geschäftsleitung aufgenommen werden, die jedoch schnell im Sand verlaufen. Unterstützt von den Gewerk-schaften Unia und Syna beschliesst die Belegschaft am 23. Mai fast einstimmig, die Arbeit am nächsten Tag niederzulegen.

Im Streik

Am 24. Mai um 10 Uhr treten die Arbeiter:innen in den Streik. In der Umgebung der Fabrik werden Streikposten aufgestellt. Die Belegschaft be-kräftigt ihre legitimen Forderungen: Aufnahme echter Verhandlungen mit der Gewerkschaftsdelegation und in Absprache mit der gesamten Beleg-schaft, wie es der GAV von Vetropack verlangt; keine Entlassungen vor Ab-schluss der Verhandlungen und Unterzeichnung des Sozialplans; und Erhalt von Industriearbeitsplätzen am Standort Saint-Prex. Die Beschäftigten beschliessen, die Arbeit erst dann wieder aufzunehmen, wenn diese drei Forderungen von der Geschäftsleitung akzeptiert werden.

In drei Schichten wechseln sie sich rund um die Uhr ab, um den Schmelz-ofen zu beschicken. «Um die Anlage intakt zu halten, müssen wir die Arbeit während des Streiks fortsetzen, ohne Anweisung des Managements», erklärt der seit 28 Jahren bei Vetropack tätige Joaquim Teixeira. Die Schichten werden auch in den folgenden Tagen geleistet. Am frühen Nachmittag ist die Vollversammlung sehr gut besucht. Arbeiter:innen der Nachtschicht treffen auf Kolleg:innen der Tagschicht und auf solche, die nicht im Dienst sind. Alle sind begierig auf die Informatio-nen, die von Mitgliedern der Betriebskommission und den Gewerkschafts-sekretär:innen übermittelt werden.

Einen ersten Sieg

Der Sonntag, 26. Mai, bringt etwas Balsam für die Seelen der Streikenden. Sie werden von 700 Personen besucht. Darunter Unia-Präsidentin VaniaAlleva, die den Mut der Streikenden lobt, während Pierre-Yves Maillard, Chef des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, die mangelnde soziale Verantwortung des 1911 in Saint-Prex gegründeten multinationalen Unter-nehmens anprangert. Am Folgetag erringen die Streikenden einen ersten Sieg: Die Geschäftsleitung verschiebt die angekündigten Entlassungen auf Ende Juni. Ein Zeitplan für Verhandlungen wird aufgestellt.

Nach diesem Durchbruch werden zwei der vier Produktionslinien wieder eröffnet. Am 29. Mai wird eine Einigung über Ablauf und Modalitäten der Verhandlungen betreffend Sozialplan und Erhalt von Industriearbeitsplätzen erzielt. Der Streik wird ausgesetzt.

Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe waren die Gespräche noch nicht abgeschlossen.

Yves Sancey (mit L’Evénement syndical)