Deutsche Bahn: Investieren statt desintegrieren!
Beim Regierungsantritt im Herbst 2021 wollte die Koalition von SPD, Grünen und FDP im Koalitionsvertrag eine Aufspaltung der Deutschen Bahn (DB) in Infrastruktur und Betrieb festschreiben. Dagegen machte die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) mobil. Schliesslich einigte sich die Koalition auf eine Zusammenführung der beiden DB-Infrastrukturgesellschaften in eine «gemeinwohlorientierte Infrastruktur». Für diese weiterhin schwammige Reorganisation hat die EVG vor Kurzem rote Linien definiert, um eine Desintegration durch die Hintertür zu verhindern. Und sie fordert endlich genügend Mittel für den dringend nötigen Bahnausbau.
Obwohl die DB in sehr viele Einzelgesellschaften unterteilt ist, funktioniert sie bis heute nach dem Prinzip der «integrierten Bahn». Das heisst, der Betrieb und Unterhalt des Netzes und der Bahnbetrieb erfolgen aus einer Hand durch einen gemeinsamen Konzern – obschon die Europäische Kommission in ungebrochenem Glauben an die Segnungen des Wettbewerbs den Bahnbetrieb strikt von der Infrastruktur trennen will. Beim Regierungsantritt der «Ampel-Koalition» im Herbst 2021 wollten neben der FDP anfänglich auch die Grünen die DB aufspalten. Doch die EVG wehrte sich und organisierte am 16. November in Berlin eine Grosskundgebung – siehe «Der Deutschen Bahn droht die Aufspaltung» in SEV-Zeitung Nr. 14/2021.
Danach bekannten sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag zu einem integrierten DB-Konzern, erklärten darin aber die Absicht, die DB Netz AG und die DB Station & Service AG in eine neue «gemeinwohlorientierte Infrastruktursparte» zu überführen. «Gemeinwohlorientiert» heisst auch Verzicht auf die politische Vorgabe der Gewinnmaximierung. «Wenn die Eisenbahninfrastruktur jetzt auf das Gemeinwohl ausgerichtet sein soll, statt Gewinne abzuwerfen, dann ist das eine Chance und eine Herausforderung zugleich», schreibt dazu die EVG. «Denn es muss vor allem geklärt werden, wie eine dauerhafte Finanzierung der Anlagen und ihrer Instandhaltung aussieht.»
Reorganisation noch unklar
Susanne Henckel vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr nannte im November 2022 vier Schwerpunkte für die neue Infrastruktur-Gesellschaft «InfraGo»: Infrastruktur aus einer Hand durch Zusammenführung der DB-Sparten Netz und Station & Service; nachhaltig und einfacher finanzieren; Steuerung durch den Bund und höhere Transparenz durch Monitoring; lösungsorientiertes Vorgehen durch zeitnahe Gesetzesänderungen. Doch vieles blieb bisher unklar. Diesen April kritisierte die Monopolkommission, ein unabhängiges Beratungsgremium der Bundesregierung, dass eine vollständige Trennung von Infrastruktur und Transport vorteilhafter wäre. Auch die Unionsparteien CDU und CSU fordern die Trennung von Netz und Betrieb. Kurz: Die Desintegration ist politisch noch nicht vom Tisch.
Forderungen der EVG
Zur «gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte» hat der Bundesausschuss der EVG am 26. April folgende «roten Linien» verabschiedet:
1. Für die Schieneninfrastruktur und das gesamte System Schiene müssen langfristig mehr Mittel zur Verfügung stehen.
2. Keine Auflösung der sogenannten Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge, die sicherstellen, dass der DB-Konzern integriert handeln kann, operativ und finanziell. Denn dies bietet für das System Schiene insgesamt zahlreiche Vorteile. Zum Beispiel ist ein konzernweiter Arbeitsmarkt gerade in Zeiten des Fachkräftemangels immens wichtig.
3. Die beiden bisherigen DB-Infrastrukturgesellschaften DB Netz AG und DB Station & Service AG müssen in ihrer heutigen Struktur in die neue Infrastruktursparte übertragen werden und als eigenständige Geschäftsbereiche erhalten bleiben. Denn ihre über Jahrzehnte aufgebaute hochkomplexe Kompetenz für den Betrieb und Erhalt der Bahninfrastruktur darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
4. Die heutigen DB-Dienstleistungsgesellschaften müssen erhalten und Teil des integrierten Konzerns bleiben. Denn sie und ihr Knowhow sind für den Bahnbetrieb und Infrastrukturunterhalt unverzichtbar.
5. Keine Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung und Erhalt der Struktur der Mitbestimmungsgremien.
Noch fehlen Milliarden
«Klar ist eines: Die Eisenbahninfrastruktur ist seit Jahrzehnten hoffnungslos unterfinanziert. Sie ist überlastet und teilweise veraltet», hält die EVG fest. Zwar hat die Ampel-Koalition im März Massnahmen zur Förderung der Bahn im Umfang von zusätzlichen 45 Milliarden Euro bis 2027 angekündigt, doch finanziert sind davon erst 20 Milliarden durch die ebenfalls angekündigte Erhöhung und Ausweitung der Lkw-Maut. «Hier sind jetzt die Haushälter gefragt, den Willen der Koalitionsspitzen ohne Abstriche umzusetzen», betont der EVG-Vorsitzende Martin Burkert.
Vorgesehen sind die Zusatzmittel insbesondere für den Infrastrukturausbau und die Ausweitung des Angebots im Nahverkehr nach Einführung des 49-Euro-Deutschlandtickets sowie für die Förderung des Einzelwagenladungsverkehrs und des Kombinierten Verkehrs, vor allem durch weiterhin reduzierte Trassenpreise.
Markus Fischer
Tarifstreit hält an
Die EVG verhandelt derzeit für rund 230 000 Beschäftigte neue Tarifverträge, 180 000 davon arbeiten bei der DB. Diese brach am 26. April die dritte Gesprächsrunde ab. «Das kann bedeuten, dass es zu neuen Streiks kommt», sagte EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch. Am 21. April hat ein achtstündiger Warnstreik der EVG den Verkehr landesweit lahmlegt, wie schon der erste Warnstreik am 27. März. Die EVG fordert mindestens 650 Euro mehr pro Monat für alle, und dass alle ohne Zulagen den Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde erreichen.