Auswirkungen der Pandemie
Kinder bezahlen hohen Preis
Covid-19 treffe Kinder in einem noch nie dagewesenen Ausmass und sei die schlimmste Krise für Kinder, die das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) in seiner 75-jährigen Geschichte erlebt habe, schreibt Unicef in einem im Dezember publizierten Bericht. Die Pandemie mache praktisch alle Fortschritte für Kinder zunichte und stürze 100 Millionen Kinder mehr in die Armut.
Der Bericht «Preventing a lost decade: Urgent action to reverse the devastating impact of Covid-19 on children and young people» (Damit kein Jahrzehnt verloren geht: Dringende Massnahmen, um die verheerenden Auswirkungen von Covid-19 auf Kinder und Jugendliche rückgängig zu machen) zeigt auf, wie Covid-19 die jahrzehntelangen Fortschritte bei den wichtigsten Herausforderungen für Kinder wie Armut, Ernährung, Gesundheit, Zugang zu Bildung, Kinderschutz und psychisches Wohlbefinden gefährdet. Der Bericht warnt davor, dass sich die weitreichenden Auswirkungen der Pandemie auch fast zwei Jahre nach deren Ausbruch weiter verstärken, die Armut vergrössern, die Ungleichheit verschärfen und die Rechte der Kinder in bisher unbekanntem Ausmass bedrohen.
«Seit ihrer Gründung hat Unicef dazu beigetragen, ein gesünderes und sichereres Umfeld für Kinder auf der ganzen Welt zu schaffen, mit grossen Erfolgen für Millionen Menschen», sagt Unicef-Exekutivdirektorin Henrietta Fore. «Diese Errungenschaften sind nun in Gefahr. Die Covid-19-Pandemie ist die grösste Bedrohung für den Fortschritt für Kinder in unserer 75-jährigen Geschichte. Während die Zahl der Kinder, die hungern, nicht in die Schule gehen, missbraucht werden, in Armut leben oder zwangsverheiratet werden, steigt, sinkt die Zahl jener Kinder, die Zugang zu medizinischer Versorgung, Impfstoffen, ausreichender Nahrung und wichtigen Dienstleistungen haben.»
Dem Bericht zufolge leben heute wegen der Pandemie schätzungsweise 100 Millionen zusätzliche Kinder in mehrdimensionaler Armut. Das entspricht einem Anstieg von rund acht Prozent seit 2019 bzw. etwa 1,8 Kindern pro Sekunde seit Mitte März 2020. Im günstigsten Fall werde es sieben bis acht Jahre dauern, bis das Niveau der Kinderarmut, das vor der Pandemie bestand, wieder erreicht sei.
Gemäss Bericht leben heute rund 60 Millionen Kinder mehr in von Armut betroffenen Haushalten als noch vor der Pandemie. Darüber hinaus haben im Jahr 2020 mehr als 23 Millionen Kinder keine wichtigen Impfstoffe erhalten – ein Anstieg um fast 4 Millionen gegenüber 2019 und die höchste Zahl seit elf Jahren.
Bereits vor der Pandemie litten weltweit etwa eine Milliarde Kinder unter mindestens einem schweren Missstand: ohne Zugang zu Bildung, Gesundheit, Unterkunft, Ernährung, sanitären Einrichtungen oder Wasser. Diese Zahl steigt nun, da der ungleiche Aufschwung die Kluft zwischen wohlhabenden und armen Kindern weiter vergrössert, wobei die am stärksten ausgegrenzten und verletzlichen Kinder am meisten betroffen sind.
Der Bericht stellt fest:
• Auf dem Höhepunkt der Covid-Krise gingen mehr als 1,5 Milliarden Schülerinnen und Schüler wegen der landesweiten Schulschliessungen nicht in die Schule. Weltweit fiel im ersten Jahr der Krise fast 80 % des Unterrichts aus.
• Von psychischen Erkrankungen sind weltweit mehr als 13 % der Jugendlichen im Alter von zehn bis 19 Jahren betroffen. Bis Oktober 2020 hatte die Pandemie in 93 % der Länder weltweit wichtige psychische Gesundheitsdienste unterbrochen oder zum Erliegen gebracht.
• Durch die Pandemie besteht die Gefahr, dass bis Ende Jahrzehnt bis zu zehn Millionen zusätzliche Kinderehen geschlossen werden.
• Die Zahl der Kinder, die Kinderarbeit leisten, ist in den letzten vier Jahren weltweit um 8,4 Millionen auf 160 Millionen gestiegen. Bis Ende 2022 besteht die Gefahr, dass weitere neun Millionen Kinder aufgrund der Zunahme der Armut in die Kinderarbeit gedrängt werden.
• Auf dem Höhepunkt der Pandemie lebten 1,8 Milliarden Kinder in den 104 Ländern, in denen die Dienste zur Gewaltprävention und -bekämpfung weitgehend unterbrochen waren.
• 50 Millionen Kinder leiden an lebensbedrohlicher akuter Mangelernährung. Diese Zahl könnte sich bis 2022 wegen der Auswirkungen der Pandemie auf die Ernährung der Kinder, auf die Ernährungsdienste und die Ernährungsgewohnheiten um 9 Millionen erhöhen.
Der Bericht warnt vor weiteren Bedrohungen für die Kinder neben der Pandemie: Weltweit leben 426 Millionen Kinder – fast jedes fünfte Kind – in Gebieten, wo Konflikte immer mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern, was Kinder besonders stark trifft. Frauen und Mädchen sind am stärksten von konfliktbedingter sexueller Gewalt bedroht. 80 % aller humanitären Notlagen sind durch Konflikte verursacht. Auch leben etwa eine Milliarde Kinder – fast die Hälfte weltweit – in Ländern, die durch die Folgen des Klimawandels extrem gefährdet sind.
Um die Situation und die Zukunftschancen der Kinder zu verbessern, ruft Unicef auf …
• zu Investitionen in Sozialschutz, Humankapital und Ausgaben für eine integrative und widerstandsfähige Erholung;
• zur Beendigung der Pandemie und Wiederaufholung des Rückschritts bei der Gesundheits- und Ernährungssituation der Kinder auch durch Nutzung der entscheidenden Rolle von Unicef bei der Verteilung von Covid-19-Impfstoffen;
• zur Gewährleistung von hochwertiger Bildung, Schutz und psychischer Gesundheit für jedes Kind;
• zum Aufbau von Resilienz, um Krisen besser vorzubeugen, besser auf sie zu reagieren und Kinder vor ihnen zu schützen – inklusive neuer Ansätze zur Beendigung von Hungersnöten, zum Schutz von Kindern vor dem Klimawandel und zur Finanzierung der Katastrophenhilfe.
«Angesichts globaler Pandemien, zunehmender Konflikte und des sich verschärfenden Klimawandels ist ein Ansatz, bei dem das Kind im Mittelpunkt steht, wichtiger denn je», sagt Henrietta Fore. «Wir befinden uns an einem Scheideweg. Während wir mit Regierungen, Gebern und anderen Organisationen zusammenarbeiten, um unseren gemeinsamen Weg für die nächsten 75 Jahre festzulegen, müssen wir dafür sorgen, dass die Kinder bei den Investitionen an erster Stelle stehen und bei den Kürzungen an letzter. Unsere Zukunft wird durch die Prioritäten bestimmt, die wir in unserer Gegenwart setzen.»
Medienmitteilung von Unicef Schweiz vom 9.12.2021; Foto: Unicef