Einzelwagenladungsverkehr
Güterverkehr: Anteil der Bahn nicht nur halten, sondern erhöhen!
Der Bundesrat hat am 30. März den Bericht «Zukünftige Ausrichtung des Schienengüterverkehrs in der Fläche» verabschiedet. Dazu soll nun das Departement Uvek bis Ende September eine Vernehmlassungsvorlage mit zwei «Stossrichtungen» erarbeiten: Einstellung des Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV) oder Weiterentwicklung mit Finanzhilfe des Bundes. Der Bericht empfiehlt Weiterentwicklung. Der SEV begrüsst dieses Bekenntnis zum EWLV, fordert aber eine dritte Stossrichtung auf der Basis eines ambitionierten Verlagerungsziels.
«Schienengüterverkehr in der Fläche» ist – im Gegensatz zum Transitverkehr – der Binnen-, Import- und Exportverkehr. Hier fokussiert der Bericht auf eine von drei Produktionsformen, den EWLV. Dieser macht mit jährlich rund 600'000 zugestellten Wagen 58% des Schienengüterverkehrs in der Fläche aus, die Ganzzüge 30% und der Kombinierte Verkehr 12% (Stand 2019). Im Zentrum des Berichts steht die Frage, ob der EWLV eingestellt oder weiterentwickelt und verbessert werden soll, und wenn ja, wie.
Im EWLV werden einzelne Wagen oder Wagengruppen aus Anschlussgleisen oder Terminals für den Umschlag zwischen Bahn, Strasse und/oder Schiff gesammelt, zu Zügen formiert und in Rangierbahnhöfe gefahren. Dort werden sie je nach Bestimmungsort neu zusammengestellt und am Zielbahnhof wieder verteilt. Diese Produktionsform ist ziemlich aufwändig, bietet aber der Wirtschaft ein umweltfreundliches und zuverlässiges Zustellnetz als Alternative zum staugeplagten Strassentransport.
Der EWLV wird in der Schweiz grösstenteils von der SBB Cargo AG als Systemführerin betrieben. Beteiligt sind aber auch andere Bahnen, und SBB Infrastruktur erledigt in den grossen Rangierbahnhöfen das Rangieren.
Eigenwirtschaftlicher Betrieb unmöglich
Anlass zum Bericht gab die fehlende Rentabilität des EWLV. SBB Cargo hat es in den letzten Jahren trotz diverser Massnahmen zur Effizienzsteigerung und Kostenreduktion nicht geschafft, den EWLV ohne Betriebsbeiträge des Bundes kostendeckend zu betreiben. Diese Beiträge sind weggefallen wegen dem neuen Art. 2 Abs. 2 im revidierten Gütertransportgesetz von 2015, den der SEV vergeblich bekämpfte: «Angebote des Gütertransports auf der Schiene müssen eigenwirtschaftlich sein. Der Bund kann jedoch: a. sich an Bestellungen von Angeboten durch Kantone beteiligen; b. die Entwicklung von neuen Angeboten fördern.» Bisher hat nur der Kanton Graubünden EWLV-Leistungen bestellt.
EWLV aufgeben oder fördern?
Für die Zukunft des EWLV zeigt der Bericht zwei «Stossrichtungen» auf:
• Stossrichtung 1: Fortführung der Eigenwirtschaftlichkeit und darum Verzicht auf eine finanzielle Förderung des EWLV, was auf dessen Einstellung und die Fokussierung des Schienengüterverkehrs auf Ganzzüge hinausläuft. Der Grossteil des EWLV würde auf die Strasse verlagert, bis zu 650'000 zusätzliche Lastwagenfahrten pro Jahr wären die Folge. Um das Klima zu schützen, würde die Dekarbonisierung der Lastwagen vorangetrieben.
• Stossrichtung 2: Weiterentwicklung des EWLV durch regulatorische und organisatorische Massnahmen sowie finanzielle Förderung: Erstens durch punktuelle Anreize für Verlader im Umfang von rund 20 Mio. Franken pro Jahr. Zweitens durch ein Investitionsprogramm im Rahmen einer Leistungsvereinbarung von acht Jahren, um das Angebot für die Verlader attraktiver zu machen und die Produktivität zu verbessern, zum Beispiel dank der Digitalen Automatischen Kupplung und IT-Tools zur effizienteren Bewirtschaftung des Angebots und zur Erleichterung des Zugangs für die Kundschaft. Kosten: rund 200 Mio. in acht Jahren. Drittens durch Bestellung und Abgeltung des Angebots innerhalb der Leistungsvereinbarung, was den Bund rund 40 bis 60 Mio. pro Jahr kostet. Gesamtkosten über acht Jahre: rund 760 Mio.
Der Bericht empfiehlt Stossrichtung 2, was er so begründet: «Die verkehrspolitischen und volkswirtschaftlichen Bewertungen zeigen, dass … die Risiken und volkswirtschaftlichen Nachteile einer Einstellung des Angebots im EWLV durch SBB Cargo grösser als die vor allem finanzpolitischen Chancen einer Umstellung auf den Strassengüterverkehr sind. Zusätzliche Treibhausgas- und Umweltemissionen, die zusätzliche Belastung der Strasseninfrastrukturen und die Anforderung an die Verlader, die Logistikketten umzustellen und hierfür Investitionen vornehmen zu müssen, sind massgebliche Faktoren. Dem steht die Chance gegenüber, dass mit der Entwicklung des Netzwerkangebots die verladende Wirtschaft weiterhin und vermehrt attraktive Transportangebote auf der Schiene in Anspruch nehmen kann, die einen Anteil an die umwelt- und klimapolitischen Ziele der Schweiz leisten.»
Zudem schlägt der Bericht eine Rekapitalisierung von SBB Cargo vor.
Was sagt der SEV dazu?
Interview mit Daniela Lehmann, Koordinatorin Verkehrspolitik SEV, und Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn, Leiter Team Cargo:
Wie beurteilt ihr den Bericht insgesamt?
Philipp Hadorn: Ich bin froh, dass der Bericht zum Schluss kommt, dass der EWLV aufrechterhalten und weiterentwickelt werden soll als nachhaltiges und für die Wirtschaft attraktives Netzwerkangebot. Das ist genau die richtige Stossrichtung. Bedenklich ist aber, dass der Bericht die Befürchtungen bestätigt, die der SEV bei der Revision des Gütertransportgesetzes im Jahr 2015 geäussert hat: Die damaligen Anpassungen waren völlig unzureichend und haben nicht zur gewünschten Verlagerung von der Strasse auf die Schiene geführt. Der Bericht zeigt in aller Deutlichkeit auf, dass ohne zusätzliche Massnahmen und Mittel die Verlagerung nicht vorangetrieben werden kann.
Daniela Lehmann: Das Bekenntnis zur Weiterentwicklung des EWLV ist wichtig, doch fehlt ein klares Verlagerungsziel. Die Autoren haben offenbar vor allem geschaut, wie der jetzige Modal Split in die Zukunft gerettet werden kann, und entsprechende Massnahmen vorgeschlagen. Zum Schutz des Klimas braucht es aber eine zusätzliche Verlagerung auf die Schiene. Darum muss das Uvek für die Vernehmlassung eine dritte Stossrichtung mit einem ambitionierten Verlagerungsziel ausarbeiten. Aus Sicht des SEV muss der Bahnanteil im Binnengüter-, Import- und Exportverkehr von heute rund 21% bis 2050 verdoppelt werden.
Philipp Hadorn: Die Vorlage muss auch konkretisieren, mit welchen Mitteln und über welche Meilensteine dieses Ziel erreicht werden soll. Nötig ist möglicherweise gar ein neuer Rangierbahnhof neben weiteren Infrastrukturen, deren Planung und Bau viele Jahre dauert. Also muss diese Planung rasch beginnen.
Der Bericht widerspricht der Behauptung, dass der EWLV in der Schweiz keinen Sinn mache, weil die Distanzen zu klein seien und Lastwagen immer klimafreundlicher würden…
Daniela Lehmann: Genau, der Bericht verweist auf die schon jetzt hohe Auslastung vieler Strassen und auf die bis zu 650'000 zusätzlichen Lastwagenfahrten pro Jahr, welche die Einstellung des EWLV auslösen würde. Die Folge wären zusätzliche Staus, zumal ein Strassenausbau in der engen Schweiz nur beschränkt möglich ist. Zweite Folge wären mehr Klimagase, weil die Umrüstung der Lastwagen auf Wasserstoffantrieb Zeit benötigt und die Wasserstoffherstellung sehr energiefressend ist. Der energieeffizienteste Verkehrsträger bleibt der Schienenverkehr. So verbrauchte der Transport auf der Strasse 2019 pro Tonnenkilometer 1,5 Petajoule, wohingegen der Transport auf der Schiene mit 0,18 Petajoule auskam. Gemäss Bericht verbraucht der Schienengüterverkehr auch vier- bis fünfmal weniger Fläche pro Tonnenkilometer als der Strassengüterverkehr und ist mit achtmal tieferen Unfallkosten pro Tonnenkilometer deutlich sicherer. Andere Länder wie Deutschland bereuen heute, dass sie den EWLV abgebaut haben. Dieser muss nun mit viel Aufwand wieder aufgebaut werden.
Was erwartet ihr von SBB Cargo?
Philipp Hadorn: Mehr Dienstleistungs- und Kundenorientiertheit, wobei auch die Verlader verlässliche Partner sein müssen. Es braucht neues Vertrauen auf allen Seiten, vor allem auch gegenüber den Mitarbeitenden. Auf diese muss SBB Cargo besser hören und das Know-how sichern, das durch Personalabgänge abfliesst. Und ein wenig Ruhe und Stabilität in die eigene Organisation bringt, statt ständig neue Reorganisationen anzureissen, bevor die letzte abgeschlossen ist. Die Mitarbeitenden sollen einfach mal ihren Job machen können. Die Reorganisationen waren die Reaktion auf den Finanzdruck bedingt durch die unrealistische Vorgabe der Eigenwirtschaftlichkeit. Finanzhilfen für den Betrieb des EWLV sind aber unverzichtbar und auch richtig, weil dieser letztlich ein Service public sein soll. Der Bericht macht dazu taugliche Vorschläge, die Details sind noch anzuschauen. Und der Verwaltungsrat von SBB Cargo muss eine Wachstumsstrategie entwickeln, die von den Transporteuren mitgetragen wird.
Auf jeden Fall stehen beim EWLV hunderte von Arbeitsplätzen auf dem Spiel …
Philipp Hadorn: Klar, mit dem Abbauszenario würde eine einschneidende Stellenreduktion drohen, die über das bisherige Sterben in Raten noch hinausginge. Ein No-Go, das kostspielig wäre und dem Güterverkehr nachhaltig schaden würde. Das Aufbauszenario aber gibt SBB Cargo und ihrem engagierten Personal wieder Zukunftsperspektiven, die heute fehlen.
Markus Fischer