Arbeitsformen
Homeoffice als Allheilmittel?
Während der Corona-Krise hat sich Homeoffice weitgehend durchgesetzt. 1,4 Millionen Personen haben zu Hause gearbeitet. War diese Form der Arbeit zuvor für viele Unternehmen und Angestellte undenkbar, wurde sie von einem Tag auf den andern zur Norm. Aber nicht alles ist rosig.
Homeoffice ist zurzeit im Aufwind. Gemäss einer Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern von Ende Mai würden gegen 80% der Befragten auch nach der Krise im Homeoffice arbeiten, und 89% finden, diese Arbeitsweise müsse durch die Unternehmen gefördert werden. Die bessere Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben sowie der Wegfall der Reisezeiten gehören zu den wichtigsten Gründen für diese Zufriedenheit. Der Wegfall der Fahrten ist ein Vorteil fürs Privatleben, aber auch zur Entlastung der Verkehrswege. Die Resultate lassen Stimmen laut werden, die Homeoffice unterstützen, so etwa Katja Gentinetta, Politphilosophin und Kolumnistin der NZZ. Im Westschweizer Radio hat sie erklärt, dass Homeoffice seit Jahren von vielen Beschäftigten gefordert werde, «von Frauen, von Vätern, aber die Arbeitgeber waren eher zurückhaltend, weil sie es für wenig nützlich hielten. Nun hat man gesehen, dass es funktioniert, vielleicht nicht perfekt, aber es lohnt sich, einiges davon beizubehalten.»
Nicht alles ist rosa
Homeoffice hat aber auch (grosse) Nachteile. Gemäss der Umfrage war die Kinderbetreuung für 41% der Befragten problematisch, vor allem für Frauen. Das überrascht nicht, da die Arbeitsteilung im Haushalt dazu führt, dass sie meistens für Hausarbeiten und Heimunterricht der Kinder zuständig sind. Ein weiterer Nachteil wurde von David Giauque in mehreren Westschweizer Zeitungen am 23. Mai genannt: Der Professor am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung (IDHEAP) warnt, dass «Innovation und Kreativität unter der Heimarbeit leiden, da diese die Arbeit individualisiert und den direkten Ideenaustauch verhindert. Sie schadet der kollektiven Intelligenz.»
Die Umfrage von gfs.bern zeigt zudem auf, dass im sozialen Bereich 71% der Befragten unter dem Mangel an persönlichem Kontakt mit Kolleginnen und Kollegen und 64% unter Einsamkeit leiden.
Wer bezahlt die Kosten?
Homeoffice verursacht Kosten (z.B. Internet, Strom). Gemäss der Umfrage übernehmen 45% der Unternehmen überhaupt keine Kosten, während nur 9% diese vollständig decken. Die Übrigen zahlen meistens die technischen Kosten, wie Lukas Golder von gfs.bern erläutert. Luca Cirigliano, Zentralsekretär beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund, erinnert daran, dass das Gesetz festlegt, dass «der/die Angestellte Anrecht auf die Rückerstattung der Kosten hat, die bei der Ausübung der Arbeit anfallen. Bedingung: Die Kosten müssen tatsächlich für die vom Arbeitgeber angeordneten Aufgaben nötig sein. Dazu gehören Strom, Internet, Papier, Reparaturen usw. In bestimmten Fällen sogar ein Teil der Miete. Ohne Übernahme dieser Kosten könnte der Arbeitgeber Mieten, Mobiliar und Infrastruktur auf dem Rücken des Personals einsparen.» Homeoffice braucht klare Regeln, die einen Wildwuchs verhindern und sicherstellen, dass das Personal geschützt ist. «Arbeitgeber nehmen heute häufig ihre gesetzlichen Pflichten beim Homeoffice nicht war. Das Arbeitsgesetz (ArG) gilt auch für die Arbeit zu Hause vollumfänglich – egal ob angeordnet oder auf Wunsch der Beschäftigten. Das heisst: Der Arbeitgeber ist von Gesetzes wegen verpflichtet, für eine ergonomische Ausrüstung und Einrichtung (Möbel, Bildschirme, Tastatur, aber auch Licht etc.) sowie für die Einhaltung des Schutzes gegen Burnout und Überarbeitung (Pausen, Recht auf Nicht-Erreichbarkeit) zu sorgen. Weiter muss der Arbeitgeber den Datenschutz bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einhalten und deren Überwachung vermeiden.»
GAV als Schutz vor Missbrauch
Die Regeln sind klar: Arbeitsgesetz, Obligationenrecht und Datenschutzgesetz gelten umfassend für Heimarbeit. Die Gerichte haben inzwischen in dieser Sache eine Praxis festgelegt, die eigentlich den Arbeitnehmenden einen guten Schutz bietet. «Leider bleiben diese Regeln und die Rechtsprechung der Gerichte häufig toter Buchstabe. Denn Arbeitnehmende, die sich einzeln wehren, riskieren wegen dem notorisch ungenügenden Kündigungsschutz in der Schweiz schlicht den Rausschmiss. Und die Arbeitsinspektorate sind häufig personell und finanziell unterdotiert und kümmern sich nicht um das Homeoffice», analysiert Luca Cirigliano.
Die beste Lösung für den Schutz der Angestellten liegt deshalb darin, aus der Logik der individuellen Verteidigung herauszukommen. «Die Gewerkschaften sind mit der gemeinschaftlichen Verteidigung der Arbeitnehmerrechte die passende Lösung, denn Gesamtarbeitsverträge ermöglichen es, dem Homeoffice einen Rahmen zu geben.»
Neben der Ergonomie, den Kosten und den Fragen zur Arbeitszeit bieten GAV auch Raum für Bestimmungen zur Freiwilligkeit des Homeoffice, des Anrechts auf mindestens einen Arbeitstag vor Ort zur Verhinderung der Isolation, die Anpassung der Zielvorgaben bei gleichzeitiger Betreuung von Kindern oder Angehörigen sowie, mit dem Beizug von Fachleuten des Gesundheitsschutzes, die Definition von Gesundheitsmassnahmen und Kontrollen im Homeoffice. «Sollten sich GAV in diesem Bereich nicht durchsetzen, ist die Frage der Arbeitsinspektion im Homeoffice zu lösen, und eventuell sind klare Spesenregelungen und spezifische Datenschutzregeln auf Verordnungs- oder Gesetzesebene zu verlangen», schliesst Cirigliano.
Vivian Bologna/ Übersetzung: Peter Moor