SGB-Jahresziele 2020
Gegen die neoliberale Logik
Die neoliberale Wirtschaft schadet der Solidarität. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) kritisiert den Zustand der Wirtschaft und die Auswirkungen auf die Gesellschaft. Er lanciert eine Initiative für die 13. AHV-Rente und führt den Kampf gegen die Lohndiskriminierung der Frauen weiter.
Wir haben einen Punkt erreicht, wo es vorkommt, dass Arbeit nicht mehr vor Armut und Unsicherheit schützt. Das Vertrauen in die Institutionen schwindet, während der Trend zum Rückzug auf sich selbst wächst, was nicht zum Guten führen kann. Und auch die Schweiz muss sich mit den Fragen zu Gerechtigkeit und Gleichstellung auseinandersetzen, die insbesondere von den Frauen gestellt werden, die mit dem Streik vom 14. Juni 2019 eine soziale Bewegung ausgelöst haben, die im Gleichschritt mit der Klimabewegung vorangeht.
Für den SGB steht ausser Zweifel, «dass die zunehmend wirtschaftsliberale Ausrichtung der Sozial- und Wirtschaftspolitik der letzten 30 Jahre in der Schweiz zu einer Entsolidarisierung geführt hat.» An der Medienkonferenz zum Jahresanfang verdeutlicht SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard: «Die Entsolidarisierung der Gesellschaft kommt in schleichender Form daher. Ich denke beispielsweise an die Prekarisierung der Arbeit, die oft unter dem Deckmantel neuer Anforderungen aufgrund der Digitalisierung versteckt wird, an Auslagerungen, an den Einsatz von Temporärpersonal und die Vergabe an Subunternehmer. Die Arbeitgeber erwarten Flexibilität, aber nur in einer Richtung. Über die Arbeitswelt hinaus erleben wir eine Form von Segregation der Wohnformen, weil die Mietzinspolitik eine Durchmischung verhindert.» In den letzten 30 Jahren sei die Solidarität immer stärker dem Wettbewerbsdenken geopfert worden, erklärt Chefökonom Daniel Lampart. «Es ist daher keine Überraschung, wenn sich heute viele Personen ausgeschlossen fühlen.» Das birgt das Risiko eines Kriegs unter den Armen, während die Reichen sich zunehmend die Privilegien sichern.
Maillard fordert, dass der Staat wieder die strategische Führung übernimmt, damit die Mechanismen der Solidarität wieder Wirkung zeigen. Denn nur so kann sich der soziale Zusammenhalt entfalten, der für eine gerechte und offene Gesellschaft unentbehrlich ist. «Nur gemeinsam kann die Gesellschaft den grossen sozialen und ökologischen Herausforderungen begegnen», betont der Präsident.
Es wird jedoch schwierig sein, die arbeitende Bevölkerung wirklich zu schützen, ohne die Logik des Neoliberalismus zu überwinden. Unia-Präsidentin Vania Alleva stellt fest: «Seit Jahren werden die solidarischen staatlichen Institutionen von den neoliberalen, nationalistischen und konservativen Kräften attackiert. Diese träumen von einer Welt, in der Wettbewerb ohne Grenzen und Regeln möglich ist, kurz gesagt, das Recht des Stärkeren. Im Visier der Rechten ist die Sozialpartnerschaft, also die Gewerkschaften.»
Ein weiteres Problem ist die «Uberisierung» des Marktes, also die Ausbreitung der «Plattform-Wirtschaft», die das Personal in die Scheinselbstständigkeit treibt und ihm keinen sozialen Schutz bietet. Die Uberisierung der Arbeit bedeutet, dass Arbeitskraft und Fähigkeiten nur nach Bedarf eingekauft werden, womit Firmenstrukturen aufgelöst und der Arbeitsmarkt weiter flexibilisiert werden. Die Folge sind Tausende von scheinbar Selbstständigen, was letztlich zu einem neuen Prekariat führt.
Wie lässt sich solchen Angriffen begegnen? Vorab mit dem Abschluss weiterer Gesamtarbeitsverträge, die klare Regeln zu den Arbeitsbedingungen und den Rechten der Beschäftigten festlegen. Zudem gilt es, die Missbräuche und Tieflöhne verstärkt zu bekämpfen, die besonders für Frauen ein grosses Problem darstellen. «Es ist aber auch wichtig, mit allen Mitteln die flankierenden Massnahmen zu verteidigen, welche die SVP mit ihrer Initiative gegen die Personenfreizügigkeit sabotieren will», ergänzt Alleva.
Zu den wichtigsten Zielen des SGB gehört die Stärkung der ersten Säule der Altersvorsorge. Daniel Lampart betont: «In der Vorsorge sinkt die Solidarität. Die tiefen Erträge der zweiten Säule müssen durch die dritte Säule ausgeglichen werden, also durch eine persönliche Vorsorge. Für Menschen mit wenig Einkommen ist dies keine Perspektive.» Aus diesem Grund gehen die Gewerkschaften 2020 in die Offensive und lancieren im März eine Volksinitiative, die eine 13. AHV-Rente verlangt. Zudem ist eine nationale Lohnkampagne vorgesehen.
Als wäre der Druck auf die Arbeitenden nicht schon gross genug, werden auch noch die Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit und Invalidität geschwächt. Für den SGB steht die Finanz- und Abgabenpolitik im Dienst der oberen Schichten: Steuergeschenke für hohe Einkommen und ungenügende Prämienvergünstigungen für den Rest der Bevölkerung. Es braucht einen klaren Kurswechsel.
Françoise Gehring/SGB/Übersetzung: Peter Moor