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Tuti und 9 Frauen setzen sich für Bähnlerinnen ein

Neben Giorgio Tuti v.l.n.r.: Marie Poinsel (Frankreich), Michaela Nemeckova (Belgien), Plamena Kolev Zhelyazkova (Bulgarien), Maria Cristina Marzola (Italien), Isabell Gwenger (Österreich), Jolanta Skalska (D), Sabine Trier (Belgien), Katarina Mindum (Kroatien), Michelle Rodgers (GB).

SEV-Chef Giorgio Tuti ist auch oberster Bahngewerkschafter der EU. Mit Kolleginnen zusammen hat er jetzt einen gewieften Gleichstellungsplan ausgeheckt.

Jetzt geht Giorgio Tuti (55) auf tutti, deshalb ist er nach Brüssel gefahren. Aber nicht alleine. Neun Frauen begleiten den obersten Bähnlergewerkschafter der Schweiz und der EU. Sie alle sind kampferprobte Bahn-Gewerkschafterinnen aus Italien, England, Deutschland, Kroatien, Frankreich, Bulgarien und Österreich. Tuti, der Hahn im Korb? Ja, aber die Gründe für die Frauen-Entourage sind hochpolitisch. Schliesslich sind weibliche Bahnangestellte in ganz Europa eine Seltenheit (siehe Box). Auch bei der SBB: Nur gerade 2,8% ihrer Triebfahrzeugführenden sind Frauen. Das sind keine 100 Lokführerinnen. Nur wenig besser ist die Gesamtzahl der SBB: 17,3% der Belegschaft sind weiblich – Tendenz zwar steigend, aber bloss um magere zwei Promille pro Jahr. Dieses Schneckentempo bei der Gleichstellung gibt Tuti schon lange zu denken: «So kann es nicht weitergehen!»

Das findet auch die 700000 Mitglieder starke Eisenbahnsektion der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF). Die präsidiert seit zwei Jahren der Schweizer Tuti. Ihm kam daher die Aufgabe zu, eine Verhandlungsdelegation zusammenzustellen. Eines, sagt Tuti, sei «von Anfang an glasklar» gewesen: «Für diese Verhandlungen nehme ich nur Direktbetroffene mit, also ausschliesslich Frauen.» Gesagt, getan: Jetzt wollen die Frauen und der Quotenmann die Männerbastion Bahn auf den Kopf stellen. Mit viel Power: Das Gruppenfoto jedenfalls fährt 1. Klasse.

Ein deutscher Ausraster

Die Mission von Tutis Delegation: Dem Verband der europäischen Bahnunternehmen (CER) einen bindenden Vertrag abringen. Das wäre ein Durchbruch, denn auf einen solchen Vertrag hat sich CER vor 15 Jahren zum letzten Mal eingelassen. Und mit einem Abkommen würden sich die Eisenbahnkonzerne verpflichten. Etwa zu konkreten Massnahmen zur Frauenförderung, zur Lohngleichheit oder zu Geschlechterquoten. Das sei eigentlich schon lange überfällig, meint Tuti. Die bisherigen Diskussionen mit den Unternehmen hätten aber bloss zu unverbindlichen Empfehlungen und zu einem Haufen statistischem Material geführt. Tuti ist überzeugt: «Das alleine bringt nicht eine Frau mehr in den öV.» An einem dieser runden Tische mit den Konzernen habe es einem deutschen Kollegen den Hut gelupft. «Er schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch», erzählt Tuti, «und sagte: ‹Die deprimierenden Zahlen kennen wir langsam. Jetzt muss es konkret werden!›» Das wirkte. Die Bahnunternehmen stimmten der Schaffung einer Taskforce zu und delegierten fünf Chefs und drei Chefinnen in die Verhandlungsdelegation. Ihnen steht nun die Frauendelegation Tuti gegenüber. Und die hat einen Trumpf im Ärmel.

Akuter Personalmangel

Ein Problem teilen nämlich sämtliche Bahnen Europas: Die Babyboom-Generation geht in Rente, die Digitalisierung ruft und das erhöhte Umweltbewusstsein wird zu mehr Zugverkehr führen. Daher brauchen die Bahnen bald tausendfach neues und gut ausgebildetes Fachpersonal. Zum Beispiel die SBB: Sie müssen in den nächsten 4 bis 6 Jahren rund ein Drittel des Personals ersetzen. Doch Lokführer gibt es nicht einfach so auf dem Arbeitsmarkt. Das musste auch die Deutsche Bahn einsehen. Im vergangenen Jahr wollte sie 19000 neue Leute rekrutieren – und verfehlte das Ziel bei Weitem. Daher dürfte es langsam auch den Unternehmen dämmern. Tuti sagt: «Jetzt ist unser Moment!» Tatsächlich bleibt den Bahnen kaum eine Wahl. Sie müssen schleunigst attraktiver werden – besonders für Frauen, müssen etwa Teilzeitmodelle anbieten, ein geschlechtergerechtes Klima schaffen und auch weiblichen Angestellten Karrierechancen bieten. Immerhin: Nach einem Beispiel für fortschrittliche Geschlechterpolitik brauchen sich die Bahnchefs nicht lange umzusehen. Eines präsentiert sich ihnen derzeit in Brüssel: Tutis gewerkschaftliche Verhandlungsdelegation. Gewerkschafterin Isabell Gwenger aus Österreich jedenfalls ist optimistisch: «Wir sind motiviert, gut vorbereitet und auf Kurs. Mit Giorgio für mehr Women in Rail!»

Jonas Komposch, Work

Verhandlungen und Umfrage gestartet

Seit dem 16. Oktober verhandeln die Dachverbände von Arbeitnehmenden (ETF) und Arbeitgebern (CER) der europäischen Bahnen in Brüssel über eine Vereinbarung zur Förderung des Frauenanteils beim Bahnpersonal. Dieser liegt heute europaweit bei 20%, gegenüber 46% im gesamten Arbeitsmarkt. Am weiblichsten sind die Bahnen in der Slowakei, Polen und Bulgarien mit je knapp 30%, am männlichsten in der Türkei mit nur 3,9% Frauen.

Die ETF will zudem in einer Umfrage von Frauen aller Verkehrsbranchen wissen, welche Verbesserungen sie sich wünschen: Mach mit! Allgemeine Infos dazu unter www.etf-europe.org.