Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB)
AV 2020: diesen Zug nicht verpassen
Paul Rechsteiner begann seine Rede bei der Geschichte des SEV, der anfangs nur für die Eisenbahn zuständig war, später jedoch für den gesamten öffentlichen Verkehr. Der St.Galler Ständerat lobte die Stärke des SEV und appellierte an die Delegierten, die Altersvorsorge 2020 zu unterstützen, wie es auch SEV-Präsident Giorgio Tuti tat.
«Ich freue mich sehr, hier bei euch zu sein. Der SEV ist ein wichtiger Pfeiler der Schweizer Gewerkschaftsbewegung, schliesslich ist er der zweitgrösste Verband unter dem Dach des SGB.» So betonte Paul Rechsteiner die gute Zusammenarbeit innerhalb des SGB und gratulierte gleich zum Anfang seiner Rede Giorgio Tuti zu seinem grossartigen Resultat bei der Wiederwahl zum SEV-Präsidenten. Zudem betonte er, wie wichtig der SEV in der Geschichte der Eisenbahn und des gesamten öffentlichen Verkehrs in der Schweiz war und ist. «Erst seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde erneut in die Eisenbahn investiert, und es war ein harter Kampf. Wir verdanken es dem Verkehrs-Club der Schweiz, der Alpen-Initiative und dem SEV, dass wir die Resultate dieses Unterfangens nun sehen können», sagte Rechsteiner. «Wir haben eines der leistungsfähigsten öV-Systeme und die Schweiz wird international als gutes Beispiel betrachtet. Aber ohne das öffentliche Verkehrspersonal – ohne euch – wäre all das gar nicht möglich. Doch diese Errungenschaften», fuhr der SGB-Präsident weiter, «sind nicht in Stein gemeisselt. Wir müssen weiter für sie kämpfen und mobilisieren. Die vom BAV gewollte Marktöffnung ist völlig absurd und die Kosten für die unvermeidlichen Folgen wären sehr hoch. Das BAV will die Arbeitsbedingungen des Personals opfern – auf dem Altar der liberalen Ideologie. Das dürfen wir nicht zulassen!» Gewerkschaftliche Zusammenarbeit, wie sie zwischen SEV, Syndicom und Unia im Strassenverkehr besteht, sei daher nötig.
Historische Stärkung der AHV
Rechsteiner erklärte, warum der Schweizerische Gewerkschaftsbund hinter der Rentenreform steht, die am 24. September zur Abstimmung kommt: «Die Altersvorsorge 2020 ist ein Projekt, das für die Zukunft der Renten enorm wichtig ist. Ich weiss, das Projekt ist umstritten und die Debatte hitzig. Aber wir müssen die Realität im Auge behalten und uns bewusst werden, dass es die Arbeitgeber und die rechten Wirtschaftsvertreter sind, die das Projekt zum Scheitern bringen wollen, weil es eine Verbesserung der Renten und eine Stärkung der sozialen Sicherheit vorsieht.» Rechsteiner verschweigt nichts: Die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre ist ohne Zweifel ein negativer Punkt, «aber es wäre falsch, all die Verbesserungen, die das Paket enthält, nicht zu würdigen. Nach all den Jahren ohne Veränderung werden die AHV-Renten endlich erhöht, und zwar für Einzelpersonen wie auch für Paare. Diese Erhöhung wäre im täglichen Leben der Rentnerinnen und Rentner eine eindeutige Verbesserung, die wir nicht kleinreden dürfen. Logisch, dass die Rechte das Projekt bekämpft, denn sie ist gegen die Stärkung der AHV. Wir können diese Gelegenheit nicht einfach an uns vorbeiziehen lassen. Wir müssen auf den fahrenden Zug aufspringen, solange wir können.»
Rechsteiner rief die Kongressteilnehmenden dazu auf, die Reform zu unterstützen und weiter für die soziale Sicherheit in der Schweiz und für die Stärkung der AHV zu kämpfen. So wie der sozialdemokratische Bundesrat Hans-Peter Tschudi 1959 bis 1973 voller Überzeugung für den Ausbau der 1947 gegründeten AHV gekämpft hat.
Françoise Gehring/kt
Klares Ja zur Altersvorsorge 2020
Wie erwartet stand das Positionspapier Sozialpolitik, welches von den Delegierten in seiner ursprünglichen Form verabschiedet wurde, im Zentrum der Debatten. Einigen bereitet die Altersvorsorge 2020 Magenschmerzen, allen voran Vincent Leggiero, der Rechsteiners Worte aufnahm und sagte:
«Es ist nichts Neues, dass die Rechte gegen die AHV ist. Der springende Punkt ist ein anderer: Die Rentenaltererhöhung für die Frauen ist zu bekämpfen. Jahrelang haben sich die Gewerkschaften gegen die Rentenaltererhöhung gestellt. Was soll man nun davon halten? Waren das alles nur leere Worte?» Vincent Leggiero kann es nicht verstehen und schliesst seine Wortmeldung mit einer Frage: «Sollten die Gewerkschaften die politischen Parteien stärken, oder ist es umgekehrt?» Gemäss Leggiero muss das Band zerschnitten werden: «Es ist heute wichtiger denn je, die Unabhängigkeit der Gewerkschaften zu wahren. Eine Möglichkeit wäre, Stimmfreigabe über die Altersvorsorge 2020 zu beschliessen.» Giorgio Tuti antwortete umgehend, dass es sich eine Gewerkschaft wie die unsere nicht erlauben könne, bei einem derart wichtigen Thema keine Parole zu beschliessen. Und die Ja- Parole sei im üblichen Entscheidungsprozess sehr deutlich gefasst worden. «Vincent, es ist dein gutes Recht, deine Skepsis und deine Abneigung gegenüber der Reform auszudrücken. Aber ich für meinen Teil kann nur eines sagen: eine Position abzuändern, welche durch einen demokratischen Entscheid zu- stande kam, wäre widersprüchlich.» Deshalb rief Tuti die Delegierten dazu auf, die offizielle Position des SEV zu unterstützen, was die grosse Mehrheit von ihnen tat: Sie nahmen das Positionspapier mit der Ja-Parole bei 13 Nein und 13 Enthaltungen klar an.
Vor der Diskussion um die Altersvorsorge 2020 präsentierte Vincent Brodard die wichtigsten Punkte des Positionspapiers und erwähnte dabei, dass die nächsten Jahre «von Diskussionen um die Finanzierung und Entwicklung der sozialen Sicherheit» geprägt sein werden.
Doch auch andere Themen werden unser tägliches Leben beeinflussen, so zum Beispiel die Reform der Ergänzungsleistungen und die Veränderungen der Invalidenversicherung (IV). Wer an einer langwierigen Krankheit leidet und deshalb gar nicht oder nur beschränkt erwerbstätig sein kann, ist auf die Leistungen der IV angewiesen. Doch die IV-Renten werden durch die Reform und durch eine restriktive Gesetzgebung immer stärker beschränkt. Was die Ergänzungsleistungen (EL) betrifft, muss erwähnt werden, dass «die Beiträge, die für die Wohnkosten bestimmt sind, überhaupt nicht mehr ausreichen. Das Parlament hat folglich beschlossen, eine Erhöhung der Mindestbeiträge an die Wohnkosten zu diskutieren. Durch diesen positiven Entscheid werden die EL wieder existenzsichernd.»
Im Hinblick auf die zunehmende Zahl von Arbeitnehmenden über 50 Jahren im öffentlichen Verkehr ist der SEV der Ansicht, dass die Pensionierungsmodelle, welche mit der SBB ausgehandelt wurden, in angepasster Form auch bei den KTU eingeführt werden müssen.frg/kt