Interview mit Peter Hartmann, SP-Fraktionspräsident Kantonsrat St. Gallen
Es geht um den Service public
Der ehemalige SEV-Gewerkschaftssekretär Peter Hartmann zum Rückzug des Kantons aus dem Service public.
kontakt.sev: Peter Hartmann, wie stehst du zum geplanten Rückzug des Kantons St. Gallen aus öffentlichen Betrieben?
Peter Hartmann: Die Trennungen – zuerst von strategischer und operativer Führung, jetzt von Besteller und Ausführendem – sind im Trend. Politisch gesehen ist es der grösste Rückzug, der vom Kanton gemacht wird aus allen Bereichen, in denen er während Jahrzehnten Mitverantwortung hatte. Das betrifft die Energieversorgung, den öffentlichen Verkehr, mit der Kantonalbank das Finanzwesen, und auch das Spital. Das führt zu Abbau, weil der Kanton seine Verantwortung abgibt. Das wird dem Service public grössten Schaden zufügen.
Du fürchtest einen Abbau bei den Leistungen?
Ja, man kann das am Beispiel des Gesundheitswesens zeigen: Wenn sich der Kanton
zurückzieht, können die Spitalverbunde danach Spitalstandorte aufgeben. Wenn er sich aus Verkehrsunternehmen zurückzieht, entsteht ein Ungleichgewicht und er verliert an Einfluss auf Entwicklungen dieser Unternehmen.
Der Kanton tritt aber weiterhin als Besteller auf.
Genau hier liegt das Problem: Wenn er nur noch Besteller ist, trägt er keine Verantwortung mehr für das Personal. Künftig wird es nur noch um den Preis gehen. Das Personal wird davon klar betroffen sein. Der Kanton könnte künftig sagen: Wir sind nur Besteller, wie das organisiert wird, ist nicht un-sere Sache.
Die Befürworter des Rückzugs behaupten, dieser werde von der Corporate Governance gefordert.
Was immer Corporate Governance heisst: das ist Hafenkäse! Es geht hier um den Service public, und der Kanton muss seine Verantwortung auch in Zukunft wahrnehmen. Das Abschieben der Verantwortung wegen der Corporate Governance führt dazu, dass man sich nicht mehr verantwortlich fühlt.
Du sagst, dass es nicht zuletzt eine finanzielle Frage ist. Was erwartest du denn konkret für Auswirkungen?
Die Aktien der Transportunternehmen haben einen Wert von 0. Das zeigt den ganzen Blödsinn auf: es ist kein Geschäft, man will sich einfach aus der Verantwortung stehlen. Man kann keine Einsparungen machen, ausser, man erzeugt Druck auf die Unternehmen. Für die Bevölkerung wird die Auswirkung sein, dass Leistungen wegfallen könnten, da die Transportunternehmen andere Prioritäten setzen.
Wo steht das Geschäft im Moment?
Es kommt in der Februarsession in den Kantonsrat. Da die Veräusserung der Aktien der Transportunternehmen aber keine Gesetzesänderung bedingt und in der Kompetenz der Regierung liegt, kommt dies nicht offiziell zur Sprache. In der vorberatenden Kommission wurde geradezu absurd argumentiert: Man sagt, man wolle verschiedene Verkehrsunternehmen, also die SBB und mindestens eine Privatbahn, damit der Wettbewerb funktioniert. Aber ohne den Kanton gibt es die Privatbahnen nicht. Das ist sehr widersprüchlich.
Bei den Busbetrieben könnte sich das Feld der Anbieter durch den Verkauf verkleinern. Wer könnte Interesse haben? Postauto? Eurobus? Eurobus hat den Rahmen-GAV nicht unterschrieben und hat deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen. Der Druck auf Bus Ostschweiz würde wachsen. Es ist widersinnig, in einem spezifischen Service-public-Bereich auf Corporate Governance zu drängen.
Wenn kein Vertreter des Kantons mehr im Verwaltungsrat sitzt, hat das aber unter Umständen keinen grossen Einfluss auf dessen praktische Tätigkeit.
Das stimmt. Aber wenn die Aktien weitergegeben werden, dann wird der neue Eigentümer im Verwaltungsrat Einsitz nehmen wollen. Falls das Postauto oder Eurobus ist, wird dies für die praktische Arbeit im Verwaltungsrat sehr grosse Auswirkungen haben. Dies ist das Problem. I
nterview: pan.