Branchentagung Schifffahrt
«KI» auf den Schweizer Seen
Wie könnte maschinelles Lernen («künstliche Intelligenz») den Schifffahrtsunternehmungen beim Umgang mit dem Klimawandel helfen? Warum bringen Muscheln den Fahrplan durcheinander? Warum sind GAV auch in der Schifffahrtsbranche enorm wichtig? In Luzern diskutierten Branchenvertreterinnen und -vertreter diese Fragen.
Wie schon in den letzten Jahren treffen sich die SEV-Mitglieder der Schiffsbranche an Bord eines Vierwaldstättersee-Schiffes. Auf der «MS Flüelen» führen am 15. Januar Flavio Schulze und Manuel Pinto da Costa Silva durch die kurzweilige Branchentagung.
«Ihr habt immer ein Lächeln auf euren Gesichtern», sagt Gilbert D’Alessandro, Zentralpräsident des VPT in seiner Begrüssungsrede. Ein Grund für die glücklichen Gesichter sei sicherlich der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad in vielen Schifffahrtsunternehmungen, betont er. Dieser hat 2024 zugenommen, zeigen die Zahlen des VPT. Gilbert D’Alessandro lädt die Anwesenden ein, sich aktiv am SEV-Kongress am 12. und 13. Juni zu beteiligen. SEV-Vizepräsidentin Valérie Boillat wird poetisch, als sie über die Rettung der «Simplon» durch das Personal auf dem Genfersee spricht: «In den stürmischen Gewässern, die von politischer Gleichgültigkeit und Managementfehlern aufgewühlt wurden, war es an den Menschen, die Ruder zu ergreifen und dieses schwimmende Juwel, die Simplon, zu retten.» Die Havarie des Schiffs im März war wohl das grösste Ereignis in der Schweizer Schifffahrt im letzten Jahr.
Gewerkschaftliche Organisation lohnt sich
Ereignisreich sind auch andere Geschichten, die von den Anwesenden erzählt werden. So haben Muscheln den Schiffsverkehr zwischen Schaffhausen und Kreuzlingen während rund zehn Tagen unterbrochen, erzählen die beiden Kollegen von der Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein. Eine Moräne aus Sand, Steinen und vor allem (einheimischen) Muscheln blockierte die Fahrrinne letzten August. Sie musste ausgebaggert werden, damit die Schiffe wieder verkehren konnten. Die Ursache für dieses Naturphänomen bleibt bis heute unbekannt. Unbekannt sei auch, ob nur aufgrund der Muscheln die Jahreszahlen des Betriebs schlechter waren, merkt ein Kollege augenzwinkernd an.
Insgesamt war 2024 für mehrere Schifffahrtsunternehmungen kein besonders gutes Jahr. Trotzdem konnte der SEV fast überall Teuerungsausgleiche aushandeln.
Dass sich gewerkschaftliche Organisation auszahle, zeige auch das Beispiel Tessin, sagt Gewerkschaftssekretär Angelo Stroppini: «In Locarno (Lago Maggiore) haben wir einen GAV und die Belegschaft ist gut organisiert. Hier sind die Arbeitsplätze gut geschützt. In Lugano hingegen sind die Leute weniger organisiert und es gibt keinen GAV. Hier herrscht ein schwieriges Klima und hier drohen schlechte Umsatzzahlen zu Entlassungen zu führen.» Das sich das gewerkschaftliche Engagement auszahlt, beweist auch ein Fall, der die Justiz im Tessin beschäftigte. 2020 wurden zwei Saisonniers entlassen «wegen Corona». 2024 entschied ein Gericht, dass die Entlassungen unrechtmässig war. Ein grosser Erfolg für den SEV.
Generationenwechsel und Klimawandel
Weniger als in den Jahren zuvor ist der Personalmangel ein Thema. In Zürich habe sich die Situation entspannt, erzählt Gewerkschaftssekretärin Edith Graf-Litscher: «Die Unternehmungen haben gemerkt, dass sie das Personal besser entlöhnen müssen.» Doch weg vom Tisch sei die Problematik nicht, erzählen Kollegen. In vielen Unternehmungen drohen in den nächsten Jahren Lücken, weil viele in Pension gehen.
Einen interessanten Input liefert im zweiten Teil der Tagung Nikolas Schaal von der Luzerner Shiptec AG, einer Tochtergesellschaft der SGV. Die Schifffahrtsunternehmungen sollten wegen den Klimazielen eigentlich ihre Flotten CO₂-neutral machen. Das ist eine grosse Herausforderung, weil es immer noch schwierig ist, grosse Schiffe mit einem Elektroantrieb auszustatten. Als Alternative kämen zwar auch Biogas oder Wasserstoff in Frage. Doch im Moment stecken sämtliche neuen Antriebstechnologien noch in den Kinderschuhen. Eine praktikablere Lösung ist, beim Dieselverbrauch zu sparen. Shiptec hat deshalb Geräte entwickelt, die während der Fahrt massenhaft Daten erheben, z. B. zum Wetter, zum Passagieraufkommen oder zur genauen Fahrtroute. Dank maschinellem Lernen (auch «KI» genannt) können diese riesigen Datenmengen verarbeitet und analysiert werden. Die Erkenntnisse vermittelt der sogenannte EcoPilot den Schiffsführerinnen und -führern. Er zeigt an, wann und um wieviel sie die Geschwindigkeit drosseln müssen, um effizienter zu fahren und trotzdem die Reisenden rechtzeitig ans Ziel zu bringen. Wenn eine Fahrt nur wenige Minuten länger dauert, können dank langsamerer Fahrt riesige Mengen Diesel eingespart werden. In den nächsten Jahren sollen vermehrt solche Geräte zum Einsatz kommen.
Michael Spahr