40 Jahre berufliche Vorsorge
Pensionskassen: zunehmende Kapitalbezüge und flexible Rentenmodelle sind ein Problem

An der PK-Netz-Tagung vom 31. Oktober würdigte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider das 40-Jahr-Jubiläum der zweiten Säule unserer Altersvorsorge. Sie plädierte für die Beseitigung der steuerlichen Begünstigung des Kapitalbezugs gegenüber der Rente.
Der Verein PK-Netz vernetzt arbeitnehmerseitige Stiftungsrät:innen von Pensionskassen, bildet sie weiter und hält sie auf dem Laufenden. An seiner Jahrestagung in Bern zog Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider eine grundsätzlich positive Bilanz der zweiten Säule seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes dazu (BVG) im Jahr 1985. «Die Sozialpartner und die Politik haben dieses System gemeinsam aufgebaut, getragen und weiterentwickelt. Diese partnerschaftliche Haltung ist eine der grossen Stärken der Schweiz.» Die Bundesrätin dankte den über hundert anwesenden Stiftungsrät:innen für ihr grosses Engagement auch in der Freizeit.
Sie verwies aber auch auf die ungenügende Absicherung von Arbeitnehmer:innen, die wenig verdienen, Teilzeit arbeiten oder mehrere Jobs haben. «Dieses Problem dürfte sich in Zukunft noch akzentuieren – flexible Arbeitsmodelle, Teilzeitarbeit, längere Erwerbsunterbrüche, Projektarbeit und Selbstständigkeit gewinnen an Bedeutung.» Deshalb habe der Bundesrat am 22. Oktober in einem Bericht aufzeigt, wie die Situation von Mehrfachbeschäftigten verbessert werden kann (durch Senkung der Eintrittsschwelle und des Koordinationsabzugs sowie obligatorische Versicherung von Nebenerwerbstätigkeiten). Nötig seien auch technische Modernisierungen des BVG bezüglich Digitalisierung und Transparenz. «Politisch erledigt ist aber auf absehbare Zeit eine Senkung des Umwandlungssatzes, nachdem das Stimmvolk diese dreimal abgelehnt hat. Zudem haben verschiedene Kassen für dieses Problem bereits Lösungen auf operativer Ebene gefunden.»
Fehlanreiz für Kapitalbezug beseitigen
«Heute wird der Kapitalbezug gegenüber der Rente steuerlich bevorteilt, und der Vorteil ist besonders gross für Menschen, die besonders hohe Summen beziehen», so Baume-Schneider weiter. Dies sei ein wichtiger Grund, warum immer öfter Kapital bezogen werde. «Diesen Fehlanreiz will der Bundesrat beseitigen.» Kapitalbezüge bis 100 000 Franken sollen aber nicht stärker besteuert werden, und auch die Steuervorteile beim Einzahlen in die zweite und dritte Säule sollen bleiben, «damit das Vorsorgesparen attraktiv bleibt», präzisierte die Innenministerin. Und betonte: «Die berufliche Vorsorge ist mehr als ein Vehikel für steueroptimiertes Sparen. Sie bietet mit der Rente eine echte Absicherung für die Menschen, ein Versprechen, auf das man sich verlassen kann. Diese Absicherungsfunktion soll gegenüber dem Kapitalbezug wieder mehr Anerkennung finden.»
Flexible Modelle auf dem Prüfstand
Die zunehmenden Kapitalbezüge sind einer der Gründe, warum Kassen heute flexible Rentenmodelle anbieten, erklärte Vorsorge-Experte Patrick Spuhler. Zwar seien Kassen nach der Finanzkrise von 2008 auch froh gewesen, Versicherte loszuwerden (und damit das Risiko der Abdeckung ihrer Renten). «Aber wenn die Falschen ihr Kapital nehmen, geht die Rechnung für die Kassen nicht mehr auf.»
Ein Modell der Pensionskasse Profond (nicht BVK, wie in der ursprünglichen Version dieses Artikels stand) bietet zum Beispiel Kapitalschutz, falls Versicherte kurz nach der Pensionierung sterben: Damit fällt das nicht ausbezahlte Kapital nicht an die Kasse, sondern an Hinterbliebene – zum Preis eines tieferen Umwandlungssatzes. Ein anderes Modell der BVK sieht eine gegenüber der Normalrente erhöhte Rente vor, die bis Alter 75 unter die Normalrente sinkt und dann konstant bleibt. Oder man reduziert die Rente für Ehepartner:innen von normalerweise 60 % und erhält dafür mehr Rente (z.B. bei der PKG-Pensionskasse).
Solche Modelle deckten Bedürfnisse der Versicherten ab, sagte Sabine Nossa, Leiterin Vorsorge der BVK in der Diskussion. Zum Beispiel seien heute viel mehr Frauen berufstätig als früher. Die flexiblen Modelle hätten bei der BVK Rentenbezüge bereits konsolidiert. Zwar steige damit der Beratungsaufwand, doch könne der administrative Aufwand durch Digitalisierung anderswo gesenkt werden.
Skeptisch ist Patrick Nasciuti, Mitglied der Geschäftsleitung der Pensionskasse GastroSocial mit rund 220 000 Versicherten, von denen rund 97 % BVG-Minimumpläne haben. Rund 80 % wählen heute das Kapital, «darum bietet sich ein gewisser Kapitalschutz an», sagte Nasciuti. Aber komplizierte Wahlmöglichkeiten wären für seine Kasse zu aufwändig und würden sie auch juristisch angreifbarer machen.
Dezidierte Vorbehalte nannte Eliane Albisser, Geschäftsführerin des PK-Netzes: Mit solchen Modellen versuchten sich Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen zu profilieren, obwohl sie möglichst wenig Rentner:innen im Bestand haben wollten. Damit schürten sie bei den Versicherten den Eindruck, dass ihnen Wahlmöglichkeiten zuständen und eine Kasse sonst nicht gut sei. Wenn aber viele Versicherte (auch dank Wissensasymetrie) das Beste für sich herausholen, schwächt dies die kollektive Absicherung und kostet etwas. Gefragt wurde auch, ob der Staat Modelle zulassen soll, die nach Steueroptimierung und maximiertem individuellem Kapitalverzehr auf seine Unterstützung zählen für die letzten Lebensjahre.
Markus Fischer