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Arbeitsbedingungen auf See

Schlaglicht auf die «Kreuzfahrtnation Schweiz»

alexeyzhilkin / Freepik

Geht es um Kreuzfahrten, belegt die Schweiz europaweit einen Spitzenplatz. Allerdings werfen die Klimabelastung, aber ebenfalls fragwürdige Arbeitsbedingungen und eine untaugliche Branchenregelung kein gutes Licht auf die Kreuzfahrt. Dieser Bericht stützt sich auf eine Recherche der Schweizer NGO fairunterwegs, die Fakten und Zahlen der in der Schweiz verankerten Kreuzfahrtindustrie aufzeigt.

Die Schweiz eine Kreuzfahrtnation? – Das passt nicht zum idyllischen Bild eines Landes von Schokolade, Uhren und Bergen. Allerdings sind Kreuzfahrten bei Herr und Frau Schweizer beliebter denn je – Tendenz steigend. Nahezu 150'000 in der Schweiz Wohnhafte wählen diese Urlaubsform und geben für eine Kreuzfahrt pro Jahr rund 1500 Franken aus bzw. insgesamt 235 Millionen Franken. Mit 42 Kreuzfahrtschiffen, 35'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu See und einem CO₂-Ausstoss von über 2 Millionen Tonnen pro Jahr ist die Schweiz europaweite Spitzenreiterin. Deutschlands Kreuzfahrtflotte besteht demgegenüber aus 31 Schiffen, diejenige Grossbritanniens aus lediglich 27. Im Vergleich zu klassischen Seefahrtsnationen wie beispielsweise den Niederlanden oder Schweden gehen doppelt so viele Schweizerinnen und Schweizer auf eine Kreuzfahrt – und sie geben dafür doppelt so viel aus wie der europäische Durchschnitt.

Milliardenschwere Industrie

Die Kreuzfahrtindustrie in der Schweiz verteilt sich auf fünf im Land ansässige Unter-nehmen, denen total 42 Kreuzfahrtschiffe gehören. Die grössten sind MSC Cruises (23 Schiffe), Viking Ocean Cruises (11 Schiffe) und Scienc Luxury Cruises & Tours Cruises (5 Schiffe). Diese Zahlen zeichnen das Bild einer milliardenschweren Industrie. Drei Schweizer Kreuzfahrtunternehmen sind im Luxus-Segment unterwegs, eines im Massentourismus und mehrere werben mit Umweltversprechen und Nachhaltigkeitszielen.

Leere Nachhaltigkeitsversprechen

Kreuzfahrten sind mit oder ohne Nachhaltigkeitsversprechen verheerend für Umwelt und Klima. Pro Person und Fahrt verursachen allein die Schweizer Kreuzfahrer:innen CO₂-Emissionen von jährlich rund 2 Tonnen. Hochgerechnet ergibt das 300'000 Tonnen CO₂ pro Jahr, was 1 % der in der Schweiz erzeugten CO₂-Emissionen entspricht.

Harter Arbeitsalltag, kaum Freizeit

Und wie steht es um die Arbeitsbedingungen der Belegschaft? Sind es doch TV-Serien wie «Traumschiff» oder «Verrückt nach Meer», die suggerieren, dass wer auf einem Kreuzfahrtschiff arbeitet, das grosse Los gezogen hat. In Wahrheit ist der Arbeitsalltag auf Kreuzfahrtschiffen hart und häufig ungerecht. Hinweise, dass sich die Bedingungen auf Schweizer Kreuzfahrtschiffen wesentlich von jenen anderer Reedereien unterscheiden, gibt es nach der Fairunterwegs-Recherche keine. Der Jurist Mark Pieth und die Rechtsanwältin Kathrin Betz haben 2022 zusammen das Buch «Seefahrtsnation Schweiz» veröffentlicht und finden: «Nach unserer Erfahrung sind Seeleute durchaus daran interessiert, während ihrer Zeit an Bord viel zu arbeiten. […] Aber es gibt eine Grenze, wann es zu viel wird. Oft verdienen die Seeleute nur während der Zeit, während der sie zur See fahren, aber nicht während dem Landurlaub.»

Verschiedene Gesundheitsrisiken

Studien zeigen, dass der hohe Arbeitsdruck und die fehlende Möglichkeit, sich von der Arbeit und dem Arbeitsort zu distanzieren, die Gesundheit der Crewmitglieder gefährdet. Die Gemeinschaftskojen der Arbeitnehmer:innen sind gemäss der internationalen Seefahrer:innen-Gewerkschaft Nautilus in Basel häufig sehr eng und auch sehr laut, da sie sich in der Nähe des Triebwerks und meistens unter dem Wasserspiegel befinden. Einer Studie zufolge sind die Seeleute auf Deck von Kreuzfahrtschiffen zudem noch hohen Feinstaubbelastungen wie in Bejing oder Santiago ausgesetzt.

Untaugliche Branchenregelung

Die Maritime Labour Convention (MLC) setzte Standards zum Schutz der Arbeitnehmenden im vorher praktisch deregulierten internationalen Arbeitssektor der Seefahrtfachleute fest. Sie wurde von 93 Ländern, darunter auch der Schweiz, unterzeichnet. Diese Standards sind allerdings elastisch: Unter normalen Bedingungen gelten zwar 8-Stunden-Tage, in Ausnahmefällen gehen jedoch auch maximal 14 Stunden pro Tag und pro Woche bis zu 72 Stunden.

Diverse Berichte von Crew-Mitgliedern zeugen aber davon, dass die Umsetzungen dieser Regeln einer gewissen Willkür unterliegen. Das hat drei Gründe: Schwache Gewerkschaften in gewissen Herkunftsländern von Arbeitnehmer:innen, internationale Kettenverträge und unterschiedliche Rechtszuständigkeiten, die davon abhängen, unter welcher Flagge das Schiff in See sticht. Massgebend ist also nicht etwa der Schweizer Geschäftssitz der Reederei. Kommt hinzu, dass unter Schweizer Flagge kein einziges Kreuzfahrtschiff fährt.

Fehlende Konzernverantwortung

Die Kontrolle der Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards bei Kreuzfahrtschiffen ist für den Binnenstaat Schweiz eine Herausforderung. Deshalb braucht es in der Schweiz eine rechtlich verankerte Konzernverantwortung: Kreuzfahrtunternehmen müssen dazu verpflichtet werden, für die Einhaltung von Menschensrechts- und Umweltstandards ihrer Tochterunternehmen bzw. Unternehmensbestandteile zu sorgen. Eine unabhängige Aufsichtsbehörde kann dies kontrollieren, und Betroffene können Verstösse in der Schweiz einklagen. Solange Bundesrat und Parlament nicht handeln, bleibt die Kreuzfahrtnation Schweiz das Schlusslicht punkto Menschenrechte und Umweltschutz.
 

Eva Schmid

Zu fairunterwegs

Fairunterwegs ist eine Schweizer Non-Profit-Organisation. Sie setzt sich seit 1977 ein für eine faire und umweltfreundliche Art des Reisens. Die Büros von fairunterwegs befinden sich seit Kurzem im Stellwerk im ehemaligen Bahnhof St. Johann in Basel.

Kommentare

  • Burri Walter

    Burri Walter 29/08/2024 16:20:14

    Und jetzt? Will mir der SEV empfehlen oder vorschreiben, dass ich keine Kreuzfahrt mehr machen soll?

  • Hansjörg Höhener

    Hansjörg Höhener 19/09/2024 10:56:09

    Nein - Er will dir nur die Auswirkungen der Kreuzfahrten auf Mensch und Umwelt sachlich aufzeigen. Du darfst über dein Freizeitverhalten selber entscheiden.