Fluch oder Segen?
Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt
Unter dem Titel «KI und die neue Arbeitswelt» führte das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH am 3. September in Bern eine Fachtagung durch. Was für die einen Spielerei ist, beeinflusst die politische Meinungsbildung der anderen. Vor allem aber hat Künstliche Intelligenz das Potenzial, ganze Berufsbilder zu verändern und soziale Ungleichheiten zu verstärken. Deshalb fordert das SAH Massnahmen.
Humorvoll und mit Leichtigkeit führt Komiker Karpi, mit bürgerlichem Namen Patrick Karpiczenko, vor, wie ihm KI-Applikationen über Nacht ganze Werbe- und Abstimmungskampagnen erschaffen. Grosse Beachtung fand Karpis mit KI realisierter «Heidi»-Film, der klischeehafte Elemente des Heimatfilms mit surrealen Wesen und Landschaften kombiniert. An seinen Kreationen wird das grosse Potenzial von KI in der Unterhaltungs- und Werbebranche sichtbar.
Technologie versus Ethik
Wer kennt nicht bereits den mit einer überdimensionierten weissen Daunenjacke bekleideten Papst? Und wer ist auf den Sozialen Medien nicht schon über das Verhaftungsfoto von Donald Trump gestolpert? Beide Bilder sind KI-generiert. Sie zeigen etwas, das sich nie in der Realität abgespielt hat, aber von vielen für bare Münze genommen wird. Auf die Problematik der Manipulation, die gesellschafts- und demokratiepolitisch weitreichende Folgen haben kann, macht auch Johan Rochel aufmerksam. Der Jurist ist Mitgründer von Ethix, einem Unternehmen, das zu Innovationsethik und Künstlicher Intelligenz forscht. Er zeigt das grosse Spannungsfeld von KI auf zwischen Ethik, sozialer Gerechtigkeit und falschen Annahmen, die sich längst als Narrative in den Köpfen festgesetzt haben.
KI widerspiegelt Vorurteile
Auch Podiumsteilnehmerin Angela Müller befasst sich als Geschäftsführerin von Algorithm-Watch CH mit der ethischen Dimension. Sie sagt: «Algorithmen und KI sollen allen zugutekommen, nicht nur einigen wenigen.» So ist es auch eine Frage der Gerechtigkeit, wie persönliche Daten genutzt werden, um Algorithmen zu trainieren und Funktionen anzupassen. Der Einsatz von KI bringt denn auch erhebliche Herausforderungen für den Datenschutz mit sich. KI-Systeme benötigen grosse Mengen an Daten, um effektiv arbeiten zu können, was Fragen zum Umgang mit personenbezogenen Daten aufwirft. In Grossraumbüros in Pakistan und in Indien nehmen sich junge Leute täglich der Kategorisierung von Unmengen an Bildern und Texten an; ihre bewussten und unbewussten Vorurteile fliessen dabei ein, was zu Verzerrungen und problematischen Konnotationen führt. Hoch problematisch ist etwa die Darstellung von «People of Color» (nicht-weisse Menschen) durch KI, die trotz gegenteiliger Eingabeaufforderungen negativ oder gar als Kriminelle dargestellt werden. KI wirkt hier als eine Art technisches Racial Profiling, das in einer Gesellschaft verankerte Vorurteile spiegelt.
KI-generierte Daten sind grundsätzlich weder repräsentativ noch ausgewogen und manchmal gar nicht erst in der Lage, eine unlogische oder skurril anmutende Vorgabe umzusetzen – etwa ein Pferd, das auf einem Mann reitet. Ein amüsantes Beispiel, das Live-Cartoonist Jonas Raeber ganz ohne KI-Einsatz, sondern mit ein paar Federstrichen zu Papier bringt.
Effizienz steigern, Stresslevel senken
Schon heute nutzen Unternehmen KI, um Effizienz zu steigern, Kosten zu senken und neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschliessen. Automatisierung von Prozessen, personalisierte Kundenkontakte und datenbasierte Entscheidungsfindung sind nur einige Beispiele für die stetig voranschreitende Transformation. Laura Tocmacov, Geschäftsführerin von ImpactIA, erzählt, dass sie dank KI schon heute zwei Stunden an täglicher Arbeitszeit einspart. Stellenprozente zu kürzen oder Stellen zu streichen, greift ihr zufolge zu kurz. Denn dank eines klugen KI-Einsatzes sinke der Stresslevel, was wiederum für die menschliche Produktivität und Kreativität förderlich sei und sich für die Unternehmen rechne.
Politische Antwort gefordert
Allerdings befürchtet fast die Hälfte der Erwerbstätigen in der Schweiz, dass KI ihren Arbeitsplatz ersetzen könnte, wie der Microsoft Work Trend Index zeigt. Das SAH will hier Gegensteuer geben, damit KI-Systeme bestehende Ungleichheiten nicht noch verstärken, sondern die soziale Gerechtigkeit fördern. Samuel Bendahan, Präsident von SAH Schweiz, sagt: «Die rasante Entwicklung der KI verlangt eine ebenso schnelle und entschlossene politische Antwort.» Entsprechend fordert die Organisation in ihrem neulich erschienenen Positionspapier Umschulungsprogramme, soziale Absicherung, etwa mittels Schutz vor Arbeitsplatzverlust durch KI, sowie eine gesetzliche Regulierung: Die Schweiz soll das EU-KI-Gesetz übernehmen und den Schutz vor diskriminierenden Algorithmen sowie den Datenschutz stärken.
Eva Schmid