SBB-Elektrizitätswerk
Elektroschock in Nant-de-Drance
Anfang September erfuhren die 16 Mitarbeitenden des Pumpspeicherkraftwerks Nant-de-Drance im Wallis überraschend, dass sie Anfang 2025 von der SBB zur Hydro Exploitation SA wechseln sollen. Nach dem ersten Schock organisierten sie sich und wandten sich an den SEV, um unbefriedigende Punkte in ihren neuen Arbeitsverträgen zu korrigieren und zu verbessern.
Anfang September wurden die Mitarbeitenden von der Leitung des Kraftwerks Nant-de-Drance und HR-Verantwortlichen der SBB zu einer Versammlung eingeladen. Dort erfuhren sie, dass das Betriebsmandat der SBB Ende Jahr an die Hydro Exploitation SA übergehen wird, und dass sie zu einem Gespräch eingeladen würden, bei dem sie ihre neuen Arbeitsverträge erhalten sollten. Diese überraschende Ankündigung wirkte für die 16 Mitarbeitenden des Kraftwerks mit 36 % SBB-Beteiligung wie ein Elektroschock. Die SBB hatte mit Hydro direkt die Personalübernahme vereinbart – im Einklang mit dem SBB-GAV, der vorsieht, dass eine zumutbare Stelle angeboten werden muss, wenn eine Stelle gestrichen wird. Alternativ dazu könnten die Betroffenen auch weiter bei der SBB arbeiten, aber weit weg. Somit stellt sich für sie vor allem die Frage, zu welchen Konditionen Hydro sie übernimmt.
Die abrupte Ankündigung eines Arbeitgeberwechsels nach zwei Jahren Betrieb – das Werk war im Sommer 2022 nach 14 Jahren Bauzeit ans Netz gegangen – und all den Jahren des Aufbaus erschien ziemlich unverständlich und ungerecht. Zudem bietet der Hydro-GAV weniger Schutz als der SBB-GAV. Die SBB versuchte die Betroffenen mit dem Argument zu beruhigen, dass ihre Löhne und der Lohnaufstieg besser würden.
«Tunnelzulage»
Das Kraftwerk liegt in einer Kaverne 600 Meter unter der Erde und pumpt und turbiniert Wasser zwischen den beiden Stauseen Emosson und Vieux Emosson. Es hat eine Leistung von 900 Megawatt, was einem Atomkraftwerk wie Gösgen entspricht, und funktioniert wie eine riesige Batterie, die bis 20 Millionen kWh speichert und bei erhöhter Nachfrage ins Netz abgeben kann. In die Kaverne gelangt man vom Kraftwerk Le Châtelard aus – das zu 100 % im Besitz der SBB ist und bleibt, wie auch sein Personal – über einen fast 6 Kilometer langen Zugangstunnel. Das heisst, das Personal sieht bei der Arbeit kaum je Tageslicht, was die Moral beeinträchtigen kann. Einige Mitarbeiter hatten aus diesem Grund gekündigt – trotz der «Tunnelzulage», welche die SBB für die Arbeit unter Tag bezahlte. Bleibt diese Zulage bestehen?
Als die Kolleg:innen ihre neuen Verträge genauer lasen, waren sie zum Teil über gewisse Punkte sehr überrascht. Die Verträge basierten oft auf falschen Stellenbeschreibungen und enthielten falsche Lohnklassen oder solche, die nicht den Aufgaben entsprachen. Das Personal wandte sich darum an den SEV, der bei der SBB intervenierte. «Hydro korrigierte die Fehler, nahm aber in einigen Fällen einfach Lohnkorrekturen in der Grössenordnung von einem Franken pro Monat vor, was nicht seriös wirkte», sagt Gewerkschaftssekretär Vincent Barraud, der für die SBB in der Romandie zuständig ist.
Das Versprechen einer Lohnerhöhung war nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig, wenn man die Tunnelzulage mitberücksichtigt: Die Löhne sind bei Hydro zwar wirklich höher, aber nicht wesentlich, und die Zulage wurde gekürzt. «Die Lohnerhöhung gleicht die Zulagenkürzung aus, berücksichtigt aber das Dienstalter und die Erfahrung nicht. So resultiert letztlich kein Lohngewinn, ganz zu schweigen vom Verlust der Errungenschaften des SBB-GAV und des GA FVP», erklärt Vincent Barraud. Die gut organisierte Belegschaft konnte also aufzeigen, dass ihre Anstellungsbedingungen nicht besser, sondern eher schlechter werden, und übergab Hydro eine Petition mit der Aufforderung, bei der Lohnerhöhung die Erfahrung zu berücksichtigen.
Petition und ein «Missverständnis»
In der Zwischenzeit erhielt das Personal von Nant-de-Drance eine E-Mail von der SBB-Personalabteilung in Renens mit der Aufforderung, die neuen Verträge bis Ende September zu unterschreiben, obwohl mit dem Personalverantwortlichen in Bern eine Frist bis Ende Oktober vereinbart worden war. «Der SEV bedauert sehr, dass es zu solchen Missverständnissen kommen kann, da sie das Vertrauen, das zwischen der SBB und dem SEV besteht, untergraben könnten», sagt dazu Vincent Barraud.
Nach der Übergabe der Petition an Hydro akzeptierten die Kolleg:innen schliesslich die vorgeschlagenen neuen Arbeitsbedingungen per 1. Januar 2025, wobei sie feststellten, dass der GAV der Hydro Exploitation SA weniger weitreichend ist, was den Schutz vor allem in Bezug auf Kündigungen, Urlaub und Krankheit betrifft. Vom GA FVP können sie noch ein Jahr lang profitieren. Für Vincent Barraud zeigt dieser Fall «einmal mehr, wie wichtig es ist, einen starken GAV zu haben, der über Lohnfragen hinaus einen guten Schutz, gute Arbeitsbedingungen und anständige Übernahmebedingungen bietet.»
Yves Sancey