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Kampagne der österreichischen Bahngewerkschaft vida

Gegen das Liberalisierungsdogma der EU

Vida, die Schwestergewerkschaft des SEV in Österreich, hat eine Kampagne gegen die Liberalisierungspolitik der EU gestartet. Auf der Webseite unsere-bahnen.at zeigt sie, warum die Bahnverkehrspolitik der EU-Kommission in Österreich, aber auch in der Schweiz, zu einer Verschlechterung des Service public führen wird.

Österreich ist nach der Schweiz das Land mit den meisten Zugreisenden in Europa. Die Schweiz und Österreich sind nicht nur Europameisterinnen bei den Passagierzahlen, sondern sie sind auch dafür bekannt, dass sie das am besten funktionierende Bahnsystem haben. Punkto Pünktlichkeit und Bequemlichkeit gelten sie bei Bahnreisenden als vorbildlich. Anders sieht es aus in Deutschland, Griechenland oder England.

Der wichtigste Grund für diesen Unterschied: In Österreich und der Schweiz gilt weitgehend das Direktvergabe-System. In England, Deutschland und Griechenland wurde die Bahn liberalisiert. Bei der Direktvergabe werden die Eisenbahnunternehmungen direkt vom Staat beauftragt, ihre Bahndienstleistungen anzubieten. Im liberalisierten System wird ein Auftrag ausgeschrieben. Das hat zur Folge, dass oft nicht der beste Anbieter zum Zug kommt, sondern der billigste. Die Direktvergabe hat den Vorteil, dass sie langfristige und stabile Fahrpläne sowie den nachhaltigen Ausbau und die Instandhaltung des Bahnnetzes ermöglicht. Zudem sorgt sie auch in Krisenzeiten für Stabilität, wie man das zum Beispiel bei Corona gesehen hat. «In Europa werden aus gutem Grund über 70 Prozent der Schienenpersonenkilometer über Direktvergabe organisiert und finanziert. Erfolgreiche und sichere Bahnen am Altar der Liberalisierungsreligion zu opfern, würde den öffentlichen Personenverkehr gefährden und hätte auch gravierende negative Auswirkungen auf die Beschäftigten und Arbeitsbedingungen bei den Bahnen», sagt Olivia Janisch, stellvertretende vida-Vorsitzende.

Undemokratischer Entscheid

Es liegt auf der Hand, dass sich die EU-Kommission eigentlich an den Musterbeispielen Schweiz und Österreich orientieren sollte. Doch sie verharrt beim Liberalisierungsdogma. Im Juni 2023 veröffentlichte sie neue Leitlinien zur Vergabe von Personenverkehrsdienstleistungen auf der Schiene. Und genau diese Leitlinien setzen auf mehr Liberalisierung statt auf bewährte Direktvergaben. Ein Rechtsgutachten der Rechtsprofessoren Jean-Philippe Derosier und Konrad Lachmayer zu den Leitlinien der EU-Kommission zeigt gravierende rechtsstaatliche Probleme. Giorgio Tuti, Präsident der ETF-Eisenbahnsektion und des europäischen Sozialen Dialogs SSD, wählt deutliche Worte: «Mit den neuen Leitlinien will die Kommission einen Ausschreibungszwang durchsetzen. Diese Leitlinien weichen aber eindeutig von der demokratisch abgestimmten PSO-Verordnung 2016/2388 ab. Das geht nicht. Es ist nicht Aufgabe der Kommission, Änderungen an Rechtsvorschriften vorzunehmen. Dieses Vorgehen ist zutiefst undemokratisch, rechtswidrig und rechtsstaatlich bedenklich. Aus diesen Gründen rufe ich dazu auf, die Auslegungsrichtlinien der EU-Kommission zu ignorieren!»

Arbeitsplätze bedroht

Sollte die EU-Kommission das Liberalisierungsdogma im Bahnverkehr durchsetzen, droht Österreich viel Ungemach. Vida befürchtet, dass die Qualität und Sicherheit der Bahnen und die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten auf der Strecke bleiben. Wenn ein Unternehmen, das bisher zuverlässig gearbeitet hat, eine Ausschreibung gegen einen Billigstanbieter verliert, stehen viele erfahrene Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ohne Arbeitsplatz da. Profitieren vom neuen System würden in der Regel nur wenige. Hinter einem Billiganbietern stehen nicht öffentlich-rechtliche Unternehmen, die dem Gemeinwohl dienen, sondern Investment-Konzerne, die maximalen Profit für ihre Grossaktionärinnen und Grossaktionäre herausholen wollen.

Auf der Webseite unsere-bahnen.at hat vida nun eine Kampagne gestartet. Dort zeigt sie auf, was die Vorzüge des Direktvergabe-Bahnsystems sind und zeigt, wie gefährlich eine Liberalisierung werden könnte. Der SEV solidarisiert sich mit dieser Kampagne. SEV-Präsident Matthias Hartwich begründet die solidarische Haltung mit der österreichischen Gewerkschaft so: «In der Schweiz haben wir ein funktionierendes Eisenbahnsystem. Das brauchen wir auch europaweit. Wir wollen Personen und Güter auf die Schiene bringen, um dem Klimawandel eine bessere Mobilität entgegenzusetzen. Der Liberalisierungswahn setzt falsche Anreize. Deshalb ist euer Kampf auch unser Kampf.» Tatsächlich bedroht das Liberalisierungsdogma der EU auch die Schweiz in den nun startenden neuen bilateralen Verhandlungen.

Michael Spahr
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