Frauen
Schwangerschaft voller Tücken
Die Geschichte von Katia könnte künftige Mütter entmutigen, im Fahrdienst zu arbeiten, zumindest bei den Genfer Verkehrsbetrieben TPG.
Katia sieht einem freudigen Ereignis entgegen. Im Oktober 2019 wird sie mit ihrem ersten Kind schwanger. Die Schwangerschaft verläuft gut, aber das Gesetz verbietet ihr das Ausüben ihres Berufs als Busfahrerin. «Mein Arbeitgeber hat mich nach sieben Wochen Schwangerschaft gestoppt, was eine gute Sache ist, um mich zu schützen.» Allerdings verschafft ihr das Unternehmen eine andere Aufgabe, als Praktikantin im Bereich Marketing, Verkauf und Kommunikation. Grundsätzlich eine gute Lösung, verfügt Katia doch über einen Lehrabschluss als Detailhandelsangestellte. «Dieser Bereich passte am Jahresende gar nicht, da ist Dauerstress. Ende 2019 ganz besonders durch den Start des Léman Express und die Eröffnung des Depots En Chardon. Diese stressige Umgebung war in meiner Situation nicht geeignet. Ich war schon recht erschöpft durch die Schwangerschaft, und der Stress hat die Situation zugespitzt.»
Katia wird deshalb zu 50 % krankgeschrieben. Nur gerade für zwei Wochen fällt sie vollständig aus. Aber das Praktikum wird am 18. März 2020 wegen der Pandemie gestoppt, und das Unternehmen bietet ihr nichts Neues mehr an. «Da ich nicht mehr arbeiten konnte, erklärten die TPG, dass ich während mehr als drei Monaten krank war, was ihnen das Recht gab, meine Ferien zu kürzen. Sie wollten mir 14 Tage streichen. Ich habe mich dagegen gewehrt, denn ich konnte nicht mehr arbeiten, weil mir die TPG keine Einsätze mehr gegeben hat. Ich habe mich an den SEV gewandt und mit Unterstützung von Gewerkschaftssekretärin Valérie Solano habe ich Recht bekommen. Aber diese Umstände sind mühsam und zeichnen ein schlechtes Bild des Unternehmens, das doch eigentlich Frauen ansprechen will.»
Katia musste zahlreiche Hürden überwinden. Die TPG haben insbesondere verlangt, dass ihre Ärztin ihr Arbeitsfähigkeit bescheinigt, obwohl Ärzte eigentlich da sind, um Arbeitsunfähigkeit festzustellen, zudem sollte sie sie während des Praktikums vom Arztgeheimnis entbinden. Nach der Geburt Ende Mai 2020 bekommt Katia vier Wochen Stillurlaub, der im Personalreglement der TPG festgeschrieben ist. «Dieser Stillurlaub wird als Krankheit gerechnet. Wenn eine Mitarbeiterin innerhalb des Kalenderjahres noch andere Krankheitstage hat, muss sie wieder mit einer Kürzung der Ferien rechnen, wenn die Absenzen wegen Krankheit mehr als drei Monate betragen. Stossend ist, dass man uns diesen Stillurlaub als fortschrittliche Leistung verkauft, tatsächlich ist es aber das Gegenteil.»
Die Tücken zeigen sich auch, als Katia nach dem Stillurlaub und einigen Ferien-wochen wieder zu arbeiten beginnt. Sie stillt weiterhin, wofür ihr vom Gesetz täglich 90 Minuten Zeit zustehen. Ein Kühlschrank muss zur Verfügung stehen und ein zum Stillen oder Milchabpumpen geeignetes Lokal. Aber diese Voraussetzungen sind im Fahrdienst nicht gegeben. Die TPG stellen sie deshalb vom Fahrdienst frei und bieten ihr ein Praktikum an.
Als wäre es ein schlechter Traum, schlagen sie ihr ein Praktikum im technischen Dienst vor, eine sehr beschwerliche Arbeit (grosse Lasten, Reinigung und Materialtransporte), die nicht der Situation einer stillenden Frau angemessen ist. «Stillen macht sehr müde und ich habe den Eindruck, dass sie diese Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen. Nachdem ich mich zusammen mit Valérie Solano erneut gewehrt habe, konnte ich das Praktikum bei den Uniformen machen.»
Katia stillt nicht mehr, und sie kann nach all den Hürden die Arbeit am Steuer wieder aufnehmen. «Ich war weder während der Schwangerschaft noch danach entspannt. Die TPG sollten sich besser ums Wohlbefinden der Frauen kümmern, wenn sie sie ins Unternehmen holen wollen.»
Vivian Bologna
Überholte Vorstellungen
Valérie Solano ist SEV-Gewerkschaftssekretärin in Genf und betreut vor allem die TPG.
Was hältst du von Katias Erlebnissen?
Ich sehe, dass einer Frau ihre Rechte nicht zugestanden werden, wenn sie sich nicht dafür wehrt. Es gibt grosse Informationslücken bezüglich der Rechte – gewollt oder nicht. Was Katia durchgemacht hat zeigt, dass sich eine Frau dem Unternehmen anpassen soll. Es wirft auch ein schiefes Licht auf veraltete Vorstellungen bei zahlreichen Unternehmen des öffentlichen Verkehrs, die den heutigen Erwartungen der Mitarbeitenden nicht gerecht werden.
Was meinst du damit?
Die unregelmässigen Dienste sind eine Realität. Aber das Personal könnte eine ge-wisse Regelmässigkeit in der Unregelmässigkeit erhalten. Bei den TPG sagt man mir, dass sie Probleme haben, jeweils am Mittwoch genügend Fahrpersonal zu haben, da viele frei haben, um ihre Kinder zu betreuen. Aber das muss möglich sein, und es braucht Lösungen, weil der Ausgleich von Berufs- und Privatleben sowohl für Männer wie für Frauen wichtig ist. Die Gesellschaft verändert sich, und dem muss man Rechnung tragen.