Die Automation kommt
SBB Cargo testet seit Mitte Mai automatische Kupplungen. Auch die Bremsproben und Wagenkontrollen will die Bahn automatisieren und ein «Kollisionswarnsystem» einführen, um die Arbeiten am Zug zu beschleunigen und weitgehend im Ein-Personen-Betrieb zu erledigen. So hofft sie effizienter und für die Kunden attraktiver zu werden. Sie will mit der Automation Personal einsparen, auch im Hinblick auf die vielen Pensionierungen. Doch sie möchte damit auch die körperliche Belastung des Personals reduzieren und die Berufsbilder attraktiver machen.
Der Praxisversuch mit der automatischen Kupplung betrifft rund 100 Güterwagen und 25 Lokomotiven, die im inländischen kombinierten Verkehr zwischen den Terminals in Dietikon, Oensingen, Renens, Cadenazzo und Lugano-Vedeggio sowie Biasca und Mendrisio pendeln. Sie kommen jede Nacht im Hub Dottikon (AG) zusammen und werden dort nach ihrem Zielort neu gruppiert.
Zum Kuppeln werden die Wagen einfach langsam zusammengeschoben. Dabei werden auch die Druckluftleitungen der Bremsen automatisch verbunden. Zum Entkuppeln genügt das (manuelle) Ziehen an einem Kabelzug. Beides geht viel schneller als mit der traditionellen Schraubenkupplung, ist für das Personal weniger beschwerlich und sicherer, wie im «Cargo Magazin» von Mitte August zu lesen ist. Kollegen bemängelten aber den Platz zwischen Lok und Wagen bei der Hybridkupplung als eng und unbequem.
Automatische Bremsprobe und Kollisionswarnsystem
Zudem testet SBB Cargo seit 2017 ein System für automatische Bremsproben. Diese dauern heute bei einem 500 Meter langen Zug bis zu 40 Minuten, weil ein technischer Kontrolleur dabei zweimal den Zug ablaufen muss, um zu prüfen, ob sich die Bremsen ordnungsgemäss anlegen und lösen. Demgegenüber übermittelt das neue automatische System mittels Sensoren an den Wagen den Zustand der Bremsen (durch Messung des Drucks in Zylindern und Gestänge) per Funk an den Tablet-Computer des Lokführers. So dauert die Bremsprobe am 500-Meter-Zug noch rund 10 Minuten.
Drittens plant SBB Cargo diesen Herbst funktionale Tests mit einem «Kollisionswarnsystem». Dieses ist eine Weiterentwicklung der Funkfernsteuerung. Es überwacht mit Videokameras, optischen Sensoren und Radar den Fahrweg auf jener Seite der Lok, wo der Lokführer (der auch neben dem Zug stehen kann) nicht hinsieht. Er sieht die Bilder auf einem Display, das auf die Funkfernsteuerung aufgesetzt wird. Kombiniert mit der Automation der Kupplungen und Bremskontrolle soll dieses System den Ein-Personen-Betrieb bei der Zugvorbereitung ermöglichen. Heute braucht es dafür meistens zwei Mitarbeitende: Einer verantwortet den Rangierbetrieb, der andere fährt die Lok. Die «Schweizer Eisenbahn-Revue» 7/2019 bezweifelt allerdings, dass diese drei Automationsprojekte schon den Ein-Personen-Betrieb ermöglichen, da weiterhin ein Mitarbeiter dem Zug entlanggehen und den Zustand der Wagen und der Ladung überprüfen müsse: «Diese technische Kontrolle ist zumindest vorerst ebenso wenig automatisierbar wie das Erstellen der Bremsrechnung.» Zudem seien die Bremsen an den Wagen weiterhin manuell auf G (reagiert langsam) oder P (reagiert schnell) zu stellen.
Automatische Wagenkontrolle
Doch das «Cargo Magazin» präsentiert als vierten Automationsschritt eine «neue Prüflogik»: «Streckenseitig installierte Anlagen wie Sensoren und Kameras (Wayside Intelligence) sowie intelligente Elemente an den Güterwagen selber (Asset Intelligence) sollen den aktuellen Wagenzustand so umfassend darstellen, dass eine systematische manuelle Prüfung vor jeder Abfahrt des Zuges nicht mehr notwendig ist. Allfällige Schäden können dann bequem vom Computer aus überprüft und dokumentiert werden.»
Vorerst nur im Binnenverkehr
Was soll die Automation bringen? «Zweierlei treibt uns an», erklärt Nicolas Perrin, CEO von SBB Cargo, im «Cargo Magazin»: «In den nächsten Jahren gehen 400 langjährige Mitarbeiter in Pension, die nicht leicht zu ersetzen sind. Zudem wollen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern. Mit neuen Technologien können wir Logistikketten beschleunigen und so neue Märkte gewinnen. (...) Eine halbe Stunde Zeitersparnis fällt in der kleinen Schweiz ins Gewicht. Immer mehr Kunden fordern von uns raschere Abläufe, zum Beispiel für Paket-, Stückgut- oder Lebensmitteltransporte.» Perrin will die Automation vorerst im Binnenverkehr anwenden, im Nachtnetz und mit einzelnen Kunden. Doch er will damit auch «eine europäische Entwicklung anstossen».
Bund unterstützt Automation
Die Automationsversuche von SBB Cargo werden vom Bund unterstützt: Er übernimmt von den 15 Mio. Franken, die die Umrüstung des Rollmaterials kostet, rund 9 Mio. «Der Gesetzgeber sieht ausdrücklich vor, Innovationen zu fördern», sagt dazu Peter Füglistaler, Direktor des Bundesamts für Verkehr (BAV) im «Cargo Magazin». «Das Automatisierungsprojekt ist ein Weckruf: Bahn und Bund investieren in die Zukunft des Binnengüterverkehrs auf der Schiene.»
Gesundheitsschutz undneue Berufsbilder
«Die Mitarbeitenden sind natürlich teilweise noch unsicher, doch ich spüre in der Fläche immer wieder, dass sie sich auch auf die neue Technik freuen. Denn ein Faktor ist besonders wichtig: Mit der Automation entfällt ein grosser Teil der körperlichen Belastung im Rangierberuf», sagte die Leiterin Automation von SBB Cargo, Anja-Maria Sonntag, am 6. Juni in einer Expertendiskussion organisiert von SBB Cargo an der Logistikmesse in München.
«Man darf nicht vergessen, dass die Automation auch neue Berufsbilder schaffen wird», sagte in jener Diskussion Martin Joch, Geschäftsführer und Gründer PJ Messtechnik. «Jemand muss die Systeme unterhalten. Dies bedeutet, dass auch vermehrt Leute im Hintergrund für die Montage und Elektronik arbeiten werden.»
Markus Fischer
Automation: Der SEV verlangt flankierende Massnahmen
von Philipp Hadorn*
Zu Unrecht wird den Gewerkschaften oft vorgeworfen, sie würden verstaubte Ansichten und Althergebrachtes stur verteidigen und Entwicklungen hemmen. Ganz im Gegenteil! Innovation und Verbesserung sind ein Leitmotiv des gewerkschaftlichen Engagements. Produktionssteigerungen und eine neue Welle der Automation sind nicht prinzipiell problematisch. Körperbelastende Arbeiten sollen technisch unterstützt werden, ermüdende und repetitive Arbeit darf standardisiert werden. Und technische Unterstützung darf auch gefördert werden.
Diese Fortschritte müssen aber den Mitarbeitenden zugute kommen. Die Anpassung der Berufsbilder braucht Schulung und Geduld. Der Mehrwert darf nicht blind in steile Produktionsanstiege münden, sondern soll den Mitarbeitenden Momente der Ruhe, des gewissenhaften Arbeitens mit passendem Zeitspielraum und dem erforderlichen Austausch ermöglichen.
Eine effektive Produktion braucht Stabilität, Sicherheit und Vertrauen. Ja, aus den Veränderungsprozessen ist endlich Tempo und Druck zu nehmen, damit die Arbeit Freude macht! So kann die automatische Kupplung zum Symbol des sozialen Fortschrittes werden.
*Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn leitet das SEV-Team Cargo. Er ist auch Nationalrat und Mitglied der Verkehrs- und Finanzkommission.
Neue Güterwagen
Um gegenüber der Strasse konkurrenzfähiger zu werden, will SBB Cargo das Rollmaterial generell weiterentwickeln – in Kooperation mit anderen Bahnen, Wagenhaltern, Verladern, Waggonbauern und Bahntechnologieherstellern. Dafür hat SBB Cargo mit solchen Akteuren den Technischen Innovationskreis Schienengüterverkehr (TIS) gegründet. Dieser bemüht sich auch um die Definition europäischer Standards, z.B. für Kupplungen und Sensoren.
Der TIS hat 2012 in einem Weissbuch fünf Anforderungen an den Güterwagen der Zukunft formuliert: Er soll leise, leicht, laufstark, logistikfähig und life-cycle-kostenorientiert sein (5 L). An der Logistikmesse 2017 in München präsentierte SBB Cargo den «5L-Demonstrator-Zug» aus 16 Containerwagen mit diversen Innovationen. Diese Wagen werden nun vier Jahre lang im Betrieb getestet. An der Logistikmesse 2019 stellte SBB Cargo den «5L next»-Wagen mit leichterem Chassis vor: «Die Kombination von geringerem Gewicht, radial einstellbaren Radsätzen an den Drehgestellen und aerodynamischer Optimierung senkt den Energieverbrauch und macht den Wagen umweltschonender», schrieb SBB Cargo. «Durch die neuartigen Komponenten braucht er zudem weniger Wartung. Dies senkt die Unterhaltskosten und erhöht die Verfügbarkeit der Wagen im Betrieb.»