«Altes» Rollmaterial von Schweizer Bahnen: Entwicklungsländer wären froh darum
«Nächster Halt Schrottplatz: Das passiert mit den alten Zügen der Appenzeller Bahnen», titelte das «Appenzeller Tagblatt» am 29. August 2018. Gutes Rollmaterial, noch lange nicht am Ende seiner Lebensdauer, wird verschrottet, während Bahnen in Afrika und Asien nach Wagen lechzen? Das darf doch nicht sein!
Das Behindertengleichstellungsgesetz hat eine Beschaffungswelle für gesetzeskonformes Rollmaterial bei den Schweizer Bahnen ausgelöst. Das ist gut so – ist auch für Stadler Rail, Bombardier, Siemens ein Segen. Der öffentliche Verkehr bekommt ein modernes Gesicht, und die Fahrzeuge entsprechen den Wünschen der meisten Benützer und Verkehrsbetriebe.
Video-Interview, 1 Min. 46, mit Untertiteln auf Hochdeutsch:
Ausführlicheres Video-Interview, ca. 5 Min., Schweizerdeutsch ohne Untertitel: https://youtu.be/IxdA4rbcKwQ
Wagen verschrotten?
Die Folge ist eine Welle überzähliger «alter» Fahrzeuge, die eigentlich noch gut und gerne 20 Jahre hätten fahren können. Denn sie sind in der Regel noch in hervorragendem technischem Zustand. Wenn man weiss, dass in Afrika Personenwagen wahnsinnig gesucht sind, ist es schade, solche bei uns zu verschrotten, ohne einen Einsatz in Afrika in Betracht zu ziehen, im Sinne nachhaltiger Entwicklungshilfe. Beispiel einer Lösung:
Über Stadler Rail erfuhr ich, dass Camrail in Kamerun dringend Personenwagen sucht, weil von chinesischen Herstellern vor wenigen Jahren gelieferte Wagen wegen ihrer schlechten Qualität ausser Dienst gestellt werden mussten. Auf meine Anfrage zeigte Camrail sofort grosses Interesse. Sie wollte aus den 15 Personenwagen der Appenzeller Bahnen drei Züge zu 5 Wagen formieren und damit den eingestellten Intercity-Verkehr zwischen der Hafenstadt Douala und der Hauptstadt Yaoundé (ca. 300 km) reaktivieren. Ein Kontrollingenieur überprüfte die Wagen von aussen und innen und sagte: «Verschrotten solcher Fahrzeuge ist ein krimineller Akt!» Diese Aussage sollte in Fachkreisen und Politik zu denken geben.
Verkaufen?
Leider schaffte es Camrail nicht, die Finanzierung des Kaufs und Transports in der geforderten Zeit durchzuführen. Die finanziellen Mittel der afrikanischen Länder sind halt wirklich knapp.
Sofort bemühte sich eine andere Bahn um den Kauf der Fahrzeuge: die STI-B, welche die Linie von Ouagadougou (Burkina Faso) nach Abidjan (Elfenbeinküste) betreibt. Der Generaldirektor, der technische Leiter, der Finanzchef und ein weiteres Kadermitglied besichtigten Mitte Januar die Wagen während zwei Tagen genau und waren glücklich, sie erwerben zu können. Den Kaufvertrag haben sie postwendend unterzeichnet.
Um die spartanische Inneneinrichtung für die bis 30-stündige Reisezeit auf der 1000 Kilometer langen Transitstrecke komfortabler zu gestalten, werden die Wagen nun zuerst in eine rumänische Wagenbaufirma gebracht und von dort per Schiff nach Abidjan. Hoffen wir, dass sie dort noch 20 bis 30 Jahre lang gute Dienste leisten.
Verschenken?
Die DEZA, verantwortlich für die Entwicklungshilfe des Bundes, sollte baldmöglichst prüfen, ob sie Hilfe in Form von Rollmaterialgeschenken leisten könnte. Die vielen demnächst überzählig werdenden Fahrzeuge – wie z.B. die «Mandarinli»-Züge des Regionalverkehrs Bern–Solothurn (RBS), 14 Kompositionen à 3 Wagen – zu verschrotten wäre nicht nötig. Verschenken wäre die Lösung. Angepeilte National- und Ständeräte finden die Idee der Rollmaterialspende gut. Es gibt viele Entwicklungsländer mit Meter- und Normalspurnetzen, wo Schweizer Fahrzeuge noch viele Jahre sehr nützlich wären. Ich hoffe, die Politik stellt bald Mittel für Rollmaterialspenden zur Verfügung. Das wäre auch dem Ruf der Schweiz in den Entwicklungsländern förderlich.
Der Bahnverkehr in Afrika war in den letzten Jahrzehnten auf den Gütertransport fixiert, doch man will nun den Personenverkehr auf der Schiene fördern. Wir haben die Wagen – Afrika und Asien haben die Schienen!
Egon Minikus
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Kommentare
Michaela Zimmermann 21/02/2019 08:14:35
Wunderbar - ein toller Vorstoss in der heutigen "Wegwerf-Gesellschaft"! Bravo!
zigerli 22/02/2019 12:02:11
Würde ich sehr begrüssen. Bravo warum Verschrottung wenn andere es noch gebrauchen können.
Roberto Frik 26/02/2019 08:02:41
Besser als Geldspenden, die in der Korruptionsschleife verschwinden. Dazu noch einige Techniker im Unterhalt ausbilden. Das wäre gelebte Entwicklungshilfe, die auch vom Volk verstanden und akzeptiert würde.
Bahnfan, 26.02.19