80. SEV-Kongress
Kongress 2019: Nach der Feier, die Arbeit
Nach der würdigen Jubiläumsfeier am Vorabend, geht es am 4. Juni arbeitsam weiter: Kongresspräsident Danilo Tonina eröffnet den 80. SEV-Kongress, der mit zahlreichen Anträgen und Positionspapieren für einen vollbepackten Tag sorgt.
Danilo Tonina findet zur Eröffnung des Kongresses klare Worte: «Die Digitalisierung darf nicht enthumanisieren. Wir müssen auch in Zukunft unsere Löhne schützen, für soziale Arbeitsbedingungen und Gerechtigkeit und für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen kämpfen.»
Nach organisatorischen Belangen und dem Gedenken an die Verstorbenen bringt SEV-Präsident Giorgio Tuti mit einer flammenden Rede die aktuellen und künftigen Herausforderungen auf den Punkt, respektive auf seine üblichen drei Punkte:
Grosswetterlage: Das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU beschäftigt die Schweiz nun seit beinahe einem Jahr. Die Gewerkschaften kämpfen insbesondere gegen den Plan, den bewährten Lohnschutz in der Schweiz aufzuweichen und im Zusammenhang mit staatlichen Beihilfen den Europäischen Gerichtshof bei Klagen im Rahmen von Wettbewerbssituationen entscheiden zu lassen. Sollte dieses Abkommen so verabschiedet werden, ergreift der SEV in Zusammenarbeit mit dem SGB das Referendum!
Ein weiteres zentrales Thema, das den SEV in diesem Jahr speziell beschäftigt, sind die Löhne. Einerseits konkret die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen, die trotz Verfassungsartikel und Gesetz nach wie vor nicht umgesetzt ist. Denn «es ist ungeheurlich, dass man in diesem Land, nur weil man eine Frau ist, weniger verdient und schlechtere Chancen hat als ein Mann!» ärgert sich Giorgio Tuti und verweist auf den Frauen*streik vom 14. Juni. «Für jede/n Gewerkschafter/in ist es ein Muss, dabei zu sei, damit diese respektlose Lohndiskriminierung endlich ein Ende findet!»
Generell sieht der Präsident in der Schweiz ein Kaufkraftproblem, ausgelöst durch die anziehende Teuerung und die mangelhafte Lohnentwicklung. Dazu kommt die enorme Last durch den Anstieg der Krankenkassen- und Pensionskassenprämien. Darum unterstützt der SEV die Prämien-Entlastungs-Initiative «10% des Haushaltseinkommens für Krankenkassenprämien sind genug».
Auch die Rentensituation ist schwierig, vor allem bei den Pensionskassen, deren Neurenten wegen den laufend sinkenden Umwandlungssätzen immer tiefer ausfallen. Deshalb setzt sich der SEV für die Einführung einer 13. AHV-Monatsrente ein, wie sie das Initiativprojekt des SGB vorsieht.
Service public: Die Liberalisierung hat in Europa zu Deregulierung geführt. Statt Zusammenarbeit herrscht Konkurrenz unter den öV-Unternehmen, was den Druck auf die Arbeits- und Anstellungsbedingungen verschärft. Dazu kommt auch in der Schweiz die Problematik der Scheinselbständigkeit und die zunehmende Temporärarbeit, wie sie in Bezug auf die SBB gerade ein grosses Thema ist. Die Vision 2030 für den öV, die vor fünf Jahren vom BAV veröffentlicht wurde, geht in dieselbe Richtung. Einige angedachte Massnahmen konnte der SEV stoppen. Andere sind problematisch, wie das Auseinanderreissen der Fernverkehrskonzession oder die Einführung von Fernbussen. Giorgio Tuti richtet am SEV-Kongress deshalb klare Worte an die Politik: «Wir wollen Kooperation und keinen blutigen Wettbewerb! Diese Vision muss neu geschrieben werden, ohne Wettbewerb, der bisher nichts anderes gebracht hat als einen Haufen Scherben! Wir tolerien nicht, dass diese Vision so umgesetzt wird!»
SEV: Giorgio Tuti betont zum Abschluss seiner Rede, dass der SEV auch in Zukunft viel vor hat, und dankt der SEV-Basis, seinen rund 40000 Mitgliedern, die den SEV täglich unterstützen und in ihrem Umfeld bekannt machen. Aber es braucht noch mehr Mitgliederwerbung, um die rückläufige Entwicklung der Mitgliederzahlen zu bremsen. Der Dank des Präsidenten geht auch an den Profiapparat, der Anlässe wie diesen ermöglicht, den SEV administrativ führt und GAVs aushandelt.
Nach den Wahlen (siehe Kotext) führt Vivian Bologna, Leiter SEV-Kommunikation, in den Sozialbericht 2019 ein. Er legt den Fokus auf die zahlreichen Mobilitätsaktionen der zwei letzten Jahre und lässt die eine oder andere filmisch Revue passieren.
Aktionen bieten auch am diesjährigen Kongress eine Abwechslung. So zum Beispiel die sympathische Dankesaktion der Unterverbände: Sie danken dem gesamten Profiapparat des SEV mit weissen Rosen für die tägliche Arbeit und Unterstützung. In einer anderen Aktion rufen die SEV-Frauen zur Teilnahme am Frauen*streik und zum Tragen des Solidaritätsbandes auf. «Wie in der Vogelwarte sollen alle beringt sein», betont Lucie Waser, Gleichstellungsbeauftragte des SEV. Schliesslich stellt sich in einer dritten Aktion die Jugendkomission SEV vor. Sie fordert zusammenfassend ein Einstehen für eine gerechtere und soziale Gesellschaft und weist mit dem Slogan «Wir sind die Zukunft» darauf hin, dass die Jugend stark ist und angehört werden muss.
Wie üblich werden die SEV-Positionspapiere revidiert und wo nötig angepasst (siehe S. 6), Resolutionen besprochen und verabschiedet, die Statuten und Reglemente überarbeitet und Anträge diskutiert (Details dazu in der nächsten Ausgabe der SEV-Zeitung vom 27. Juni).
Abschliessend blickt Giorgio Tuti noch einmal zurück auf zwei ereignisreiche Tage; einen feierlichen Jubiläumsabend mit namhaften Gästen und einen effizienten, kollegialen Kongress. Er verabschiedet die abtretenden Mitglieder der GPK SEV und dankt allen Mitgliedern, Gästen, Mitarbeitenden und insbesondere den Organisatorinnen des diesjährigen Kongresses für die professionelle Arbeit.
Danilo Tonina schliesst den 80. SEV-Kongress 2019 offiziell.
Chantal Fischer
Geehrt und gewählt
Ein weiterer bewegender Moment des diesjährigen Kongresses waren die Danksagungen an Manuel Avallone, SEV-Vizepräsident, der nach elf Jahren die Direktion verlässt, dem SEV aber weiterhin im Zentralsekretariat dienen wird. Der ganze Saal ehrte ihn mit einer Standing Ovation, nachdem schönste und aussagekräftigste Fotos von Manuel zu Manu Chao’s «Clandestino» über den Bildschirm geflimmert waren. Bezeichnend für den ehemaligen Aktivisten, der in diversen humanitären Projekten in Nicaragua tätig war.
In seiner Hommage erinnerte Giorgio Tuti daran, wie Manuel auf François Gatabin folgte und nur wenige Monate später der damalige PräsidentPierre-Alain Gentil nach kurzer Krankheit verstarb. «Ich hatte die Interimsführung des SEV übernommen und Manuel um sein volles Engagement in dieser schweren Zeit gebeten. Seine Antwort war klar: ‹Du kannst auf mich zählen und ich werde alles geben!› Für deine ganze Arbeit und Loyalität verdienst du unseren grössten Respekt.» Manuel Avallone bedankte sich beim Personal, der Direktion, den Unterverbänden, den Sektionen und seiner Frau, die es ihm ermöglichte, sich ganz und gar für dieses Amt einzusetzen.
Zu seinem Nachfolger wählte der Kongress einstimmig Christian Fankhauser. VPT-Zentralpräsident Gilbert d’Alessandro lobte : «Christian ist rigoros, hat eine grosse Fähigkeit, zuzuhören und scharf zu analysieren, und er lässt sich nicht von den Unternehmensführungen einschüchtern. Er hat immer das richtige Argument zum richtigen Zeitpunkt. Er ist ein wahrer Gewerkschafter, der die Meinung der Mitglieder respektiert.» Sichtlich bewegt bedankte sich Christian Fankhauser, der seine Funktion am 1.September antritt, beim Kongress und dem Vorstand für das Vertrauen: «Mit der zunehmenden Digitalisierung muss der Mensch ins Zentrum rücken. Die Kraft der Gewerkschaften sind ihre Milizler. Und ihr seid hervorragende Milizler.»
Der Kongress wählte zudem Danilo Tonina und Peter Käppler wieder als Kongress- und Vorstandspräsident und -vizepräsident, sowie die Geschäftsprüfungskommission.
Würdigung der NLM-Streikenden
Es war zweifellos ein berührender Moment des Kongresses: Nach einem kleinen Film vom 20 Tage dauernden Streik auf dem Langensee im Sommer 2017 bis zum GAV 2018 teilten die SEV-Gewerkschafter Mimmo Ferrazzo und Gianluca Carini in Begleitung von SEV-Sekretär Angelo Stroppini ihre Erfahrungen mit dem Publikum. «Was mit den 34 Angestellten der NLM passierte, kann allen passieren», betonte Angelo Stroppini. «Eines Tages erhältst du einen Brief und erfährst, dass du Teil einer Massenentlassung bist. Du wendest dich deshalb an deine Gewerkschaft, bei der du deine Beiträge einzahlst, aber nicht aktiv bist. Niemand anderes als die Gewerkschaft kann dir in diesem Moment helfen! Wir haben uns gemeinsam für den Streik entschieden – das letzte aller Mittel. Denn beim SEV sucht man in erster Linie nach Lösungen. Während eines Streiks muss man kühlen Kopf bewahren und alles dafür tun um die Kunden mit sich zu solidarisieren.»
Saisonmatrose Gianluca Carini unterstrich, was die Einheit erreicht hatte: «Diese Kündigung ist wie der erste Funke einer Liebe. Wir waren einfach Kolleginnen und Kollegen, die zusammengefunden haben, um gegen Ungerechtigkeit einzustehen. Wir haben gelernt Nein zu sagen. Und von Zeit zu Zeit muss man mutig Nein sagen können, um den Kopf über Wasser zu halten! »
Die Kongress-Teilnehmenden würdigten diesen Streik und die Streikenden mit einem lauten Applaus.
vbo/Übersetzung: chf