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Endlich: SBB Cargo hört Kunden des Wagenladungsverkehrs an

Wie kommen die Gespräche über die Zukunft des Wagenladungsverkehrs im Rahmen der Interessengemeinschaft WLV voran? Der Verband der verladenden Wirtschaft lobt SBB Cargo für ihr offenes Ohr.

Im Kanton Neuenburg zum Beispiel ist noch offen, ob SBB Cargo die Kehrichtverbrennungsanlage Cottendart bei Colombier weiter bedient. Die per Bahn abtransportierte Schlacke und Asche entspricht ca. 1200 Lkw pro Jahr. Foto: ArcInfo / Guillaume Perret.

Im März kündigte SBB Cargo an, die Hälfte ihrer noch 340 Zustellpunkte des Einzelwagenladungsverkehrs (EWLV) zu überprüfen, weil deren Auslastung von durchschnittlich zwei Wagen pro Tag für einen wirtschaftlichen Betrieb nicht genüge. Man müsse mit den Kunden über Zusammenlegungen oder flexible, nicht mehr tägliche Bedienung auf Bestellung sprechen. Zu diesem Zweck wurde die Interessengemeinschaft Wagenladungsverkehr (WLV) gegründet, bestehend aus SBB Cargo, dem Verband der Verlader, Anschlussgleis- und Wagenbesitzer VAP und dem VöV als Vertreter aller Verkehrsunternehmen. Eine positive Zwischenbilanz dieser Gespräche zogen VAP-Generalsekretär Frank Furrer und Hans-Peter Hadorn, Präsident der Kommission Güterverkehr des VöV, vor den Bahnjournalisten Schweiz an deren Inforeise zum Güterverkehr am 25. Oktober im Swissterminal in Frenkendorf (BL).

Rahmenbedingungen verbessern

Frank Furrer ging zuerst auf den ständigen Rückgang des EWLV in den letzten Jahren ein. Als Gründe nannte er einerseits die allgemein schwierigen Rahmenbedingungen für den Schienengüterverkehr wegen fehlender Netzkapazitäten und Anlagen. Sowie wegen seiner Benachteiligung gegenüber dem Personenverkehr nicht nur bei den Trassen, sondern z.B. auch bei den vom Bund finanzierten Agglomerationsprogrammen: Damit würden S-Bahnen und Trams gebaut, aber nichts für die ebenfalls wichtige logistische Versorgung der Städte.

Als weiteres Beispiel nannte Furrer die Klage des Zürcher Verkehrsverbunds gegen die im Gütertransportgesetz (GüTG) neu vorgeschriebenen stündlichen Güterverkehr-Trassen zwischen Zürich und Bülach: Das Bundesverwaltungsgericht hat in der Sache noch nicht entschieden, die Trassen aber einstweilen dem ZVV zugesprochen, um den Halbstundentakt zu ermöglichen. Dagegen klagte das Bundesamt für Verkehr (BAV) beim Bundesgericht, das aber die vorsorgliche Massnahme schützte.

«Immerhin hat der ZVV die Trassen nicht einfach bekommen, sondern klagen müssen», sagte Hans-Peter Hadorn. Denn mit dem GüTG habe das Parlament vor zwei Jahren den Güterverkehr dem Personenverkehr bei der strategischen Kapazitätsplanung gleichgestellt. «Das ist eine kleine Revolution!» Auch muss der Bund nun für die Entwicklung der Güterverkehr-Infrastruktur – inklusive Rangierbahnhöfe, Freiverladeplätze, Kombiverkehr-Terminals, Anschlussgleise usw. – ein Konzept erarbeiten und dabei frühzeitig die Kantone und alle betroffenen Akteure einbeziehen, ebenso vor dem Rückbau von Anlagen.

Auf die Kunden hören

Als hausgemachte Probleme nannte Furrer die Dominanz des Staatsbetriebs SBB Cargo allein durch seine Monopolstellung und die missglückte Einführung eines neuen Buchungssystems sowie die betrieblichen Probleme im letzten Jahr. «Und wenn man ständig signalisiert: ‹Wir bauen ab, der EWLV macht uns nicht wirklich Freude!›, und einen erfreulichen ‹System-WLV› von einem unerfreulichen ‹Restmüll› unterscheidet, dann sind das Botschaften, die bei den Verladern ankommen. Dann setzen sie nicht mehr auf dieses Pferd!»

Umso positiver sieht Furrer die Arbeit der IG WLV: «Sie setzt beim Kundennutzen an und fragt: Wie machen wir es gemeinsam? SBB Cargo sitzt mit den Kunden gemeinsam an einem Tisch, und mit den anderen Bahnen. Ziel ist, das ganze Produktionssystem des konventionellen WLV und der Ganzzüge zum Fliegen zu bringen: Es soll Kunden und Anbietern mehr Freude machen. Die Bahn soll eine attraktive Alternative zur Strasse werden.»

Erreicht werden soll dies durch bessere Abläufe, mehr Effizienz und neue Technologien in der Logistikkette. Darüber wurde und wird in Workshops gebrütet: Getrennt nach Wirtschaftsbranchen wurden deren Bedürfnisse besprochen, mit den Grossverladern gesamtschweizerische Warenflüsse und Schwerpunkte und schliesslich regionenweise mit kleineren Verladern und Kantonsvertretern mengenkritische Standorte, Potenziale und Entwicklungskonzepte. Konkrete Ergebnisse nannte Furrer keine, zeigte sich aber zuversichtlich: «Es gibt ein wirkliches Gespräch zwischen Verladern und SBB Cargo über Erfahrungen, Bedürfnisse, Herausforderungen und Lösungen. Ich höre von allen Seiten: Das ist eine völlig neue Qualität des Umgangs miteinander. Bisher hatten wir Powerpoint-Präsentationen und irgendwelche Preisverhandlungen, aber wir haben uns nie gesagt, was Sache ist. Das findet jetzt statt. Ich glaube, es gibt eine erhebliche Chance, SBB Cargo und die grosse Kiste WLV in eine positive Zukunft zu führen.»

Wichtig sei für den Schienengüterverkehr aber auch eine Senkung des Trassenpreises wie in Deutschland, fordert Frank Furrer. Und es brauche mehr Netzkapazitäten und zusätzliche Anlagen an besseren Standorten.

Markus Fischer

Der SEV wird SBB Cargo an den Taten messen

Klar, für einen erfolgreichen Schienengüterverkehr braucht es ein enges Zusammenspiel der Anbieter, der Wirtschaft, der Besteller und Verlader, des Bundes und der Kantone. Nun sitzen die Player endlich zusammen. Das ist zu begrüssen.

Doch weshalb geschieht dies erst, nachdem die SBB für ihre Tochter bereits neue Fakten zu schaffen versuchte? Redimensionierung, Rückzug und Abbau. Offensichtliche Probleme dieser Defensivstrategie führen vielleicht noch zur Vernunft. Dabei hat auch das BAV seine Rolle wahrzunehmen. Voreilig mit Desinvestitionen (Rückbau von Anlagen) Steuergelder und Entwicklungsoptionen zu vernichten wäre fatal. Jetzt gilt es Knowhow zu bewahren, eine neue Strategie nach Einsetzung der neuen Führung partizipativ zu erarbeiten und sicherzustellen, dass der Güterverkehr auf der Schiene künftig seinen Anteil vergrössert. Das hilft der Umwelt und sichert gute Qualität mit anständigen Arbeitsplätzen, und zwar langfristig. An den Taten gilt es SBB Cargo und die Güterverkehrspolitik zu messen!

Philipp Hadorn, Gewerkschaftssekretär SEV und Nationalrat

Kommentare

  • Peter Riesen

    Peter Riesen 08/11/2018 11:05:45

    Als pensionierter Lokführer beachtet man auch die Aktivitäten der SBB in seiner Umgebung. Und da habe ich ein stossendes Beispiel das mich traurig und wütend zu gleich macht.
    Als in Weinfelden das grosse Lidel Verteilzentrum gebaut wurde, freute ich mich eigentlich schon auf die Ganzzüge oder den Einzelwagenladungsverkehr der nun aufgebaut würde. Aber Hallo, nichts, auch gar nichts geschah. Keine SBB Cargo, dafür über hundert Lastwagenumschlagplätze bei diesem Grossprojekt. Was mich jedoch sehr nachdenklich stimmt ist, dass schon bei der Projektierung des grossen Verteilerzentrums "übersehen" wurde, dass ein Anschlussgleis der Bahn bis auf ca. 30 Meter an dieses Zentrum besteht. Ich denke, dass mit mehr Einsatz der SBB und eventueller Hilfe von Umweltschutzverbänden es Heute noch durchaus möglich wäre, Güter auf die Bahn zu bringen. Oder besteht vielleicht gar kein Interesse mehr daran?