1. Mai-Rede von Giorgio Tuti, Präsident SEV und Vizepräsident SGB, in St. Gallen
(Es gilt das gesprochene Wort.)
Liebe Kolleginnen und Kollegen
Der internationale Tag der Arbeit ist der Tag der Mobilisierung der Arbeitnehmenden und der ganzen Bevölkerung. Der Tag, an dem wir unsere Stimmen laut werden lassen für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen und gegen die zunehmenden Attacken auf die bisherigen Errungenschaften der Arbeiterbewegung.
Worum geht es mir heute? Zum Beispiel um die Bekämpfung der Lohndiskriminierung der Frauen. Seit über dreissig Jahren steht die Gleichstellung der Geschlechter in der Bundesverfassung. Seit über zwanzig Jahren ist die Lohngleichheit ausdrücklich im Gleichstellungsgesetz vorgeschrieben. Und doch verdienen Frauen nach wie vor gut 18% weniger als Männer. Fast die Hälfte davon, nämlich 7,4%, sind reine Lohndiskriminierung. Das ist schlicht und einfach ein Skandal!
Wie immer, wenn es um die Beseitigung einer für viele kommoden Diskriminierung geht, setzt die bürgerliche Politik auf Freiwilligkeit. Freiwilligkeit heisst, dass niemand muss. Das Resultat: Nur die wenigsten Firmen haben sich am freiwilligen Lohngleichheitsdialog beteiligt. Geändert hat sich punktuell etwas, der Rest bleibt ein Skandal. Nun hat selbst der Bundesrat gesehen, dass das nicht viel bringt. Aber seine Massnahme ist wiederum nur ein kleines Schrittchen. Grosse Unternehmen sollen nun etwas mehr Rechenschaft ablegen. Doch selbst dieses kleine Schrittchen ist der männlichen Mehrheit des Ständerats zuviel. Mit dem ewiggleichen Argument des bürokratischen Aufwands hat er die Gesetzesrevision abgeblockt. Das ist ein weiterer Skandal. Das müssen wir Gewerkschaften heute am 1. Mai überall sagen. Und das werden wir am 22. September an einer nationalen Kundgebung auf dem Bundesplatz nochmals sagen. Lohngleichheit. Punkt. Schluss! Und zwar jetzt!
Attacken auf Errungenschaften der Arbeitnehmenden gibt es zurzeit allzu viele, denn im aktuellen politischen Umfeld wittern Arbeitgeber und neoliberale Kreise Morgenluft.
Zum Beispiel die Reform der Ergänzungsleistungen (EL). Die hat der Nationalrat im März zu einer fast reinen Abbauvorlage umgebaut. Unter dem Strich resultierten Nettoeinsparungen von jährlich mindestens 900 Millionen. Der Ständerat muss nun zwingend Gegensteuer geben.
Auch bei der AHV will die politische Rechte nun reinen Abbau betreiben, nachdem die Kompromisslösung der „Altersvorsorge 2020“ letzten September in der Volksabstimmung gescheitert ist. Bei dieser wäre das höhere Frauenrentenalter durch eine bescheidene Rentenerhöhung und weitere Massnahmen mehr als ausgeglichen worden, gerade für Frauen mit tiefen und mittleren Einkommen. Nun will die Rechte das höhere Frauenrentenalter ohne genügende Kompensationen durchsetzen. Das werden wir Gewerkschaften nicht zulassen und weiter für höhere AHV-Renten kämpfen. Zumal ein immer grösserer Teil der AHV für Krankenkassenprämien und Gesundheitskosten draufgeht und die Pensionskassenrenten im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld weiter sinken. Aber der Lobby der Versicherer und ihren Helfern in der Politik ist die kostengünstige AHV ein Dorn im Auge. Sie wollen weiter an den Versicherungen verdienen. Und das gilt es zu verhindern.
Zum Beispiel die Finanzierung des Gesundheitswesens. Statt sie endlich sozialer zu gestalten, wird kräftig an der Entsolidarisierung gearbeitet. So sollen die Franchisen, die heute zwischen 300 und 2500 Franken betragen, künftig automatisch an die Entwicklung der Gesundheitsausgaben angepasst werden. Die Krankenversicherer, die ihren nicht existenten Markt so bewirtschaften, dass Krankheit immer eigenes Verschulden bedeutet, sind damit zufrieden. Und glauben, mit höheren Franchisen zu erreichen, dass die Leute nicht mehr wegen jedem "Wehwehchen" zum Arzt rennen. Das in einer Schweiz, in der jährlich bereits über 20% der Bevölkerung aus finanziellen Gründen auf medizinische Behandlungen verzichtet. Dass das Folgekosten hat, ist klar, und die dürften nicht billiger werden. Gleichzeitig streichen die Kantone ihre Budgets für die Verbilligung von Krankenkassenkassenprämien von Leuten mit tiefen Einkommen weiter zusammen. Es ist überfällig, bei den Prämienverbilligungen das Steuer herumzureissen. Wir fordern deshalb, dass die Prämienlast der Haushalte auf maximal 10% des Nettoeinkommens begrenzt wird – solidarisch getragen durch den Bund und die Kantone.
Sparen will die politische Rechte auch immer dreister beim Service public. Zum Beispiel beim öffentlichen Verkehr drücken Bund und Kantone als Besteller ihre Abgeltungen nach unten, soweit es geht. Dies führt bei den öV-Betrieben zu steigendem finanziellem Druck, Sparprogrammen und Druck auf die Arbeits- und Anstellungsbedingungen.
Zum Beispiel die SBB. Deren Führung hat sich die neoliberalen Prinzipien schon gut zu Eigen gemacht. Sie baut mit dem Sparprogramm “Railfit20/30“ zurzeit 1400 Stellen ab und will auch beim GAV auf Kosten des Personals sparen. Bei den laufenden Verhandlungen reichen ihre Forderungen von Lohnabbau über die Verschlechterung von Zulagen, Ferien, Treueprämie und bei der Arbeitszeit bis zur Schwächung des Kündigungsschutzes. Die letzte Forderung ist angesichts des geplanten Abbaus von 800 Stellen bei SBB Cargo zusätzlich zu „Railfit“ eine Provokation. Zurzeit sind die Verhandlungen blockiert. Und Deblockieren lassen sie sich nur, wenn die SBB diese Abbau-Forderungen zurücknimmt und seriös an den Verhandlungstisch kommt. Und dafür werden wir sorgen! Die Kolleginnen und Kollegen sind sauer und das ist auch gut so!
Die Rahmenbedingungen für die öV-Unternehmen in der Schweiz werden durch die Liberalisierungspolitik des Bundesamts für Verkehr nach dem Vorbild der EU immer härter. Das BAV will im Fernverkehr auf Teufel komm raus den Wettbewerb. Der macht ja bekanntlich immer alles günstiger und besser. Das Gegenteil ist der Fall. Mit dieser fahrlässigen Politik setzt das BAV ein öV-System aufs Spiel, um das wir in der ganzen Welt beneidet werden. Und wofür? Für die reine Lehre der neoliberalen Wirtschaft, denn das Einzige, was mit Sicherheit gesagt werden kann, ist dass die Sicherheit der Reisenden dadurch gefährdet wird. Wie auch der Lebensstandard, die Arbeitszufriedenheit und die Gesundheit des öV-Personals.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Baustellen haben wir viele. Wir haben sie bei der Lohndiskriminierung der Frauen, bei der Altersvorsorge und beim Gesundheitswesen. Bei den Gesamtarbeitsverträgen (wie z.B. im Baugewerbe, wo es um den Erhalt der Frühpensionierung geht, der Maschinenindustrie und der SBB) und beim Service public, um nur einige zu nennen. Aber wir wissen, was wir wollen, wir stehen zusammen und sind uns gewohnt zu kämpfen. Das können wir. Wir werden kämpfen, für bessere Arbeitsbedingungen und Lebensbedingungen und für eine solidarische Schweiz. Und wir werden gewinnen. Zusammen.
Es lebe der erste Mai!
Kommentare
Egger walter 07/05/2018 14:37:52
Was will die Geschäfsleitung von uns.Will sie wieder wie in den 70ziger
80jahren,dass die Arbeitszeit entweder auf 44 Std sind oder bis 50 und noch mehr?Mit weniger oder gleichem Lohn?Ist es der Geschäftsleitung
Klar was sue will?In der jetzigen Zeit ist das nicht ganz normal.Gruss Walter Egger u126262 AEZ.