SEV und Syndicom zeigen, welche Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Interesse der arbeitenden Bevölkerung und des Service public gestimmt haben
Rot und Grün sind nahe an der Gewerkschaftspolitik
Die Auswertung der Abstimmungen im Nationalrat zeigt es deutlich: SP und etwas weniger deutlich die Grünen stimmen so, wie es sich die Gewerkschaften des Service public vorstellen. Dies ist das Resultat einer Auswertung, welche die Berner Kommunikationsagentur Border Crossing vorgenommen hat. Die Datenbasis lieferten die Abstimmungen der letzten vier Jahre.
Welche Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen den Gewerkschaften und dem Service public nahe, welche sind am weitesten davon entfernt? Diese Fragen stellen sich die Gewerkschaften SEV und Syndicom. Dabei wollten sie sich nicht auf Bewertungen in subjektiv definierten Fragebogen wie beispielsweise Smartvote verlassen, sondern sie suchten den Tatbeweis. Sie beauftragten die Berner Kommunikationsagentur Border Crossing mit der Auswertung der Abstimmungen im Nationalrat. Unter der Leitung der Kommunikations- und Medienwissenschafterin Aline Clauss ist eine Rangliste, auch Ranking genannt, entstanden.
Bestätigung der Erwartungen
Die Resultate decken sich weitgehend mit der Auswertung, die der SEV vor vier Jahren erstmals vorgenommen hatte. Sie sind auch nicht überraschend, sondern bestätigen, was zu vermuten war. Einerseits zeigt sich, dass SP und Grüne den beiden Gewerkschaften und ihren Anliegen am nächsten stehen, andererseits ist die SVP am andern Ende der Liste anzutreffen. Deutlich ist auch die Reihung dazwischen: An die Grünen schliesst sich die GLP an, dann folgen CVP und BDP mit einer breiten Streuung, in der auch erste FDP-Namen auftauchen, danach kommt der Hauptharst der FDP, und die SVP als praktisch geschlossener Block am Schluss. Die beiden EVP-Vertreterinnen finden sich in der ersten Hälfte, aber weit auseinander, wogegen die beiden Lega-Delegierten am Ende der FDP, aber noch vor der SVP zu finden sind.
Parteien: unterscheidbar oder durchmischt?
Unter dem Aspekt der Trennschärfe – also der Frage, wie einzigartig eine Partei in ihrer Position ist – sticht die SVP deutlich heraus, und auch die GLP ist praktisch geschlossen zwischen SP/Grüne und CVP/FDP anzutreffen. Die SP bildet am Anfang einen geschlossenen Block, strahlt dann aber in die GPS aus. Diese wiederum überschneidet sich in Teilen einerseits mit der SP, andererseits mit der GLP.
CVP, BDP und FDP sind zwar in dieser Reihenfolge platzierbar, haben aber starke gegenseitige Überschneidungen.
Die Grundhaltung der Gewerkschaften für eine soziale, offene Schweiz spiegelt sich im Resultat deutlich: Die auf Eigennutz und Abschottung ausgerichteten Parteien am Ende des Rankings stellen sich selbst gerne als Volksparteien dar, die das «einfache Volk» vertreten, ihr Abstimmungsverhalten zeigt das Gegenteil.
Anwesenheit zahlt sich aus
Die Unterschiede innerhalb der einzelnen Parteien zeigen, dass einerseits die inhaltlichen Positionen gelegentlich abweichen, andererseits ist auch die An- bzw. Abwesenheit abgebildet. Diese spielt durchaus eine gewisse Rolle: «Häufig entscheiden sich Parlamentarier, an einer Abstimmung nicht teilzunehmen, statt eine von der Parteimeinung abweichende Stimme abzugeben», erläutert Mark Balsiger von Border Crossing im Interview.
Die «Besten»
Zwei Nationalräte und eine Nationalrätin der SP verzeichnen die Bestenote, eine glatte 1: Pierre-Alain Fridez (JU), Thomas Hardegger (ZH) und Rebecca Ruiz (VD). Dies bedeutet, dass sie immer abgestimmt haben und zwar immer übereinstimmend mit der Haltung, die SEV und Syndicom in der jeweiligen Frage vertreten; Rebecca Ruiz ist allerdings erst auf die Sommersession 2014 nachgerückt und hat deshalb nur an 12 Abstimmungen teilnehmen können.
Die «Schwächsten»
Am andern Ende der Liste haben vier Nationalräte der SVP eine ebenso glatte -1 erhalten: Thomas Matter (ZH), Felix Müri (LU), Lukas Reimann (SG) und Ernst Schibli (ZH). Sie waren immer anderer Meinung als die Gewerkschaften; auch hier hat es Nachgerückte: Thomas Matter und Ernst Schibli waren ebenfalls nur an 12 Abstimmungen dabei. Felix Müri war zweimal entschuldigt, ist also mit 22 Abstimmungen in der Wertung.
Die «Abweichler»
Deutliche Ausreisser nach oben, also in Richtung der gewerkschaftlichen Haltung, sind bei der FDP Christa Markwalder (BE) und bei der SVP Markus Hausammann (TG), mit einer Abweichung entgegen der gewerkschaftlichen Haltung fällt GLP-Präsident Martin Bäumle (ZH) auf.
Peter Moor
Das Vorgehen
Aus den rund 5000 Abstimmungen, die im Nationalrat von der Wintersession 2011 bis zur Sommersession 2015 stattfanden, hat die Kommunikationsagentur Border Crossing in mehreren Schritten 24 Entscheidungen herausgefiltert, in denen es um Fragen der Sozialpolitik, des Service public oder um gewerkschaftliche Anliegen ging. Ausgewählt wurden nur Abstimmungen, die nicht einstimmig ausfielen, da einstimmige Resultate keinen Einfluss auf die Wertung gehabt hätten. Danach hat Border Crossing bei SEV und Syndicom die Position in der jeweiligen Abstimmung abgefragt; für einen Tastendruck in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften gab es +1, für die gegenteilige Haltung -1, für Enthaltung oder unentschuldigtes Fehlen 0. Entschuldigtes Fehlen wurde ausgeklammert. Die summierte Punktzahl wurde anschliessend durch die Anzahl gewerteter Abstimmungen geteilt, was wiederum zu einem Wert zwischen 1 und -1 führte. Somit konnten auch jene Parlamentarierinnen und Parlamentarier bewertet werden, die im Verlauf der Amtszeit in den Rat nachgerutscht waren. Lediglich jene drei, die erst 2015 in den Rat kamen, wurden nicht gewertet, da zu wenige Abstimmungen vorhanden waren.