Was sich aus einem Ranking herauslesen lässt – und was nicht

«Das Ranking ist eine wertvolle Orientierungshilfe»

Mark Balsiger, Inhaber der Berner Kommunikationsagentur Border Crossing AG, die das Ranking für SEV und Syndicom erstellt hat, spricht über Methode und Wirkung der Erhebung.

Mark Balsiger

kontakt.sev: Weshalb figurieren von den 200 amtierenden Nationalräten nur 197 auf der Liste?

Mark Balsiger: Drei Politisierende, die erst in diesem Jahr in den Nationalrat nachrückten, haben wir nicht ausgewertet. Das wäre gegenüber allen anderen nicht fair gewesen, weil diese an viel mehr Abstimmungen teilnahmen und folglich «mehr Fehlentscheidungen» hätten fällen können. Bei den 2015er-Neulingen handelt es sich um Christine Häsler (GPS, BE), Rudolf Winkler (BDP, ZH) und Jean-Pierre Graber (SVP, BE).

Wie wurden die 24 bewerteten Geschäfte ausgewählt?

Im Zeitraum von der Wintersession 2011 bis und mit der Sommersession 2015 wurden aus rund 5000 verschiedenen Abstimmungen, die im Nationalrat stattfanden, in einem mehrstufigen Selektionsverfahren 24 sehr relevante Geschäfte herausgefiltert. In diesen ging es um Sozialpolitik, Verkehr, Energie, Service public und um gewerkschaftliche Anliegen.

Nach welchen Kriterien wurde das Stimmverhalten gewichtet?

Zuerst wurde die Position von SEV und Syndicom in den 24 gewerteten Abstimmungen abgefragt. Anschliessend haben wir die Position der Gewerkschaften mit dem Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Parlamentariers verglichen.

Welchen Einfluss haben Absenzen auf das Ranking?

Unentschuldigtes Fehlen bei einer Abstimmung wurde gleich gewertet wie eine Stimmenthaltung. Dies aus dem Grund, dass sich Parlamentarier häufig dazu entscheiden, an einer Abstimmung lieber nicht teilzunehmen, statt eine von der Parteimeinung abweichende Stimme abzugeben. Anders verhält es sich mit entschuldigten Absenzen: Hatte ein Nationalrat oder eine Nationalrätin in einer Abstimmung entschuldigt gefehlt, so floss diese Abstimmung nicht in die Wertung mit ein, das heisst, die summierte Punktzahl wurde am Schluss durch eine Abstimmung weniger geteilt. Durch dieses Verfahren konnten auch jene Parlamentarier bewertet werden, die in der laufenden Legislaturperiode in den Rat nachgerutscht waren, und nicht an allen 24 Abstimmungen hatten teilnehmen können – die Abstimmungen, die vor ihrem Eintritt in den Rat stattgefunden hatten, wurden nicht gezählt.

Worauf soll man bei der Interpretation der Ergebnisse besonders achten?

Das Ranking präsentiert sich wie die Rangliste der Tour de France, aber Vorsicht: es umfasst nur die schwierigen Bergetappen in den Pyrenäen. Die Besten dieses Rankings müssen deshalb nicht generell die besten Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Gewerkschaftssicht sein – und schon gar nicht die einflussreichsten.

Grundsätzlich: Was kann man aus so einem Ranking ersehen – und was nicht?

Auf einfache Art und Weise erhalten die Leserinnen und Leser einen Überblick, welche Parlamentarier weitgehend auf dem Kurs der Gewerkschaft abstimmten. Bei der Selektion der Geschäfte haben wir nur sehr relevante und knappe berücksichtigt. Dieses Ranking bildet aber beispielsweise nicht ab, welche Parlamentarierinnen mit geschicktem Taktieren und vielen Einzelgesprächen schliesslich die Mehrheit bei einem umstrittenen Geschäft erreichten.

Der Einfluss solcher Rankings auf das Wahlverhalten ist umstritten. Weshalb macht es trotzdem Sinn, das Abstimmverhalten der Parlamentarierinnen und Parlamentarier unter die Lupe zu nehmen?

Rankings sind per se umstritten, und das kommt nicht von ungefähr: Ich habe in den letzten Monaten mehrere gesehen, welche die rein quantitative Anzahl Vorstösse werteten. Verkürzt: Je mehr Vorstösse, desto mehr Punkte. Mit Verlaub, aber das ist Mumpitz. Aussagekräftig wäre es, wenn man erheben würde, wie viele der Vorstösse überwiesen wurden und, noch besser, wie viele tatsächlich eine Veränderungen angestossen haben. Das ist enorm aufwändig und wird deshalb nicht gemacht. Zurück zu Ihrer Frage: Für die Mitglieder Ihrer Gewerkschaft ist es beim Ausfüllen der Wahlzettel hilfreich, wenn ihnen aufgezeigt werden kann, wie die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei relevanten Geschäften abstimmten. Gerade in Kantonen mit zahllosen Kandidaturen – Zürich über 850, Bern über 650 – ist eine solche Orientierungshilfe wertvoll.

Fragen: Nina Scheu, Syndicom