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Nationalrätin Edith Graf-Litscher – die SEV-Frau im Bundesparlament

«Wir müssen das Sparpaket bekämpfen!»

Edith Graf-Litscher nimmt Stellung zur künftigen Organisation der Transportpolizei und zur Sanierung der Pensionskassen SBB und Ascoop. Und sie warnt vor der Streichung von 150 Millionen beim öV-Budget des Bundes ab 2011.

Edith Graf-Litscher

kontakt.sev: Seit September bist du Mitglied der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) des Nationalrats. Was ist dort gerade aktuell?

Edith Graf-Litscher: Wir haben gerade diskutiert, wie es mit der Bahn- bzw. Transportpolizei weitergehen soll, die in den Zügen und Bahnhöfen für die Sicherheit von Passagieren und Personal zu sorgen hat. Die KVF wird dem Plenum nächstes Jahr beantragen, dass die Unternehmen selbst die Transportpolizei stellen sollen, damit gewährleistet ist, dass die Sicherheit im öffentlichen Verkehr (öV) nicht zweit- oder drittrangig wird. Neben der Transportpolizei sollen weitere Sicherheitsdienste die Hausordnung durchsetzen dürfen, aber ohne eigentliche Polizeiaufgaben wahrzunehmen.

GAV für Zürcher Verkehrsverbund nötig

kontakt.sev: Vor Kurzem haben SEV, VPOD und Gewerkschaft Kommunikation an einer Medienkonferenz des Zürcher Gewerkschaftsbundes einen GAV für den Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) gefordert. Warum?

Edith Graf-Litscher: Weil aufgrund der Bahnreform 2 vermehrt mit Ausschreibungen zu rechnen ist, insbesondere im Busbereich, und die Gefahr besteht, dass dieser Ausschreibungswettbewerb vor allem über die Personalkosten ausgetragen wird, die an den öV-Kosten einen grossen Anteil haben. Es haben schon erste Sitzungen mit den Unternehmungen stattgefunden. Ihre Rolle und die des ZVV ist noch zu klären. Wir wollen 2010 möglichst weit vorwärts kommen mit diesem GAV.

Warum nicht einen kantonalem öV-GAV aushandeln?

Allein schon für den ZVV einen GAV auszuhandeln, ist kompliziert genug, da dabei schon sehr viele Akteure zu involvieren sind.

Wie laufen die Lohnverhandlungen im ZVV dieses Jahr?

Bei den Verhandlungen mit den einzelnen Unternehmungen ist der Druck auf den kantonalen Finanzen stark zu spüren. Die Stufenanstiege werden nicht in allen Unternehmen gewährt, Reallohnerhöhungen nur selten, und  angesichts der negativen Teuerung von 0,8 % fällt auch der Teuerungsausgelich weg, obwohl die stark steigenden Krankenkassenprämien das Familienbudget massiv bealsten. . Bei einigen Unternehmungen konnten wir aber erreichen, dass das Personal noch das Geld bekommt, das ihm aufgrund des Orange-Urteils über Zulagen in den Ferien zusteht oder ein Vaterschaftsurlaub eingeführt wird.i

Also bleiben im öV neben der Transportpolizei weiterhin private Sicherheitsdienste aktiv?

Ja, doch will die KVF, dass dafür eidgenössische Qualitätskriterien definiert werden. Die grosse Frage aber ist, wer für die eigentliche Transportpolizei-Aufgabe künftig zuständig sein soll: die öV-Unternehmen oder die Kantonspolizeien, wie dies die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren will? Letztere möchte dafür ein landesweites Konstrukt bilden, aus dem die öV-Unternehmen Transportpolizist/innen abrufen könnten, statt bei jedem Kanton einzeln anklopfen zu müssen.

Eine solche kantonale Konkordatspolizei hätte den Vorteil, dass die öV-Unternehmen dafür nicht aufkommen müssten – was ja auch richtig wäre, denn letztlich ist doch die öffentliche Hand für die Sicherheit im öffentlichen Raum und damit auch im öV verantwortlich.

Die öV-Unternehmen selbst sind dafür mitverantwortlich und müssen dazu beitragen. Und was ist, wenn die Kantone dafür nicht genügend Personal stellen? Sie wollen dafür übrigens Assistenzpolizist/innen einsetzen, die keine gleich lange Ausbildung absolvieren sollen wie voll ausgebildete Polizist/innen.

Was ausser ordnungs- und allenfalls finanzpolitischen Überlegungen spricht gegen die Ansiedlung der Transportpolizei bei den öV-Unternehmungen?

Die Kantone argumentieren, dass es Dutzende von Transportpolizeikorps geben werde. Dies ist aber ziemlich unwahrscheinlich und könnte vermieden werden, indem man gesetzlich festschreibt, dass die Transportpolizei bei einem Unternehmen angesiedelt wird, das noch zu 100 % im Besitz des Bundes ist, sprich bei der SBB, und dass die SBB ihre Transportpolizist/innen den anderen öV-Unternehmen zu gleichen Konditionen zur Verfügung stellen muss.

Welche Lösung will der SEV?

Darüber werden wir im  SEV-Team Verkehrspolitik zusammen mit dem SEV-Betreuer der Sektion Securitrans im Unterverband SBV, Gewerkschaftssekretär Martin Allemann, am 27. November beraten. Auf jeden Fall liegt dem SEV viel daran, dass über die Organisation der Transportpolizei baldmöglichst Klarheit geschaffen wird, denn bei beim Personal  spürt man eine grosse Verunsicherung.

Ein politisches Thema, das für den SEV besonders wichtig ist, ist die Sanierung der Pensionskassen SBB und Ascoop. Wann kommt die bundesrätliche Botschaft dazu ins Parlament?

Voraussichtlich im Januar. Noch offen ist, ob dann die KVF, die finanzpolitische oder die staatspolitische Kommission die Vorlage vorberaten wird. Weil diese grosse Auswirkungen auf den öV hat, könnte die KVF die Vorlage am umfassendsten beurteilen. Beispielsweise sind Unternehmen mit Pensionskassenproblemen bei Ausschreibungen benachteiligt.

Wer entscheidet über die Kommissionszuteilung?

Wenn sich die Präsidien der Kommissionen nicht einigen können, was selten vorkommt, entscheidet darüber das Ratsbüro.

Drei Tage vor der Demo für eine gerechte Ausfinanzierung der Pensionskassen (PK) SBB und Ascoop führte der SEV am 16. September eine Informationsveranstaltung für Parlamentarier/innen zu diesem Thema durch. Kurz danach kamen Mitglieder beider Räte zusammen, um das weitere Vorgehen in Sachen Ascoop zu besprechen. Was kam dabei heraus?

Die Ascoop-Leitung informierte über die geplante neue PK Symova, in die Mitte 2010 jene Ascoop-Vorsorgewerke ausgegliedert werden sollen, die den Ascoop-Sanierungsplan einhalten. Das Problem dabei ist, dass die in der Ascoop verbleibenden Vorsorgewerke von zumeist sehr kleinen Unternehmen nur schwer zu sanieren sein werden. Am Treffen diskutierten wir, was die Politik tun könnte, damit diese Unternehmen nicht in Konkurs gehen. Es herrschte die Meinung vor, dass vor allem die Kantone und Gemeinden einen Rettungsanker werfen müssen. Auf diese Meinung traf ich auch im Volkwirtschaftsdepartement. Ich finde aber, dass der Bund ebenfalls regionalpolitische Verantwortung trägt.

Bei Unternehmungen, an denen der Bund beteiligt ist, muss er aber die Pensionskassenprobleme sicher lösen helfen?

Darin waren wir uns am Parlamentarier/innen-Treffen einig. Es wurde auch von bürgerlicher Seite der  Vorschlag eingebracht,  die Bundeshilfe an die PK SBB mit einer solchen an die Ascoop zu verknüpfen. Dies könnte allerdings dazu führen, dass das vom Bundesrat für die PK SBB vorgesehene Geld auch noch für die Ascoop reichen soll. Daher müssen wir uns klar dafür einsetzen, dass der Bund zusätzliches Geld für die Ascoop spricht.

Ist zu erwarten, dass das Parlament für die PK SBB nicht nur 1,14 Milliarden bewilligt wie vom Bundesrat vorgeschlagen, sondern die vom Bund geschuldeten 3,4 Milliarden?

Dies zu erreichen wird nun noch zusätzlich dadurch erschwert, dass der Bundesrat ab 2011 1,5 Milliarden Franken sparen will. Zwar soll dieses Sparpaket die PK nicht direkt tangieren, wie mir das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) versicherte. Doch das Sparpaket und die zu erwartenden Defizite des Bundes machen es nicht einfacher, das Parlament dazu zu bringen, die 3,4 Milliarden zu sprechen, die für eine nachhaltige Sanierung der PK SBB nötig sind und die der Bund dieser effektiv schuldet, weil er sie 1999 bei der Gründung ungenügend ausfinanzierte. Wir fordern auch nicht eine Luxuslösung, sondern nur die Gleichbehandlung der SBB-Angestellten mit jenen der Bundesverwaltung und der anderen ehemaligen Regiebetriebe wie Swisscom oder Ruag.

Wie würde sich das Sparpaket auf den öV auswirken?

25 bis 30 % der Einsparungen sind beim Verkehr (inklusive Strasse) geplant, nämlich 300 bis 500 Millionen pro Jahr. Da der Verkehr nur 13 % des Bundesbudgets ausmacht, trifft ihn das Sparpaket überproportional. Das ist besonders störend. Beim öV rechnet das UVEK mit Einsparungen von 150 Millionen pro Jahr. Der Bundesrat will das Paket nächstes Jahr bei den Kantonen in Konsultation geben und dann in einem dringlichen Verfahren durchs Parlament bringen. Bekanntlich braucht die SBB aber zusätzliche Mittel für die Substanzerhaltung der Infrastruktur. Diese hat Priorität, denn wie bei den Sozialwerken dürfen wir der kommenden Generation auch bei der öV-Infrastruktur keine Altlasten hinterlassen! Somit würden beim öV wohl vor allem Neuinvestitionen gestrichen oder zeitlich verschoben – dies auch bei den Konzessionierten Transportunternehmungen (KTU) – und die Abgeltungen an die Kantone für den regionalen Personenverkehr reduziert. Dies könnte zur Umstellung von Bahnlinien auf Busbetrieb und zur Einstellung von Postautolinien in den Randregionen führen.

Würde das Sparpaket auch Projekte der Bahn 2030 verzögern?

Damit wäre zu rechnen. Bestimmt betroffen wären die Erweiterungsinvestitionen in der Leistungsvereinbarung mit der SBB und den Rahmenkrediten für die KTU, die das Parlament nächstes Jahr zu verabschieden hat. Geradezu paradox ist das Sparpaket in konjunkturpolitischer Hinsicht: Nachdem dieses Jahr zur Ankurbelung der Wirtschaft in den öV investiert wurde, sollen 2011 Investitionen und damit Beschäftigungsmöglichkeiten gestrichen werden, obwohl auch für 2011 noch eine sehr hohe Arbeitslosigkeit prognostiziert wird. Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass der SEV zusammen mit den öV-Unternehmungen, Kantonen und Regionen schon jetzt vor den schädlichen Auswirkungen dieses Sparpakets auf den öV warnt und es bekämpft!

Interview: Markus Fischer

BIO:

Edith Graf-Litscher wuchs als Tochter eines Eisenbahners in St. Gallen auf, machte bei der SBB eine Betriebsdisponentenlehre und wechselte nach Ablösungen auf verschiedenen Bahnhöfen zur Krankenkasse SBB, der heutigen Atupri. Sie bildete sich zur Krankenkassen-Versicherungsexpertin weiter, wechselte 2005 zur ÖKK und im Mai 2008 zum SEV. Mit einem 70 %-Pensum betreut sie als Regionalsekretärin diverse VPT-Sektionen in den Kantonen  Zürich und Aargau. Nach einer Karriere als SP-Politikerin im Kanton TG wurde die Frauenfelderin im Mai 2005 Nationalrätin. Sie ist vor allem in der Verkehrs- und esundheitspolitik aktiv. Fi