Kongress 2013
SEV-Führung im Amt bestätigt
Die vierköpfige Führung der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV ist für eine vierjährige Amtsperiode wiedergewählt worden. Diese Wahl stand im Zentrum des ersten Kongresstags des SEV. Eigentlicher Höhepunkt war jedoch der Auftritt von Schriftsteller Peter Bichsel, der sich dem Zusammenhang von Öffentlichkeit und Demokratie widmete.
«Machen wir es wie die Eishockeyaner: Stehen wir zusammen für unser gemeinsames Ziel!», leitete Kongresspräsident Andreas Menet den zweitägigen Anlass ein. Am Anfang der Entscheide stand die Wahl der Gewerkschaftsführung. Präsident Giorgio Tuti, Vizepräsidentin Barbara Spalinger, Vizepräsident Manuel Avallone und Finanzchef Aroldo Cambi führen den SEV in die nächsten vier Jahre. Der Kongress im Kursaal Bern hat alle vier für die nächste Amtszeit bestätigt. Die Wahlen waren weitgehend unbestritten.
Traditionell wurde der Kongress mit einer Standortbestimmung des Präsidenten eröffnet. Giorgio Tuti teilte seine Rede in die drei Abschnitte Sozialpolitik, Verkehrspolitik und SEV ein. Schwerpunkt des ersten Teils war die Einkommens- und Vermögenssituation in der Schweiz; Tuti kritisierte die Lohnunterschiede, die gemäss Verteilungsbericht des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes deutlich zugenommen haben. Er wies darauf hin, dass in den kommenden Jahren mit den Abstimmungen zur 1:12-Initiative, zur Mindestlohninitiative, zur Erbschaftssteuerinitiative und der eben erst lancierten Initiative AHVplus die Weichen für eine gerechtere Schweiz gestellt werden können.
Deutlich sprach sich Tuti gegen Ideen aus, die Pensionskassenrenten zu flexibilisieren, wie dies die SBB kürzlich in die Diskussion geworfen hatte: «Im Alter braucht man Sicherheit durch eine fixe Rente, denn der Milchpreis, die Miete und die Krankenkassenprämien sind auch fix und nicht variabel.»
Im Abschnitt zur Verkehrspolitik wies Tuti auf das wichtige Vorhaben FABI hin, das eine dauerhafte Finanzierung von Bau und Unterhalt des öffentlichen Verkehrsnetzes bringen soll. Kritische Worte fand er dagegen fürs vierte Eisenbahnpaket der EU, das mit der Trennung von Infrastruktur und Betrieb sowie der vollständigen Liberalisierung des Personenverkehrs in die falsche Richtung ziele. Weiter verurteilte er den laufenden Konkurrenzkampf im Schienengüterverkehr, der bloss ein Hickhack unter den Bahnunternehmen gebracht habe. «Dieser Wettbewerb hat keine einzige Tonne mehr auf die Schiene gebracht. Auf diesen Wettbewerb können wir verzichten!»
Schliesslich sprach Tuti über die Zukunft des SEV. Man habe es innert zehn Jahren geschafft, eine gute Basis an Gesamtarbeitsverträgen in der Branche des öffentlichen Verkehrs zu legen. Dazu gelte es Sorge zu tragen und die verbliebenen Lücken zu schliessen. Angesichts des Spardrucks, der vor allem von den Kantonen auf den öffentlichen Verkehr komme, gelte es, das Personal gut zu vertreten und Arbeitsplätze wie Arbeitsbedingungen zu schützen.
SEV-intern rief er dazu auf, noch intensiver nach dem Prinzip «Mitglied wirbt Mitglied» vorzugehen, um die Grösse und damit die Legitimation des SEV zu wahren.
Eigentlicher Höhepunkt des ersten Kongresstages war jedoch die Rede des Solothurner Schriftstellers Peter Bichsel. Dieser ist bekennender Bahnfan, politisch seit Jahrzehnten engagiert – unter anderem als Berater des damaligen Bundesrats Willi Ritschard – und für seine spitze Feder bekannt. Er erinnerte an seine Herkunft als Sohn eines SBB-Angestellten in der Werkstätte Olten.
«Ich bezahle mein Generalabonnement wie einen Mitgliederbeitrag; ich gehöre dazu», stellte er fest, um danach der Frage nachzugehen, ob die Bahn, der Verkehr zur Völkerverbindung beigetragen habe. Da sei er enttäuscht worden: Das Verbindende, das Schienen eigentlich hätten, sei nicht vorhanden. «Wir sind dabei, Öffentlichkeit zu verlieren», betonte er, denn die Menschen treffen sich nicht mehr, weder in der Beiz noch auf dem Dorfplatz. Demokratie könne aber ohne Öffentlichkeit nicht funktionieren. Er erlebe Öffentlichkeit jedoch noch in der 2. Klasse der Eisenbahn: «Hier bin ich mit jenen zusammen, mit denen ich Demokrat sein darf.» Nicht die Schienen und nicht das Rollmaterial seien die Bahn, sondern die Anwesenden, das Personal, seien die Bahn. Und er schloss mit dem Wunsch: «Ich möchte ein bisschen zu euch gehören!» Die Rede wurde vom Kongress begeistert aufgenommen und mit einer stehenden Ovation verdankt.
Der SEV-Kongress geht morgen weiter. Wiederum steht ein Gast im Mittelpunkt: Bundesrätin Doris Leuthard wird am Morgen zu den Delegierten und Gästen sprechen.