Betriebsversammlung beschliesst Ende des Streiks im Industriewerk Bellinzona
Der Streik ist zu Ende, die Arbeit geht weiter
Genau einen Monat nach Streikbeginn haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SBB Cargo in Bellinzona heute entschieden, die Arbeit wieder aufzunehmen. Nun steht eine schwierige «zweite Halbzeit» bevor, in der der SEV von der SBB mehr Fairplay erwartet.
Das Ende des Streiks wurde möglich dank den Verhandlungen vom vergangenen Samstagnachmittag unter der Führung von Bundesrat Moritz Leuenberger. Sie haben folgende Resultate gebracht:
- Die SBB zieht ihre Abbaumassnahmen im Industriewerk Bellinzona zurück.
- Ein «Runder Tisch» wird eingesetzt, um Lösungen zu suchen, die die Präsenz der SBB im Tessin und eine Zukunft für den Technologiestandort Bellinzona ermöglichen; Teilnehmer sind der Bund, die Tessiner Regierung, die Tessiner Vertretung im Bundesparlament, die Gewerkschaften SEV, Transfair, VSLF, KVöV und Unia, das Streikkomitee und die SBB.
- Der Runde Tisch wird von einem Mediator geleitet, den Moritz Leuenberger einsetzen wird. Innert zwei Monaten sollen Resultate vorliegen.
Dieses Ergebnis entspricht den Forderungen des Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verbandes (SEV). Seit Anfang März, als die SBB ihre Pläne präsentierte, verurteilt der SEV das völlige Fehlen von Informationen über die Hintergründe und Analysen, sowie den Mangel an strategischen Perspektiven für die Zukunft des Unternehmens und des Personals. Die SBB hat alle diese Informationen ihren bewährten Partnern vorenthalten, sowohl den Sozialpartnern als auch den Regierungen der betroffenen Kantone.
Nun befinden wir uns wieder an der Startlinie, was natürlich nicht heisst, dass die Probleme gelöst sind – ganz im Gegenteil. Es besteht nun aber die Chance, dass eine offene und faire Diskussion geführt werden kann. Die Zukunft von SBB Cargo verlangt von allen Seiten gut überlegte Entscheide auf dem jeweiligen Verantwortungsgebiet.
Die Bundespolitik muss ihre Haltung zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene überdenken. Trotz dem Verfassungsartikel, der auf die angenommene Alpeninitiative zurückgeht, werden die festgelegten Ziele nicht erreicht. Statt die Ziele anzupassen, wie das der Bundesrat leider vorschlägt, muss die Frage der zur Verfügung stehenden Mittel neu gestellt werden. Zu meinen, die Verlagerung geschehe von selbst, nach den «Regeln des Marktes», ist eine Illusion. Es braucht eine öffentliche Unterstützung für den Schienengüterverkehr, ganz besonders für den Inlandverkehr. Die Politiker aller Schattierungen, die die chaotische Führung von SBB Cargo beklagt haben, müssen daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen. Ohne öffentliche Unterstützung wird sich SBB Cargo kurz- und mittelfristig nicht erholen.
Bei der Regionalpolitik haben die Regierungen von Freiburg und des Tessins bereits erklärt, dass sie zu finanziellen Zustüpfen bereit sind, wenn die SBB ihre Einrichtungen aufrecht erhält oder ausbaut. Dieses Angebot muss die SBB annehmen. Das Unternehmen kann die Kantone nicht nur als Kunden im Regionalverkehr behandeln. Die SBB gehört der Öffentlichkeit; sie kann damit die Kantone als wichtige öffentliche Organe nicht übergehen. Es wäre insbesondere unzulässig, wenn die SBB die restlichen, ebenfalls umstrittenen Abbaupläne in Basel, Biel, Freiburg und an weitern Standorten umsetzen würde, obwohl sie in Bellinzona blockiert sind. Der Gang zurück an den Start muss für das ganze Abbaupaket gelten!
Der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung der SBB müssen sich Fragen stellen zur Unternehmensführung. Der öffentliche Eindruck, den sie in den letzten Wochen hinterlassen haben, ist alles andere als gut: Arroganz, Halbwahrheiten, ein Mangel an Bereitschaft zuzuhören und zu kommunizieren... Diese Liste ist so lang, dass ein Hauch von Selbstkritik zu erwarten ist. Und ohne allzu sehr darauf herumzureiten, weil man ja nicht auf Verwundete schiesst, wäre doch anzufügen, dass die Höhe der Saläre der Spitzenleute nicht das entscheidende Kriterium für die Führungsqualität eines Unternehmens ist!
Bei den Beziehungen zwischen den Sozialpartnern wird die Cargo-Krise Spuren hinterlassen. Die SBB hat versucht, ein höchst umstrittenes Projekt durchzudrücken ohne die Sozialpartner einzubeziehen, worauf diese kraftvoll reagiert haben. Dies ist nicht das übliche Vorgehen zwischen der SBB und ihren langjährigen Vertragspartnern. Gegenseitige Verständigung und Information sowie Verhandlungen – gelegentlich auch heftig und schwierig – haben es in der Vergangenheit erlaubt, tragbare Lösungen zu finden, auch bei Problemen, die ebenso heikel waren wie heute bei SBB Cargo. Mit Blick auf die Erneuerung des Gesamtarbeitsvertrags im Jahr 2010 braucht es Klarheit. Wenn die SBB schwerwiegende soziale Konflikte vermeiden will, muss sie wieder lernen mit den Gewerkschaften zu diskutieren. Der Ansatz, den die Führung heute zu bevorzugen scheint (zuerst entscheiden wir, und dann diskutieren wir – aber nur, wenn wir dazu gezwungen sind), hat seine Grenzen klar gezeigt.
Für alle Beteiligten in der Cargo-Krise hat das Streik-Ende, auf der Basis der Entscheide vom Samstag, die Gelegenheit zu einem Neustart gegeben. Jetzt braucht es aber klar mehr Fairplay!
Weitere Auskünfte: 031-357 57 50 und 079-357 99 66,