| Aktuell / SEV Zeitung

GAV Newrest Wagons-Lits

Neue Sozialpartnerschaft für nachhaltiges Reisen

Der SEV hat am 19. Februar 2025 mit dem Nachtzugunternehmen Newrest Wagons-Lits den ersten GAV unterzeichnet. Das Unternehmen stellt das Personal für die Nightjets der ÖBB – von der Reinigung bis zum Zugpersonal (mit Ausnahme des Lokpersonals). Newrest Wagons-Lits hat seinen Hauptsitz in Österreich, hat aber auch Niederlassungen in anderen europäischen Ländern. Neu will das Unternehmen Personal in der Schweiz rekrutieren. Dank diesem Gesamtarbeitsvertrag werden zukünftige Mitarbeitende in den Genuss geregelter Arbeitsbedingungen kommen. Ein Interview mit SEV-Präsident Matthias Hartwich.

Mario Schmid, Matthias Hartwich (SEV), Simon Klettenhammer, Raffael Prager (Newrest Wagons-Lits).

Es wirkt schon ein bisschen seltsam, wenn man einen GAV abschliesst mit einem Unternehmen, das noch gar niemanden angestellt hat, der diesem GAV untersteht. Ist das ein Experiment?

Matthias Hartwich: Es ist tatsächlich ein Experiment, dass wir bereits einen GAV unterzeichnet haben, bevor überhaupt Personal angestellt wurde. Das Unternehmen ist auf uns zugekommen, weil es der Ansicht war, es sei hilfreich und sinnvoll, einen Gesamtarbeitsvertrag zu haben, wenn man Personal rekrutieren will. Das hat dann zu Gesprächen und Verhandlungen geführt. Schliesslich habe ich gemeinsam mit SEV-Gewerkschaftssekretär Mario Schmid sowie Simon Klettenmann und Raffael Prager von Newrest Wagons-Lits den GAV unterschrieben.

Ist es nicht gefährlich, einen GAV zu unterschreiben, wenn es noch kein Personal gibt, das bei den Verhandlungen mitreden konnte?

Ein gewisses Risiko ist es schon. Aber wir haben da natürlich nicht im Blindflug gehandelt. Die Vida, unsere Schwestergewerkschaft in Österreich, und der dortige Betriebsrat, also die Personalkommission, der österreichischen Newrest Wagons-Lits, haben uns von Anfang an beraten und die Verhandlungen eng begleitet. In Österreich, wo das Unternehmen als Vertragspartnerin der ÖBB die Nightjets begleitet, ist ja bereits Personal tätig. Und da weiss man natürlich schon, wo die Knackpunkte sind und wo man Acht geben muss. Selbstverständlich werden wir mit dem noch zu rekrutierenden Personal zusammenarbeiten und dieses an zukünftigen Verhandlungen teilhaben lassen. Sobald es in der Schweiz angestelltes Personal beim Unternehmen gibt, werden wir eine SEV-Sektion gründen oder diese Mitglieder in eine bestehende Sektion integrieren. Und dann werden wir auch einem Gewerkschaftssekretär oder einer Gewerkschaftssekretärin die Verantwortung übertragen, die Kolleginnen und Kollegen zu begleiten. Im Übrigen werden wir auch unsere Kolleginnen und Kollegen vom ZPV bei der Begleitung um Rat und Unterstützung fragen.

Was sind die wichtigsten Errungenschaften in diesem neuen GAV?

Die wichtigste Errungenschaft ist zunächst, dass es überhaupt einen GAV gibt. Denn so gibt es verlässliche Bedingungen für das einzustellende Personal – das gilt für Newrest und auch für die Beschäftigten. Es gibt klare Regelungen zu Arbeitszeit, Löhnen, Ferien- und Ruhezeiten, aber vor allem auch zu den Mitwirkungsrechten des Personals und der Gewerkschaft. Sicherlich wird es noch Einiges zu klären geben, wird effektiv Personal eingestellt. Wir werden jedes Jahr über Löhne verhandeln und kontrollieren müssen, dass der GAV und die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Wir sind uns auch mit dem Unternehmen klar, dass wir regelmässig den GAV selbst anschauen, um zu sehen, ob die Regelungen passen und zeitgemäss sind. Der grosse Vorteil dieses Vertragswerks ist, dass wir dann nicht bei null beginnen müssen. Die Sozialpartnerschaft ist bereits da.

Wer ist eigentlich diese Unternehmung Newrest Wagons-Lits?

Newrest ist ein Konzern, der in 54 Ländern präsent ist und in erster Linie Catering-Dienste anbietet, unter anderem in Zügen und auf Flügen. Die Geschichte der Compagnie Internationale des Wagons-Lits begann schon vor 150 Jahren. Die Unternehmung wurde 1874 gegründet und entwickelte sich zum grössten Anbieter für Schlaf- und Speisewagen in ganz Europa. Bekannt ist der legendäre Orient Express, der einst Europa und Asien verband. Die Unternehmung gehört also zu den Wegbereiterinnen des modernen Bahntourismus. 2010 übernahm Newrest das Traditionsunternehmen. Gemeinsam mit der ÖBB betreut sie nun das Nachtzugangebot in Österreich, Deutschland, Italien, Belgien, Frankreich, der Niederlande und der Schweiz.

Nachtzüge sind eine nachhaltige Lösung für das Reisen. Trotzdem hat man derzeit den Eindruck, es funktioniere nicht alles so, wie es soll und es Reisende gerne hätten. Hast du das Gefühl, dieser GAV hilft mit, das Reisen mit dem Nachtzug attraktiver zu machen?

Ein GAV kann natürlich kein Geschäftsmodell ersetzen und keine Nachfrage bei Kundinnen und Kunden «herbeizaubern». Aber einen Bedarf gibt es, und die wachsende Nachfrage nach Nachtzugverbindungen als Alternative zu Kurzstreckenflügen kann helfen, die Umwelt zu entlasten und attraktive Destinationen zu erschliessen. Wichtig für uns ist, dass das Personal auf diesen Nachtzügen zu anständigen und nicht prekären Bedingungen beschäftigt wird. Von zufriedenem Personal profitieren immer auch die Reisenden. Newrest Wagons-Lits rechnet mit 50 bis 100 neuen Stellen, die am Standort Zürich geschaffen werden, und die dann diesem neuen GAV unterstellt sind. Wir blicken also alle optimistisch in die Zukunft, sonst wären wir dieses Experiment nicht eingegangen.

Michael Spahr