Gesundheit am Arbeitsplatz
Anyway Solutions - Nach einer Zäsur ein schönes Karriereende
Dank Anyway Solutions, dem Wiedereingliederungsprogramm der SBB, profitieren die Mitarbeitenden von einem Wandel, der sich meistens lohnt. Dieses Modell könnte als Beispiel für die KTU dienen. Reportage am Anyway-Standort Penthalaz.
Umgeben von Behältern mit Altmetall, Kabeln, Altpapier und Elektronikschrott gehen Americo und Jean-Pierre gewissenhaft ihrer Arbeit nach. Beide arbeiteten im Industriewerk in Yverdon, bevor sie ihre Gesundheit im Stich liess. Seit sieben respektive vier Jahren arbeiten sie in der Recycling- und Polierabteilung von Anyway Solutions der SBB in Penthalaz. «Hier gefällt es mir», freut sich Americo aufrichtig. «Wo sonst wollen sie dich mit 60 noch.», fügt Jean-Pierre hinzu, während er Dokumente des Reisedienstes vernichtet.
Anyway Solutions Anfang 2000 gestartet
Weil es ab einem bestimmten Alter immer schwieriger wird eine Arbeit zu finden, haben die SBB ihrerseits Anfang 2000 das Programm Anyway Solutions gestartet. 110 über 50-jährige Mitarbeitende (die mindestens 10 Jahre bei der SBB gearbeitet haben, was eines der Kriterien ist) sind aktuell dort angestellt und werden aus medizinischen Gründen wieder eingegliedert, sei es wegen wiederholter gesundheitlicher Probleme, einer Operation, die das Arbeiten draussen nicht mehr zulässt oder infolge eines psychischen Problems. Die Ateliers sind auf sechs Standorte verteilt, davon vier in der Deutschschweiz, eines im Tessin und eines in der Romandie. Letzteres wurde 2004 in Renens eröffnet und zog 2014 in neue, grössere und hellere Räumlichkeiten in Bahnhofnähe, «ein weiteres wichtiges Kriterium für körperlich Eingeschränkte», betont der einfühlsame Teamleiter Yvan Audergon. Einfühlsam aber auch mit sozialer Kompetenz und Führungsqualitäten: drei wichtige Eigenschaften, die seiner Meinung nach wichtig sind zum Umsetzen dieser Struktur; nicht nur sozial auch produktiv. «Hier geht es nicht darum, Leute zu beschäftigen, die Aktivitäten sind durchdacht, nutzbringend für die Unternehmung und motivierend für diejenigen, die hier arbeiten!»
In Penthalaz rezyklieren und polieren die 20 Mitarbeitenden nicht nur die Kontaktrollen, sondern revidieren auch die elektromechanischen Relais, die für den reibungslosen Betrieb des Streckennetzes entscheidend sind. Zwischen 500 und 600 Behälter gehen jedes Jahr durch die akribischen Hände dieser Mitarbeitenden. Und das ist nicht alles. Letztes Jahr wurden auf Anfrage von Archiven Stellen für die Digitalisierung von Originalplänen, Kunstwerken und vielen anderen Dokumenten geschaffen. Dazu gehört auch ein Stapel von Akten zum Umzug von Lausanne nach Renens. Um diese neuen Beschäftigungen seien die Mitarbeitenden sehr froh, sagt Fabienne, die vor einem Monat hier angekommen ist. Denn es gebe einen grossen Unterschied zwischen dem Wunsch nach Arbeit und der Realität. «Wir haben Glück, dass wir hier sind», sagt Elisabeth, eine ehemalige Zugchefin. «Wir kommen zurecht, so gut es geht und helfen uns gegenseitig. Schliesslich können wir nur besser werden.»
Praktikum vor Arbeitsversuch
Die Stelle wird nach jeweiligen körperlichen Fähigkeiten und Kenntnissen vergeben. Aus dem zweiwöchigen Praktikum wird bei positivem Ergebnis ein sechsmonatiger Arbeitsversuch. «Am Schluss dieses Versuchs wird ein Vertrag unterzeichnet. Es ist die Idee, wirklich bis zum Ende zu bleiben!», erklärt Yvan Audergon. Fernando, der schon seit elf Jahren Relais revidiert, bleit nur noch ein Monat zu arbeiten, bis er die Freuden des Ruhestandes geniessen kann. «Nach der Arbeit in Cornavin und am Flughafen musste ich bei Null anfangen. Auch heute gibt es immer noch kleine Überraschungen», sagt er lächelnd. «Das verlangt, sich immer noch Mühe zu geben und motiviert zu bleiben. Man muss aber auch die guten Sachen sehen: Es gibt mehr Spielraum und keine Nachtarbeit mehr! Vor allem aber ist es eine echte Chance, all die Jahre bei derselben Unternehmung bleiben zu können.»
Aude Hänni; Übersetzung: Nick Raduner
Was sagt der SEV dazu?
Vincent Brodard arbeitet beim Rechtsdienst des SEV. Er kennt Anyway gut.
Vincent Brodard, was hältst du von einer solchen Initiative?
Das ist eine Lösung, die in die richtige Richtung geht. Ich finde, das war die beste Idee des ehemaligen Personalchefs!
Allerdings ist es nicht allen gegeben, einen radikalen Berufswechsel zu vollziehen …
Tatsächlich ist Trauerarbeit in Bezug auf die frühere Tätigkeit zu bewältigen. Und man ist auf Unterstützung der Kolleg/innen, der Hierarchie und des Case Managements angewiesen. Ich begleite Kolleg/innen, um ihnen Informationen und auch Zuversicht zu geben …
Was kann man zudem erhoffen?
Die Herausforderung besteht darin, Arbeit zu finden. In Frage kommende Stellen sind oft schon vergeben. Wir unterstützen den Prozess und hoffen insbesondere auf weitere Aufträge für Anyway, die noch mehr Stellen generieren.
Anyway in der Schweiz
Anyway hat sechs Standorte:
- Cossonay-Penthalaz: Revision von Relais, Recycling, Polieren von Kontaktrollen von Weichenmotoren, Scannen von Kunstwerken, Originalplänen und weiteren Dokumenten
- Lyss: Verteilung von Post und Büromaterial, Zusammenstellung von Schulungsunterlagen (Ordner, etc.)
- Trimbach: Vormontage von Gerätehandbüchern, Seh- und Hörtests, Recyclingarbeiten
- Altstetten: Reinigung der orangen Überkleider, der Kopfschütze für 1.-Klass-Sitze und von Gebrauchsgegenständen für Eisenbahnunternehmungen
- Winterthur: Scannen von Archiven, Revision von Relais und alten Bahnhofsuhren
- Bellinzona: Sattlerei, Fahrzeugunterhalt, Herstellung von Rucksäcken, Schutzhüllen, etc.
Anyway gehört zu SBB-HR-AGS (Arbeitsmarktfähigkeit, Gesundheit und Soziales). Jedes Jahr werden die zu vermarktenden Produkte von Anyway überdacht und finden sich auf commerce.sbb.ch/de/