Versuche mit selbstfahrenden Bussen
Zu langsam, zu klein, zu stur
Die verschiedenen Versuchsbetriebe mit selbstfahrenden Bussen in der Schweiz zeigen vor allem eines: Der Weg ist noch sehr weit, bis solche Systeme überhaupt Teil des öffentlichen Verkehrs werden können. Die Fahrzeuge sind unflexibel, weil sie ihren digitalen Regeln folgen, sie sind sehr klein, und sie fahren viel zu langsam.
Äusserst vorsichtig setzt sich das kleine bunte Gefährt an der Bushaltestelle bei der Marzilibahn in Bewegung. Vorsichtig geht die Fahrt in die Quartierstrasse unterhalb des Bundeshauses, und bald steht es vor einem seiner grössten Probleme: Es muss nach links abbiegen. Die Technik des kleinen Elektrobusses ist auf Sicherheit ausgerichtet; wenn seine Sensoren nicht völlig sicher sind, dass der Weg frei ist, bewegt sich das Fahrzeug keinen Zentimeter.
Bern ist nach Schaffhausen und Zug der dritte Ort in der Deutschschweiz, wo Versuche mit selbstfahrenden Bussen unternommen werden. Man wolle vor allem die Integration in die Leitstelle genauer erproben, begründet Bernmobil seinen eigenen Versuch. Weitere drei Versuche gibt es in der Westschweiz (siehe Artikel unten).
In weiter Ferne
Zur Auswahl stehen zwei Fahrzeugtypen, einerseits von Easymile, andererseits von Navya. Beide Firmen haben ihren Sitz in Frankreich. Die Busse ähneln sich stark. Im ersten Moment wirken sie, als wären sie einem Kinderbuch entflohen: klein, leicht eiförmig und bullig. Vor einigen Jahren hat der schwedische Nutzfahrzeughersteller Scania angekündigt, einen 12 Meter langen autonomen Bus mit Platz für bis zu 80 Passagiere zu bauen, doch eine Nachfrage dort hat ergeben, dass «es etwas ruhiger um dieses Thema geworden ist».
Das trifft es ziemlich auf den Punkt. Im Alltagsverkehr auf Schiene oder Strasse ist eine volle Automatisierung weit entfernt. Die Fahrzeuge sind auf eine exakte Fahrspur programmiert; steht ein Hindernis im Weg, halten sie an und warten, bis es weg ist. Bereits Pflanzen am Strassenrand sind ein Problem: In Zug erfolgte die Programmierung im Winter; als im Frühling die Sträucher zu spriessen begannen, ragten sie in den Fahrweg und führten zum Stillstand. Auch Regen, Schnee und Nebel sind Hindernisse. In allen diesen Fällen muss der Begleiter im Fahrzeug auf Handbetrieb umstellen.
Bund will Grundlagen schaffen
Weshalb finden diese Versuche weiterhin statt, obwohl offensichtlich ist, dass eine Umsetzung im Alltag in sehr weiter Ferne liegt? Zuständig ist nicht etwa das Bundesamt für Verkehr, sondern das Bundesamt für Strassen Astra. Die Kommunikationsabteilung schreibt dazu: «Wir sehen die positiven Potenziale, und die wollen wir erschliessen.» Entsprechend will das UVEK in der Revision des Strassenverkehrsgesetzes die Zulassung von teil- und vollautomatisierten Fahrzeugen regeln. Allerdings stehen da nicht Busse im Vordergrund. Bereichsleiter Bruno Schmid vom Astra schreibt, dass das grösste Potenzial beim Güterverkehr gesehen werde. «Insbesondere bei der lokalen Feinverteilung von Gütern könnten automatisierte Fahrzeuge in Zukunft eine bedeutende Rolle spielen.»
Für Christian Fankhauser, Vizepräsident SEV und zuständig für die KTU, also auch Busunternehmen, sind insbesondere unbegleitete Fahrten undenkbar: «Es ist kaum vorstellbar, dass Reisende für eine längere Fahrt in einen Bus ohne Chauffeur steigen.»
Er hält denn auch klar fest, dass die Anwesenheit einer Begleitperson zwingend ist. Er stellt aber grundsätzlichere Bedenken in den Vordergrund: Wie wird sich das autonome Fahrzeug in einer ethisch schwierigen Situation entscheiden, etwa wenn die einzige Wahl aus dem Zusammenstoss mit einem entgegenkommenden Fahrzeug und dem Ausweichen in eine Personengruppe am Strassenrand besteht?
Alle suchen – und finden dasselbe
Von solchen Situationen sind die Fahrzeuge in den zurzeit laufenden Versuchen meilenweit entfernt. Gefährlich wird es vorerst nicht wegen zu hoher, sondern zu tiefer Geschwindigkeit. Der bisher einzige Unfall bei Schaffhausen wurde mit dadurch ausgelöst, dass der autonome Bus langsamer beschleunigte, als von der betroffenen Velofahrerin erwartet.
Unbestritten ist jedoch, dass die Versuche laufend neue Erkenntnisse bringen: Die Anforderungen an die Steuerung und die Technik, insbesondere an die Flexibilität bezüglich Fahrspur, können heute recht genau beschrieben (aber noch nicht umgesetzt) werden. Das selbständige Umfahren von Hindernissen, die in die Fahrspur ragen, etwa am Strassenrand abgestellte Fahrräder oder ungenau parkierte Autos, steht dabei weit oben. Um überhaupt an einen Einsatz im Linienverkehr denken zu können, müsste jedoch vor allem die Geschwindigkeit höher werden.
Wenn überhaupt, könnten autonome Fahrzeuge wohl in erster Linie dazu dienen, noch einen Schritt weiter zu erschliessen, als dies der öffentliche Verkehr heute tut, also noch näher an die Haustür.
Gilbert D’Alessandro, Zentralpräsident des VPT, stellt schliesslich einen grösseren Zusammenhang her. Er sieht die autonomen Busse als Teil der unausweichlichen, fortschreitenden Digitalisierung des gesamten Verkehrssystems. Es gelte, rechtzeitig bei den zahlreichen Berufsgattungen die kommenden Anforderungen zu erfassen und das Personal dafür zu ertüchtigen. Seine Hauptforderung ist deshalb viel allgemeiner: «Die Digitalisierungsgewinne müssen dem Personal zugute kommen!»
Weitere Informationen siehe www.astra.admin.ch (Themen/Intelligente Mobilität)
Peter Moor
Autonome Busse in der Westschweiz: noch keine Erfolgsgeschichte
Die ersten Tests mit selbstfahrenden Bussen in der Westschweiz fanden an der ETH Lausanne statt. Es folgten Betriebsversuche in diversen Ortschaften; in Genf steht ein Versuch mit Halt auf Verlangen bevor. Die Betreiber bleiben dran.
Auch in der Westschweiz sind die autonomen Busse (noch) keine Erfolgsgeschichte. Nachfolgend eine Übersicht über die beim Astra genehmigten oder vor der Genehmigung stehenden Westschweizer Projekte; alle Fahrzeuge sind Typen des französischen Herstellers Navya.
2016: Postauto in Sion
Im Juni 2016 hat Postauto in der Altstadt von Sion mit zwei selbstfahrenden Bussen begonnen. Diesen Frühling wurde der Versuch auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Gemäss Valérie Gerl, Postauto-Mediensprecherin, wurde «der Entscheid gefällt, um Ansteckungen mit Corona zu verhindern, da in den kleinen Fahrzeugen der nötige Abstand zwischen den Passagieren nicht einzuhalten ist». Ab Fahrplanwechsel sollen die autonomen Busse den Bahnhof Sion mit dem Einkaufszentrum Uvrier verbinden, wenn das Astra dies genehmigt.
2017: TPF in Marly: Reaktionen sind sehr positiv
Im Sommer 2017 folgten die Freiburger Verkehrsbetriebe TPF mit einem Versuch in der Gemeinde Marly. Laura Andres, verantwortlich für das Projekt mit selbstfahrenden Bussen bei den TPF, im Interview:
Wie ist die Bilanz zum Pilot in Marly?
Sie ist durchzogen. Wir mussten feststellen, dass die Technik nicht so weit entwickelt ist, wie wir erwartet hatten. Wir sind auf zahlreiche Schwierigkeiten mit der Streckenführung gestossen. So stören etwa die wechselnde Vegetation und das unsichere Wetter mit Regen und Schnee den Betrieb. Die Fahrzeuge sind Prototypen und es müssen technische Verbesserungen entwickelt werden. Hingegen ist die Reaktion des Publikums sehr positiv. Die Passagiere haben die neuen Busse gut akzeptiert und benutzen sie wie «normale» Verkehrsmittel.
Wie geht es weiter?
Wir wollen die Busse bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2021 weiter fahren lassen. Danach wird eine «konventionelle» Buslinie das Marly Innovation Center (MIC) bedienen, da die ersten Bewohner einziehen werden und damit die Kapazität der selbstfahrenden Busse (je 11 Plätze) nicht mehr ausreicht.
Wer hat den Kauf der Busse bezahlt und wie viel haben sie gekostet?
Der Kanton Freiburg und das MIC haben je ein Fahrzeug bezahlt, zum Preis von je rund 250000 Franken.
Wer finanziert den Betrieb?
Der Betrieb wird von den Bestellern bezahlt, also der Agglomeration Freiburg und dem Kanton.
2018: TPG in Meyrin
Im Juni 2018 haben die Genfer Verkehrsbetriebe TPG ihre selbstfahrenden Busse im Zentrum von Meyrin in Betrieb genommen. Der Versuch wurde im März wegen der Pandemie unterbrochen, wird aber seit 24. August weitergeführt.
Zudem stehen die TPG vor der Lancierung eines weiteren Pilotprojekts in Zusammenarbeit mit der Universität Genf und den Genfer Unispitälern. Selbstfahrende Busse mit Halt auf Verlangen – und zwar nicht unbedingt an festgelegten Haltepunkten – sollen auf dem weitläufigen Gelände der psychiatrischen Klinik Belle-Idée in Thônex verkehren. Die Zustimmung des Astra liegt vor.
Auch in den Depots der Regionalen Verkehrsbetriebe Morges - Bières - Cossonay MBC stehen zwei Busse bereit, um in Cossonay den Verkehr zwischen der Seilbahnstation und der Altstadt aufzunehmen.
Alberto Cherubini / Übersetzung: Peter Moor