Schifffahrt
Vierwaldstättersee: Covid-19 trifft SGV hart
Die Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV) leidet finanziell stark unter der Coronapandemie. Das bekommt natürlich auch das Personal zu spüren.
Luzern, 9 Uhr 12: Zwei der vier Besatzungsmitglieder des Motorschiffs «Diamant» schieben die Brücke an Land, schliessen die Bordwand und lösen das Tau, während im Steuerhaus Andy Brügger das Horn betätigt. Fast geräuschlos gleitet das in der hauseigenen Werft Shiptec gebaute, futuristische Schiff immer schneller durch die glitzernden Wellen der Bucht. Der Nebel lichtet sich, der Himmel wird immer blauer: ideales Wetter für ein Fährtchen auf dem See. Doch nur 94 Passagiere hat der Schiffsführer gezählt, die fünf Decks würden 1100 fassen. «Die Frequenzen sind gegenüber 2019 brutal eingebrochen», bedauert der 38-Jährige, der bei der SGV vor 14 Jahren als Kontrollmatrose angefangen hat. Während 12 Jahren war er Vorstandsmitglied des SEV-VPT SGV, davon vier als Vizepräsident. Die dreijährige «Diamant» fährt er besonders gern: Er lobt den dieselsparenden Hybridmotor und den Bugstrahler, der beim Seitenwind in Weggis das Ablegen vereinfacht. In Vitznau steigen 70 Passagiere aus, viele fahren wohl mit dem GA auf die Rigi. Die «Diamant» wirkt nun sehr leer.
In den zwei Schiffsrestaurants geniessen Gäste den Ausblick ohne Maske, die man dort ausziehen darf, wenn man mal sitzt und das Kontaktformular ausgefüllt hat. Sonst gilt auf dem Schiff überall die Maskenpflicht, natürlich auch für das Personal und auch in Diensträumen, wo 1,5 Meter Abstand nicht möglich sind. «Die meisten Fahrgäste halten sich an die Maskenpflicht», sagt Andy Brügger. «Manchmal wird draussen beispielsweise etwas lange an einem Gipfeli geknabbert oder aus einer Flasche getrunken, aber mit Abstand.»
Wie hat der Familienvater die Betriebseinstellung vom 21. März bis zum 5. Juni erlebt, als praktisch das ganze nautische Personal zu Hause und in der Kurzarbeit war? «Es war eine schöne, aber strenge Zeit mit unseren beiden Kindern (8 und 10) im Homeschooling.» Die 10% Lohneinbusse war für sein Haushaltsbudget erträglich, «weil wir auch weniger Geld brauchten.» Die SGV hatte die SEV-Forderung nach Aufstockung des Kurzarbeitslohns von 80% teilweise erfüllt. In Beckenried legt das Schiff einen erstaunlich engen Wendekreis hin. Bevor Andy Brügger an eine Kollegin übergibt, desinfiziert er alle Hebel, Knöpfe und Kontaktflächen gründlich. «Unser Schutzkonzept funktioniert: Als ich das Virus bekam, wurde von meinen Kolleg/innen niemand krank.»
50% weniger Fahrgäste
Schon vor dieser Fahrt haben wir Michel Scheurer, Leiter Nautik der SGV gefragt, wie sich der Schiffsbetrieb seit dem Ende des bundesrätlichen Verbots touristischer Fahrten am 6. Juni entwickelt hat. «Wir haben das Angebot schrittweise wieder hochgefahren und ab 4. Juli wieder rund 90% der geplanten Kurse angeboten. Bis zur Einführung der allgemeinen Maskenpflicht im öV per 6. Juli war die Schiffskapazität um 50% reduziert. Diese Grenze haben wir bei schönem Wetter erreicht und sogar zusätzliche Schiffe eingesetzt. Dann haben wir stark gespürt, dass die Maskenpflicht auf Aussendecks viele vom Schifffahren abhielt. Inzwischen ist man sich das Maskentragen wohl besser gewohnt, aber in den Monaten Juli und August, in denen wir normalerweise 45% unseres Umsatzes machen, blieb die Nachfrage der Schweizer Kundschaft unter den Erwartungen.»
Ausländische Gäste fehlen
Zudem brachen 30% der üblichen Frequenzen weg, weil keine ausländischen Gäste mehr kommen. «Weil sie geplante Ausflüge auch bei schlechtem Wetter machen, verhelfen sie uns zu einer soliden Grundauslastung», erklärt der Chefkapitän. Diese fehle gerade auch jetzt im Winterfahrplan, der seit 18. Oktober gilt und gegenüber dem Vorjahr um etwa 15% reduziert wurde. Scheurer rechnet ab Sommer 2021 wieder vermehrt mit europäischen Gästen, jedoch frühestens ab Herbst mit wenigen Gästen aus Fernmärkten wie Asien (rund 10% der Gäste im 2019) und USA. Dabei spiele die Entwicklung des Flugverkehrs und der Flugpreise mit.
Die zweite Coronawelle hat die Eventfahrten sogar wieder ganz gestoppt. «Als der Bundesrat am 23. Oktober die Personenzahl pro Anlass auf 50 beschränkte, haben Kunden sofort die Hälfte der gebuchten Fahrten storniert», sagt Scheurer. «Wir haben bis Ende November alle Eventfahrten gestrichen, weil sie nicht mehr rentabel sind. Bis 26. November entscheiden wir, was wir im Dezember anbieten.»
Für 2020 rechnet die SGV mit 50% weniger Passagieren als 2019 und 50% weniger Einkünften oder einem «hohen einstelligen Millionenverlust». Weil sie aus den letzten, guten Jahren Reserven hat, kann sie Bundeshilfe nur für die Linie Luzern–Bürgenstock erwarten. Diese betreibt seit 2018 die separate SGV Express AG, die keine Reserven hat. 50% der Hilfe müssten die Kantone LU und NW bezahlen.
Um Kosten zu sparen startet die SGV 2021 den Frühlingsfahrplan erst am 1. Mai, statt wie üblich Mitte April. Im Sommer streicht sie ein Dampfschiff und reduziert das Angebot um 15%, über das ganze Jahr sogar um 20%.
Auswirkungen auf das Personal
2021 will die SGV keine neuen nautischen Saisonniers einstellen. Drei der zwölf Saisonniers von 2020 haben Ende Oktober neue Verträge erhalten, die anderen machen z.B. ein Zwischenjahr oder fanden bzw. suchen andere Jobs. «Zum Teil wohl auch, weil sie 2020 wegen Corona weniger arbeiten konnten als erhofft», sagt SEV-Gewerkschaftssekretär Toni Feuz.
Das Stationspersonal, das in Luzern, Weggis, Brunnen und Flüelen in der Sommersaison Billette verkauft und normalerweise im Oktober Verträge für das nächste Jahr erhält, soll diese erst im Frühjahr erhalten. Einer dieser Saisonniers wurde diesen Herbst auch einen Monat früher entlassen, führt Scheurer aus. Zusätzlich gab es drei weitere Kündigungen in diesem Bereich per Ende Dezember sowie eine Pensionierung, welche nicht ersetzt wird. Beim Verwaltungspersonal hat es bei Marketing & Sales Pensenreduktionen gegeben und eine Entlassung. Ebenso wird auch hier eine Stelle infolge Pensionierungen nicht ersetzt.
Tavolago, der Gastro-Bereich der SGV, hat sogar mehrere Angestellte entlassen. «Das ist nicht dasselbe wie bei der Nautik», sagt Michel Scheurer: «Servicepersonal und Köche findet man auf dem Arbeitsmarkt relativ einfach, Kapitäne, Schiffsführer und Schiffskassiere aber nicht. Darum liegt es der Geschäftsleitung der SGV sehr am Herzen, die Arbeitsplätze des nautischen Personals zu sichern und möglichst keine Mitarbeitenden zu entlassen. Dafür braucht es aber etwas Flexibilität, etwa bei den Saisonniers.» Die Entlassung eines Matrosen per Ende Oktober solle die Ausnahme bleiben.
Knacknüsse Minus- und Überstunden, Kurzarbeit und Ferienplanung
Die Fahrplanreduktionen im 2020 führen dazu, dass von den rund 120 Nautiker/innen etliche nicht auf die geplante Mehrzeit kamen, die sie im Winter gewöhnlich kompensieren. Mit guter Planung und der bewilligten Kurzarbeit ab Dezember soll ein adäquater Ausgleich ermöglicht werden. «Dies gerecht und zur Zufriedenheit möglichst aller zu gestalten wird eine ziemliche Knacknuss werden», sagt Toni Feuz. «Auch die von der SGV einseitig angekündigten Feriensperren treffen einige ziemlich hart: Zu all dem hofft der SEV im Gespräch mit der SGV-Leitung gute Lösungen für alle und für die Unternehmung zu finden.»
Markus Fischer
Situation auf den anderen Deutschschweizer Seen
«Insgesamt steht die ganze Schifffahrt vor einer schwierigen Zukunft», resümiert Michael Buletti, zuständiger SEV-Gewerkschaftssekretär für die Branche. Bei vielen Schifffahrtsunternehmen droht die Situation aufgrund massiver Verluste existenziell zu werden, fliessen nicht bald Gelder aus der Bundesunterstützung für den Tourismus. Durch die aktuelle Pandemiesituation fehlen die ausländischen Touristen, Themenfahrten und Erlebnisgastronomie finden gar nicht mehr statt. Die Schifffahrtsbetriebe haben deshalb frühzeitig auf den Winterfahrplan umgestellt, die Schifffahrtsgesellschaft Untersee und Rhein, sowie jene vom Bodensee (SBS) und Bielersee haben ihren Betrieb vorläufig ganz eingestellt. Bei etlichen Unternehmen sind aktuell Angestellte mindestens tageweise in Kurzarbeit, mehrere haben die Lohnmassnahmen für 2020 ausgesetzt.
Obwohl die Lage auch 2021 schwierig bleibt, versuchen die Schiffsbetriebe bisher möglichst ohne Abbau nautischer Stellen durch die Krise zukommen und teilweise auch die Saisonniers wieder einzustellen. Die SBS gab am 4. September den Abbau von sechs Stellen bekannt, offenbar vor allem im Gastrobereich. Bei der BLS war schon vor Corona unter dem Projektnahmen «Navigo» die Auslagerung der Schifffahrt und die Gründung einer entsprechenden Tochtergesellschaft geplant. Die Forderung des SEV, wonach der GAV der BLS weiterhin auch für die Schifffahrt gelten soll, wird angesichts der aktuellen Lage wichtiger denn je.
Die Hoffnung bleibt, dass die hiesige Schifffahrt wenigstens nächstes Jahr stärker vom einheimischen Tourismus profitieren kann: Während dieses Jahr die Maskenpflicht offenbar viele Einheimische vom Schifffahren abhielt, werden sich nächstes Jahr hoffentlich die meisten an das Maskentragen gewöhnt haben.
ela