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Westschweizer Mobilität

Léman Express, ein Trojanisches Pferd?

Der Léman Express, der im Dezember 2019 losfahren soll, wird die grösste grenzüberschreitende S-Bahn in Europa. Ab 2025 könnte er auch zu einem Trojanischen Pferd werden, wenn über eine europäische Ausschreibung der Abbau der Arbeitsbedingungen der Lokführer/innen getestet würde.

Schweizer und französische Gewerkschaften gemeinsam auf der Strasse. Die internationale Zusammenarbeit wird auch in Zukunft nötig sein.

Fanfarenklänge, Reden von Obrigkeiten in Begleitung ihrer geschmückten Weibel: Seit Dezember nehmen die Festlichkeiten mit Blick auf die Inbetriebnahme des Léman Express laufend zu.

CEVA, ein fehlendes Glied

Am 7. Juni feierten die Behörden und Bahnbetreiber die Verdoppelung der Regionalzüge zwischen Coppet (VD) und Lancy-Pont-Rouge (GE) und damit den Viertelstundentakt in Spitzenzeiten ab dem 11. Juni. Dieser Takt gibt einen Vorgeschmack auf das Netz des Léman Express, das am 15. Dezember 2019 vollendet sein soll. Die Regionalzüge werden dann über Lancy-Pont-Rouge hinaus auf der neuen CEVA-Linie nach Annemasse und sogar Evian, Saint-Gervais oder Annecy weiterfahren. Wenn das fehlende Streckenglied von 16 Kilometern zur CEVA geschlossen ist, verbindet das Netz 45 Stationen in der Schweiz und in Frankreich auf über 230 Kilometer Strecke und deckt das Einzugsgebiet von Gross-Genf mit über einer Million Einwohnern ab.

Gegen den Autowahn

Der Léman Express wird die grösste grenzüberschreitende S-Bahn in Europa. Er ist aus dem Missstand heraus entstanden, dass inzwischen 84 Prozent der Grenzgänger mit Privatfahrzeugen zur Arbeit fahren, weil ein passendes öV-Angebot fehlt, und das Strassennetz damit überlasten. Mit den 40 Zügen des künftigen Netzes werden täglich 50000 Passagiere die Grenze überqueren, auf dem Weg zur Arbeit, zum Studium oder zur Freizeit. Der öffentliche Verkehr soll so attraktiv werden, dass der Autowahn gebremst und die Stauwellen reduziert werden können, dies die Hoffnung.

Arbeitsrecht

Für die Schweizer und französischen Gewerkschaften stellt sich eine zentrale Frage: welche Gesellschaft wird das Netz betreiben und welche Arbeitsbedingungen werden gelten? Auf beiden Seiten der Grenze geht es darum, Anstellungsbedingungen und Personalstatus beizubehalten.

In einem ersten Schritt werden es die jeweiligen Hausregeln sein. Die Betreibergesellschaft Lémanis wird von SNCF (40%) und SBB (60%) gemeinsam geführt, aber die Lokführerinnen und Lokführer arbeiten nur im eigenen Land, obwohl sie beide Fahrbewilligungen haben, mit Lokführerwechsel jeweils in Annemasse.

Mögliche Ausschreibungen

Am 1. Februar haben der Bund, die Kantone Genf und Waadt sowie die Region Auvergne-Rhône-Alpes eine Absichtserklärung zum Léman Express unterschrieben. Diese besagt, dass die vier Partner bis spätestens 2023 eine einzige Aufsichtsorganisation gründen wollen, die als Betreiberin eine einzige Gesellschaft führt, also eine Lémanis, die so bald als möglich eine vollständige Eisenbahngesellschaft werden soll, wie in der Absichtserklärung festgehalten ist. Diese enthält allerdings aus Sicht der Gewerkschaften höchst befremdliche Grauzonen. Sie bietet nämlich dem einheitlichen Aufsichtsorgan die Möglichkeit einer «eventuellen Ausschreibung der Bahnleistungen des Léman Express auf dem gesamten einbezogenen Gebiet der Schweiz und Frankreichs am Ende der 10-jährigen Konzession, mit einer Ausstiegsklausel nach 6 Jahren, die dem Betreiber auf dem Schweizer Netz zugestanden wird».

Im Zeitraum 2025-2029 könnte das Netz also gesamteuropäisch ausgeschrieben werden. Die europäische Union bereitet sich auf die Liberalisierung des Fernverkehrs (2020) und des Regionalverkehrs (2026) vor. Für ein grenzüberschreitendes Netz wird unter diesen Bedingungen der Druck sehr gross, insbesondere auf die Arbeitsbedingungen. «Die Schweizer und französischen Gewerkschaften, die in dieser Frage übereinstimmen, werden ihr Gewicht geltend machen, damit die Behörden die Sozialbedingungen in diese Ausschreibung aufnehmen und sich nicht ausschliesslich auf das günstigste Angebot ausrichten», betont Valérie Solano, Gewerkschaftssekretärin SEV. Die CGT Bahn, SUD Rail und der SEV haben von Lémanis Informationen über die künftigen Arbeitsbedingungen verlangt. An einer gemeinsamen Sitzung vom 6. Juli hat sich ergeben, dass für den Betrieb des Léman Express noch keine Rechtsgrundlage besteht. Die beteiligten Behörden kümmern sich zurzeit darum.

«Fürs Erste haben wir dank unserem gemeinsamen Auftreten mit den französischen Gewerkschaften Lémanis dazu gezwungen, uns zu antworten und die Arbeitsbedingungen der Lokführer zu gewährleisten. Aber in sechs Jahren ist aus heutiger Sicht nichts gesichert. Die Gewerkschaften sind beidseits der Grenzen auf der Hut», verspricht Valérie Solano.

Lohndumping

Die grosse Befürchtung der Gewerkschaften ist, dass CEVA und Léman Express als Trojanisches Pferd dienen und den Weg öffnen für Gesellschaften, die sich weniger um soziale Fragen kümmern. Diese könnten die Ausschreibung gewinnen oder die Linien als Unterakkordanten betreiben und beidseits der Grenzen Arbeitsbedingungen und Löhne verschlechtern. Die einheitliche Aufsichtsorganisation des Léman Express muss zwar «sicherstellen, dass die offerierten Leistungen auf dem gesamten Netz gehobene Qualitätsanforderungen erfüllen», wozu, hoffentlich, die sozialen Bedingungen zählen, doch sie muss gleichzeitig beachten, dass «sie die Kosten im Griff hat und eine maximale Rentabilität erreicht», was im Kampf gegen das Lohndumping nichts Gutes erahnen lässt.

Es gibt zudem weitere Anzeichen, die zur Wachsamkeit rufen. Die CEVA-Baustelle war Schauplatz von mehreren gewerkschaftlichen Anzeigen wegen Lohndrückerei, was letztlich dazu führte, dass der Staat zwei zusätzliche Inspektoren anstellte, um die Arbeitsbedingungen zu kontrollieren und die Verantwortungslosigkeit des andern Bauherrn, der SBB, zu beheben.

Europäische Akteure?

Der Kampf bei den Unterakkordanten der TPG (letzte Ausgabe) hat ebenfalls gezeigt, dass die Arbeitsbedingungen in der Kaskade der Unterakkordanz deutlich schlechter sind.

Die RATP (Pariser Verkehrsbetriebe) betätigen sich seit Jahren als wichtiger Verkehrsanbieter in der Region. Es ist zu befürchten, dass sich die SNCF immer mehr aus den schlecht rentablen Regionallinien zurückzieht und das Feld Unternehmen wie RATP oder andern europäischen Anbietern überlässt, die sich weniger um die Arbeitsbedingungen kümmern.

Yves Sancey/pmo