Gütertochter der SBB wieder in den roten Zahlen
SBB Cargo: SEV lehnt unzumutbaren Stellenabbau ab
Die SBB-Gütertochter hat im ersten Halbjahr mit dem neuen Wagenladungsverkehr einen zweistelligen Millionenverlust eingefahren. Dazu kommt nun die Sperre bei Rastatt/D, die sie viele weitere Millionen kosten wird. Die Leitung spart sofort, vor allem beim Büropersonal, das schon jetzt überlastet ist. Der SEV fordert Augenmass beim Sparen und mehr Realismus der Politik: Wenn diese von SBB Cargo jedes Jahreine schwarze Null verlangt, spart sich das Unternehmen zu Tode.
2013 schien sich der harte Sparkurs des Unternehmens endlich zu lohnen: Nach über 40 Jahren erreichte die SBB-Gütersparte erstmals einen Gewinn in der Höhe von 14,7 Mio. Franken. 2014 resultierte gar ein Plus von 33 Mio., wozu auch SBB Cargo International beitrug: Zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 2011 schrieb die gemeinsame Tochter von SBB Cargo (75%) und Hupac (25%) ein kleines Plus von 1 Mio. Doch schon 2015 führten der starke Franken, die konjunkturelle Abschwächung und die Desindustrialisierung wieder zu Verlusten, die SBB Cargo nur dank sofortigem Sparen und Effizienzsteigern auf 22 Mio. beschränken konnte. 2016 folgte wieder ein kleiner Gewinn von 1 Mio. – also eine «schwarze Null», wie sie der Bund als Eigner in der Leistungsvereinbarung mit der SBB verlangt. Aber 2017 ist schon wieder ein zweistelliges Millionendefizit zu erwarten.
Neuer Wagenladungsverkehr schlecht gestartet
Probleme gibt es vor allem mit dem im Dezember eingeführten neuen Wagenladungsverkehr: Dieser lief schlecht an, verärgerte viele Kunden und erforderte laufend Korrekturen und Notlösungen. So stieg der Aufwand an Personal und Rollmaterial, während der Umsatz sank. Heute laufe der WLV17 recht stabil, erklärte die Leitung im August gegenüber Gewerkschaften und Personalkommission. Viele Kunden und Mitarbeitende sind aber weniger optimistisch (siehe Box).
Overhead-Abbau im Rückstand
Als weiteren Grund für den Ergebniseinbruch nannte die Cargo-Leitung den Rückstand beim laufenden Abbau von Stellen im «Overhead». Dieser Begriff umfasst alles, was nicht direkt zur Produktion gehört. Bereits im April 2016 lancierte SBB Cargo das Projekt «Strukturkosten» mit dem Ziel, die Overhead-Kosten unter 20% des Umsatzes zu senken. Mit «Struko» sollten in einem ersten Schritt 75 «White-Collar-Stellen» per 1. Januar 2017 verschwinden.
Dank dem im GAV enthaltenen Schutz vor Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen mussten die Betroffenen (sofern sie vier Dienstjahre bei der SBB erreicht hatten) auf dieses Datum das Unternehmen aber nicht verlassen, sollten jedoch eigentlich ins Arbeitsmarktcenter (AMC) der SBB übertreten, sofern sie noch keine neue Stelle gefunden hatten. So hatte SBB Cargo für das laufende Jahr 574 Bürostellen budgetiert, hat aber zurzeit immer noch rund 20 Bürostellen mehr besetzt. Dies hat einerseits damit zu tun, dass die Arbeitslast nicht zurückgegangen, sondern gestiegen ist, bedingt durch die aufwendigen Korrekturen im WLV, durch die verspätete Einführung des neuen Informatiksystems «Caros» (für die Dienstplanung und Arbeitszeit-Abrechnung) sowie aktuell durch die Rastatt-Sperre. Andererseits muss SBB Cargo dem AMC für dort platzierte Mitarbeitende je einen hohen fünfstelligen Beitrag entrichten. SBB Cargo fährt besser damit, einen Teil der «Abgebauten» zu behalten. Das wäre an sich auch vernünftig.
Unzumutbares Forcing
Doch nun will die Leitung unter dem Finanzdruck nicht nur diesen ersten Teil von «Struko» rasch zu Ende führen, sondern auch gleich den zweiten Teil vorziehen und bereits auf den 1. April 2018 rund 80 weitere Overhead-Stellen abbauen.
Auch wenn davon einige schon nicht mehr besetzt sind, schüttelt Gewerkschaftssekretär Philipp Hadorn den Kopf: «Dieses Ziel ist völlig unrealistisch. Viele Mitarbeitende sind am Limit oder haben schon gesundheitliche Probleme. Nun sollen sich Dutzende neben der Arbeit beruflich neu orientieren, und ab April sollen massiv weniger Leute etwa die gleiche Arbeit stemmen wie heute. Das ist für alle schlicht unzumutbar!»
Eigenwirtschaftlichkeit macht SBB Cargo kaputt
Philipp Hadorn findet es auch bedenklich, dass SBB Cargo dieses Jahr einen Ausbildungstag streicht, weil das Personal allzu knapp bemessen ist, und aus finanzieller Not innovative Projekte wie «Smart Rail» und die «Digitale Kundenschnittstelle» aufgeben muss.
«Die Probleme beim WLV17 sind zum Teil auch durch mangelnde Ressourcen bedingt», sagt Hadorn, und betont auch als Nationalrat: «Um die schwarze Null zu erreichen, die der Bund als Eigner fordert, muss SBB Cargo seit Jahren ständig Ressourcen einsparen, Zustellpunkte streichen und immer mehr Verkehr der Strasse überlassen. Dabei wäre es für die Volkswirtschaft, die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung besser, möglichst viele Güter auf der Schiene zu transportieren. Darum muss die Politik zumindest dann, wenn widrige Rahmenbedingungen wie eine Streckensperre oder plötzliche Währungsschwankungen bei SBB Cargo Verluste verursachen, bereit sein, dem Unternehmen unter die Arme zu greifen.»
Markus Fischer
Streckensperre bei Karlsruhe kostet Millionen
Europas Bahnlogistik vor dem Kollaps
Seit dem 12. August ist die Rheintalstrecke bei Rastatt/D unterbrochen, weil die mit Eis stabilisierte Decke des Tunnels für die Neubaustrecke einstürzte. Da eine Betonplatte gebaut werden müsse, bleibe die Linie wohl bis 7. Oktober gesperrt, teilte die DB mit.
Für die Bahnen, die verladende Wirtschaft und zunehmend deren Kunden werden die Folgen täglich dramatischer. Am 4. September schrieben 24 Verbände der verladenden Wirtschaft aus mehreren Ländern, darunter die Schweiz, in einem offenen Brief an den deutschen Verkehrsminister und die EU, dass die Bahnen aktuell nur 25% des Normalvolumens über Umfahrungslinien bewältigen könnten. Dies vor allem mangels geeigneter Lokführer. Würden solche vom Personenverkehr freigestellt und gepoolt, steige die Umfahrungskapazität auf 50–60%. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum in Rastatt die Strecke nicht behelfsmässig wenigstens einspurig geöffnet werden könne.
Das findet auch Edith Graf-Litscher, Vizepräsidentin der nationalrätlichen Verkehrskommission und Gewerkschaftssekretärin beim SEV. Denn so liessen sich hohe volkswirtschaftliche Schäden vermeiden. Und die Bahnen und Logistikunternehmen, die zur verfassungsmässig vorgeschriebenen Verlagerung auf die Schiene beitragen, müssten vom Bund Vorleistungen erhalten, bis die Haftungsfrage geregelt ist, falls sie sonst in der Existenz bedroht wären. Für die Zukunft fordert Graf-Litscher, dass vor allem Deutschland sein Netz so ausbaut, dass Streckensperren besser umfahrbar sind.
Schweizer Bahnen stark betroffen
BLS Cargo kostet die Sperre pro Woche mehrere 100 000 Franken an Erlösausfällen, an fehlender Deckung von Fixkosten und an Zusatzkosten für Umleitungen. Von 140 betroffenen Zügen pro Woche konnte BLS Cargo bisher ca. 70 umleiten (vor allem via Singen, aber auch via Frankreich), SBB Cargo und SBB Cargo International von 60 bzw. 80 Zügen pro Tag weniger als 50 %. Die SBB spricht von «Einnahmenausfällen in Millionenhöhe», die sie nicht näher präzisieren wollte.
«Über Partner in Deutschland haben wir Haftung für die Mehrkosten/Erlösausfälle bei DB Netz angemeldet», erklärte die BLS gegenüber kontakt.sev. Bei der SBB hiess es, die Möglichkeit einer Haftungsklage werde im Rechtsdienst noch geprüft.
«Sämtliche Mitarbeitende von BLS Cargo sind stark mit der Sperre beschäftigt», erklärte die BLS-Medienstelle weiter. «Zusätzlicher Aufwand entsteht aber auch für die BLS-Lokführer. Sie zeigen sich sehr flexibel und bringen hohes Verständnis für die Situation auf».
Fi
Rangierer zum WLV17: «Man hat zu viel gewollt»
Wer die Rangierer von SBB Cargo fragt, was sie vom «Wagenladungsverkehr 2017» halten, bekommt harte Kritik am Fahrplanwechsel 2016/17 zu hören: zu knappe Fahr- und Rangierzeiten, zu knappe Zugkapazitäten, sodass Lasten stehen blieben, fehlende Loks, ineffiziente Leerfahrten. Vor allem aber waren Personal und Kunden schlecht informiert. «Wir bekamen eine Flut schriftlicher Informationen, doch gelesen ist noch nicht verstanden. Nach ein paar Wochen Learning by doing ist dann der Aha-Effekt gekommen.»
Schlechte Information
«Man hat zu viel gewollt und die Kunden heillos überfordert. Viele wussten nicht, dass wir ihre Wagen nicht mitnehmen dürfen, wenn sie sie im System nicht eingebucht haben. Das hat zu vielen Reaktionen geführt, natürlich direkt bei uns Arbeitern.» Viele Kunden haben auch lange nicht begriffen, dass ihre Wagen nicht mehr am Morgen kommen, sondern am Abend für den nächsten Tag. «Deshalb war und ist es wichtig, dass wir Arbeiter mit den Kunden sprechen. Regelmässig ein freundliches Telefon bewirkt viel und braucht nicht viel Zeit.»
Den Arbeiter/innen zuhören und vertrauen
Wichtig ist auch eine gute Kommunikation bei SBB Cargo selber. «Am Anfang mussten wir uns für alles rechtfertigen, die statistische Kontrolle war übertrieben. Inzwischen lässt man unser Team Dinge wie zum Beispiel das Umbuchen von Wagen auf andere Züge selber machen, weil das effizienter ist. Und unser Chef hört uns genau zu, wenn wir ihm bessere Lösungen vorschlagen, und prüft, ob sie umsetzbar sind. So geht es in kleinen Schritten vorwärts.»
Besorgnis bleibt
Doch das Ende des Tunnels ist noch nicht in Sicht. «Noch gibt es viel Verbesserungsbedarf. Bei gewissen Zügen haben wir weiterhin regelmässig viel zu wenig Zeit für das Lokanhängen, das Füllen der Bremsleitungen, die Bremsprobe und das Abschreiten des Zuges zur Zugdatenerfassung . Und wir wissen nicht, wie der neue Fahrplan aussieht. Hoffentlich wurde erkannt, dass es nicht so weitergehen darf.»
Laut einer Cargo-Umfrage vom August sind noch immer 39% der Kunden unzufrieden mit dem WLV17. Da sorgen sich die Rangierer, dass die Tonnagen, die mit dem WLV17 gesunken sind, nicht wieder steigen, und sind frustriert, dass alle Anstrengungen nur mässig fruchten.
Belastung gestiegen
Ganz zu schweigen vom Arbeitsdruck durch das ständige Improvisieren und Korrigieren bei zu knappem Personalbestand. Es gibt viele Langzeitkranke und massive Zeitkonto-Überschreitungen. «Wir sind am Anschlag», ist rundum zu hören. «Die Älteren warten sehnlich auf den Tag, an dem sie in Pension gehen können.» Diese Aussagen bestätigt die SEV-Umfrage vom Juni, worin die Zufriedenheit punkto Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz bei Cargo am tiefsten ausfiel: Nur 44 Prozent der Mitglieder bei SBB Cargo fanden, dass ihre Arbeit ihre Gesundheit nicht beeinträchtigt.
Fi
Kommentare
Blaise 14/09/2017 05:51:20
La déroute