Info-Anlässe des SEV zu den laufenden GAV-Verhandlungen über das neue Lohnsystem der SBB
Entwertung körperlicher Arbeit wird nicht akzeptiert
An den fünf Anlässen, die der SEV zwischen dem 14. und 21. Juni in Bern, Zürich, Bellinzona, Lausanne und St. Gallen durchführte, kam die geplante Minderbewertung körperlicher Arbeit sehr schlecht an.
Vor über 50 Interessierten fasste SEV-Vizepräsident Manuel Avallone am 14. Juni in Bern den Stand der Verhandlungen mit der SBB zum neuen Lohnsystem wie folgt zusammen:
Seit April fanden drei Verhandlungsrunden statt und bis November sind sieben weitere geplant, doch hat der SEV nun die Verhandlungen wegen SBB Cargo International sistiert – siehe Seiten 1 und 3. Falls sich die Verhandlungsgemeinschaft der Gewerkschaften unter Führung des SEV mit der SBB über das Lohnsystem einigen kann, wird anschliessend die Laufdauer des vierten GAV SBB/Cargo ausgehandelt. Dieser soll ab Mitte 2011 den seit 2007 geltenden GAV 3 ersetzen, dessen Laufdauer im gegenseitigen Einvernehmen um sechs Monate verlängert wurde. Die GAV-Verhandlungen beschränken sich auf das Lohnsystem, während die übrigen GAV-Teile im Prinzip unverändert übernommen werden sollen – abgesehen von Anpassungen, die beispielsweise aufgrund von Änderungen im Arbeitszeitgesetz (AZG) nötig sind. Das letzte Wort hat seitens SEV die GAV-Konferenz, die im September wieder tagen wird.
Neues Lohnsystem Toco wertet physische Beanspruchung ab
Für jede Funktion/Stelle werden die Anforderungen beschrieben und nach fünf Kriterien bewertet (siehe Kreis). Die fünf erzielten Werte werden nicht einfach zusammengezählt, sondern beeinflussen den Gesamtwert der Funktion unterschiedlich stark:
- Fachkompetenz: 28 %;
- Selbstkompetenz: 20 %;
- Sozialkompetenz: 20 %;
- Führungs- und Beratungskompetenz: 20 %;
- (Physische) Beanspruchungen und Arbeitsbedingungen: nur 12 %, weil physische Arbeit angeblich möglichst durch Maschinen gemacht werden soll.
Der Gesamtwert der Funktion entspricht einem der 15 Anforderungsniveaus und bestimmt die Höhe des Lohns.
Forderungen der SBB
Die SBB strebt beim Lohnsystem folgende Änderungen an:
- die bisherigen 29 Funktionsstufen werden durch 15 Anforderungsniveaus ersetzt;
- neues Bewertungssystem: für jede Funktion wird über die Anforderungen das Lohnniveau bestimmt (siehe Kasten); dabei fahren Funktionen mit körperlicher Arbeit und anforderungsreichen Arbeitsbedingungen (unregelmässige Arbeit, Nachtund Wochenenddienst, Draussensein bei jedem Wetter, Arbeit im Tunnel usw.) schlechter als bisher;
- je nach Branche soll es für das gleiche Anforderungsniveau verschiedene Lohnskalen geben, entsprechend dem Lohnniveau ausserhalb der SBB. Der SBB schwebten ursprünglich acht Branchen vor, doch will sie sich nun auf drei Branchen beschränken: Verkauf (im Bereich Reisen/Billette), Reinigung sowie Bahn (mit allen Funktionen ausserhalb von Verkauf und Reinigung);
- der Erfahrungsanstieg erfolgt nicht für alle Mitarbeitenden gleich und berechenbar, sondern je verschieden nach individueller Leistung, und er dauert länger als 12 Jahre wie bisher;
- Ausbau der Einmalprämien (statt nachhaltiger Lohnentwicklung!).
Forderungen des SEV
Manuel Avallone rief in Erinnerung, dass nicht nur die SBB, sondern auch der SEV das Lohnsystem verändern möchte. Die GAV-Konferenz hat u. a. folgende Forderungen verabschiedet:
- Wegfall der Lohnsummensteuerung;
- Anrechnung der Erfahrung nach System (wofür die Lohnsummenerhöhungen bisher nie vollständig gereicht haben);
- automatischer Ausgleich der Teuerung;
- Lohnmassnahmen sollen per 1. Januar in Kraft treten statt per 1. Mai.
Die SEV-Position zu den SBB-Forderungen fasste Avallone so zusammen: «Der SEV will keine Umverteilung der Lohnsumme von unten nach oben und keine Entwertung jetziger Tätigkeiten.» Genau dazu aber werde die geplante Abwertung körperlicher Arbeit führen. Auch sei dem SEV die Lohngerechtigkeit innerhalb des Unternehmens SBB sehr wichtig. «Nichts ärgert einen mehr, als wenn ein Kollege im gleichen Betrieb mehr verdient, ohne dass nachvollziehbar ist wieso», betonte Avallone.
Hinkende Vergleiche
Nicht nur deshalb lehne der SEV unterschiedliche Branchenlöhne innerhalb der SBB ab, sondern auch, weil die Vergleiche der SBB mit anderen Unternehmen hinkten: Dort arbeiteten zum Teil vor allem Frauen und Migranten, gebe es viel Fluktuation oder es werde nicht an 365 Tagen im Jahr oder rund um die Uhr gearbeitet wie in vielen SBB-Bereichen. «Auch sollte die SBB, die ja der öffentlichen Hand gehört, nicht die prekären Anstellungsbedingungen in den Tieflohnbranchen zementieren helfen», so der SEV-Vizepräsident weiter.
Unter dem Aspekt der Lohngerechtigkeit seien Besitzstände ebenfalls problematisch, vor allem wenn sie ganze Kategorien beträfen.
Die angeregte Diskussion zeigte klar, dass die Teilnehmenden diese SEV-Positionen teilten. Vor allem die Abwertung körperlicher Arbeit kritisierten mehrere Redner scharf, selbst Kollegen aus «Büroberufen». Es wurde aber auch gewarnt, dass es nicht einfach sein werde, alle Mitglieder zu motivieren, gemeinsam am gleichen Strick zu ziehen. «Dabei müsst ihr uns alle helfen!», sagte Manuel Avallone.
Markus Fischer