kongress 2011
SEV fordert Reallohnerhöhungen
Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV wird sich dieses Jahr nicht mehr mit Prämien zufrieden geben. Sie fordert Reallohnerhöhungen für die ganze Branche.
250 Delegierte aus allen Unterverbänden und Kommissionen des SEV haben heute in Bern an ihrem Kongress verkehrs- und sozialpolitische sowie gewerkschaftliche Themen behandelt. Einen Schwerpunkt legten sie auf die Lohnverhandlungen des kommenden Herbstes: «Wir haben genug von Einmalprämien – jetzt braucht es richtige Lohnerhöhungen», hielt SEV-Präsident Giorgio Tuti unter grossem Applaus fest. Die Krankenkassenprämien seien ja auch nicht einmalig, sondern würden immer weiter steigen, fügte er an. Der SEV plant eine Reallohnkampagne, die alle Bereiche des öffentlichen Verkehrs angeht.
Ein weiteres Hauptthema des Kongresses war die Verkehrspolitik auf Schweizer und europäischem Niveau. Als Gastreferent stellte BAV-Direktor Peter Füglistaler die Pläne des Bundesrats zur Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz vor. Der Druck auf die Bahnfinanzierung nimmt zu; Reisende und Güterkunden sollen vermehrt zur Kasse gebeten werden. Die Delegierten des SEV haben zwar Verständnis angesichts der fehlenden dauerhaften Finanzierung, sie machen sich aber Sorgen, dass der Bogen überspannt und damit die erfolgreiche Verlagerungspolitik gefährdet wird.
Noch grössere Sorgen allerdings macht die Entwicklung in Europa, wo mit dem Recast des ersten Bahnpakets weitere Liberalisierungsschritte eingeleitet, aber auch Gewerkschaftsrechte beschnitten werden sollen. In einer «Direktschaltung» nach Brüssel solidarisierten sich die Delegierten mit den Kolleginnen und Kollegen der Europäischen Transportarbeiter-Gewerkschaft ETF. Diese führten zeitgleich eine Kundgebung gegen den Recast durch, um der Liberalisierung und damit dem Abbau der Arbeitsbedingungen entgegenzutreten.
Als weiterer Gastredner wandte sich SGB-Präsident Paul Rechsteiner gegen «Egoismus und Privilegienwirtschaft». Er bezog sich auf den Verteilungsbericht, den der Schweizerische Gewerkschaftsbund vor kurzem vorgestellt hat: Während die unteren Einkommen nur minim anstiegen, legten die hohen und höchsten Einkommen massiv zu, was die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnete: «Praktisch der ganze Mehrwert, den wir alle in dieser Zeit zusätzlich erarbeitet haben, ist oben abkassiert worden.» Rechsteiner sprach sich für eine starke Schweiz aus, und er nannte zwei Symbole, die dafür stehen: AHV und SBB. Beides sei bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals verankert, und damit sei der SEV ein starkes Zeichen für eine zukunftsträchtige, soziale Schweiz.
Der SEV-Kongress stellte zudem die Weichen für die kommenden zwei Jahren. Er wählte die Zentralpräsidenten des Zugpersonals und des Verwaltungspersonals, Andreas Menet und Roland Schwager, als Präsident und Vizepräsident des Vorstands. Zudem legte er in mehreren Positionspapieren die weitere Marschrichtung fest, so bezüglich der Sozialpolitik, der Vertragspolitik und der weitern gewerkschaftlichen Entwicklung. In seiner Standpunktrede hatte SEV-Präsident Giorgio Tuti darauf hingewiesen, dass neben den Abwehrkämpfen gegen Liberalisierung und Sozialabbau auch eigene Erfolge erzielt werden konnten. Er betonte, dass der SEV wesentlich dazu beitrug, dass der Bund endlich seinen Beitrag an die Sanierung der Pensionskasse SBB leistet, und auch der Abschluss eines neuen Gesamtarbeitsvertrags mit der SBB gehört zu den Erfolgen, konnten doch Grundelemente wie der Kündigungsschutz für weitere vier Jahre gesichert werden.
Als Erfolg bezeichnete Tuti auch die Reorganisation, die der SEV vor zwei Jahren eingeleitet hatte. Schlankere, klarere Strukturen ermöglichen ein zukunftsgerichtetes Arbeiten, und die verstärkte Mitgliederwerbung führte zu einem deutlichen Verlangsamen des Mitgliederrückgangs. Damit dürfe man sich allerdings nicht zufrieden geben, betonte Tuti und rief die Delegierten auf, den Grundsatz «Mitglied wirbt Mitglied» noch verstärkt anzuwenden, um den SEV wieder wachsen zu lassen.
Tutis Bilanz führte jedoch zu einem klar positiven Fazit: «Der SEV muss offen sein und offen bleiben, der SEV muss auf Veränderungen reagieren können und bereit sein, die Zukunft – ohne Berührungsängste – aktiv anzugehen und zu gestalten. Wir sind daran: Das ist unser SEV, das ist der offene, starke, glaubwürdige, kämpferische SEV der Gegenwart, das ist der SEV der Zukunft.»