Frauen im SEV
3 Fragen an: Lucie Waser
In zwei Wochen ist der zweite landesweite Frauen*streik. Wieso ist er nötig?
Lucie Waser: Wir streiken am 14. Juni, weil in der Schweizer Gesellschaft Frauen nach wie vor grosse Diskriminierungen in verschiedenen Bereichen ausgesetzt sind. Es ist ein Skandal, dass der Verfassungsauftrag zur Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweiz seit Jahrzehnten partout nicht umgesetzt wird. Darum ist dieser politische Streik legitim! Es geht um breit gefächerte Themen von der ökonomischen Unabhängigkeit (Lohngleichheit, Altersvorsorge,…) über körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, Sicherheit im öffentlichen und virtuellen Raum bis hin zu Nachhaltigkeit in der Wirtschaft und Umweltthemen, damit unsere Kinder eine Zukunft haben.
Die konkreten Forderungen haben wir an einer nationalen Tagung am 10. März in einem 17 Themen umfassenden Forderungskatalog diskutiert und verabschiedet. Die Bewegung Frauen*streik 2019 ist sehr breit abgestützt. Wir Gewerkschaften sind nur ein Teil der Organisation.
Das Wichtigste an der Bewegung ist für mich, dass eine breite Bevölkerungsschicht mobilisiert und politisiert wird. Auf einmal überlegen sich Frauen (und auch solidarische Männer), was ihnen wichtig ist im Leben und welche Meinung sie vertreten wollen. Denn eine faire und soziale Zukunft braucht die Einbindung der Frauen in Entscheidungsprozesse, sei es im privaten oder im politischen Leben. Ich sehe den Frauen*streik als Impuls für ein breites Engagement von vielen Teilen der Bevölkerung.
Ein Engagement, das sich heute in der Schweiz (und auch weltweit) dezidiert gegen Hass durch Fundamentalisten und Rechtsextremisten richtet.
Was erhoffst du dir vom Streik für die Zukunft der Frauen?
Ich wünsche mir, dass auch der zweite landesweite Frauen*streik abermals markant zu Verbesserungen in der Gleichstellung von Frau und Mann beiträgt, sowohl auf sozialer Ebene als auch ökonomisch und institutionell. Frauen müssen endlich den gleichen Wert haben wie Männer denn nur damit erhält die Arbeit der Frauen den gleichen Stellenwert. Im 21. Jahrhundert erscheint es mir sehr zentral, dass wir Geschlechterrollenstereotypen hinterfragen und überwinden, damit Identitäten neu definiert und vielfältigere Lebenskonzepte gelebt und akzeptiert werden können. Die bezahlte Arbeit muss vor allem bei Frauenberufen eine Aufwertung erfahren. Unbezahlte Care-Arbeit muss eine bessere Anerkennung bekommen und zu gleichen Teilen auf die Geschlechter verteilt werden mit dem Ziel, dass auch Frauen sich vermehrt ehrenamtlich (z.B. gewerkschaftlich) engagieren können. Meine Vision: Alle beteiligen sich auf allen Ebenen!
Wo siehst du die Gleichstellung in zehn Jahren?
Erfahrungsgemäss dauert es in der Schweiz länger als zehn Jahre, um Frauenrechte und Gleichstellungsthemen voranzubringen. Meine Hoffnung ist aber, dass durch die allgemeine Beschleunigung in der Gesellschaft auch der Fortschritt in der Gleichstellung schneller vorangeht. Denn wir brauchen dringend konkrete Lösungen, um die Armut und die Altersarmut hier in der Schweiz zu bekämpfen.
Die Armut betrifft zu einem beachtlichen Teil Frauen und Kinder. Ausserdem ist der flächendeckende Mindestlohn von 4000 Franken nötig, ich kann mir sogar ein Grundeinkommen vorstellen, um prekäre Arbeitssituationen zu entschärfen, worunter ebenfalls oft Frauen leiden. Das ist die beste Gewaltprävention!
Mit einem gesellschaftlichen Strukturwandel muss Arbeit und Freizeit neu definiert werden: Eine 48- bis 60-Stunden Woche ist alles andere als sozial und familienfreundlich. Zudem braucht es flächendeckende Tagesschulen mit qualitativ hochstehender Betreuung, um allen Frauen und Männern eine Lohnarbeit zu ermöglichen und den Kindern eine echte Chancengleichheit zu garantieren. Insbesondere für Angestellte im Schichtbetrieb braucht es eine optimale Organisation, um ihr Arbeits- und Privatleben so zu organisieren, dass es für alle Beteiligten passt.
Dieser Wertewandel hin zur gleichberechtigten Gesellschaft, die allen Geschlechtern mit Wertschätzung begegnet, wird nicht ohne Macht- und Prestigeverlust in gewissen Bereichen möglich sein. Das wird bestimmt auch schmerzhaft werden. Aber nur so kann für das grosse Ganze eine Verbesserung erreicht werden. Dieser Bewusstseinswandel beginnt bei dir, bei jedem Einzelnen, indem du dich fragst: «Was tut mir gut und was tut dir gut und wie schaffen wir es zusammen, dass es allen gut geht?» Dies wird einige Jahre dauern, da jede lange Reise mit dem ersten, bewussten Schritt beginnt.
Fragen: Enable JavaScript to view protected content.">Chantal Fischer