Güterverkehr durch die Schweizer Alpen
Verlagerung wieder auf Kurs bringen
«Die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene ist in den letzten zwei Jahren ins Stocken geraten», schreibt der Bundesrat in seinem neusten Verlagerungsbericht (für Juli 2023 bis Juni 2025). Darum will er rasch Ausweichstrecken zur Rheintalbahn ausbauen, den kombinierten Verkehr finanziell fördern und die LSVA auf E-Lastwagen ausdehnen. Um die Verlagerung wieder auf Kurs zu bringen sind aber zusätzliche Massnahmen nötig, wie sie Pro Alps fordert.

Im alpenquerenden Güterverkehr ist der Bahnanteil zwischen 2022 und 2024 um 2,6 % auf 70,3 % zurückgegangen, und für 2025 zeichnet sich ein weiterer Rückgang des Bahnanteils ab, heisst es in der bundesrätlichen Medienmitteilung zum Verlagerungsbericht.
Gegenüber 2021 ist der Bahnanteil sogar um 4 % gesunken, ergänzt die Alpenschutzorganisation Pro Alps (ehemals Alpen-Initiative). Und die Zahl der alpenquerenden Lastwagenfahrten ist zwischen 2021 und 2024 um 100 000 auf 960 000 Fahrten gestiegen – 310 000 mehr als das gesetzliche Verlagerungsziel von maximal 650 000 Fahrten. Zudem wird in wenigen Wochen die Rollende Landstrasse (Rola) vorzeitig eingestellt, die bisher jährlich 70 000 Lastwagen durch die Alpen brachte. Davon wird künftig ein grosser Teil die Alpenstrassen belasten, und somit dürften die alpenquerenden Lastwagenfahrten spätestens 2026 die Millionengrenze wieder überschreiten. «Die Verlagerungspolitik ist in der Krise, das zeigen die aktuellen Zahlen unmissverständlich», hält Simon Burgunder, Koordinator Politik im SEV fest. «Es braucht jetzt ein klares Bekenntnis der Politik zur Verlagerung.»
Massnahmen des Bundesrats
Als Hauptgrund für die Rückverlagerung von der Bahn auf die Strasse nennt der Bundesrat die zu langsame Modernisierung der nördlichen Zulaufstrecken zur Neat. «Und dort, wo die Strecken modernisiert werden, beeinträchtigen die zahlreichen Baustellen und fehlende Kapazitäten auf den Ausweichstrecken die Qualität und Produktivität des Schienengüterverkehrs», präzisiert die bundesrätliche Medienmitteilung. «Der Bund setzt sich deshalb für eine rasche Modernisierung der Bahninfrastruktur in den Nachbarländern ein.»
Grösster Engpass für den alpenquerenden Schienengüterverkehr zwischen den Nordseehäfen und Italien ist die deutsche Rheintalbahn, die zwischen Karlsruhe und Basel erst Anfang der 40er-Jahre auf vier Spuren ausgebaut sein wird. Darum hat sich der Bund dafür eingesetzt, dass die Bahnlinie Stuttgart–Singen und ihre schweizerische Verlängerung Schaffhausen–Oerlikon–Othmarsingen (vorbei am stark belasteten Knoten Zürich) bis 2028 zur Ausweichroute für den Güterverkehr ausgebaut wird.
Auch die Bahnlinie links des Rheins in Frankreich soll rasch ausgebaut werden, das heisst, vor allem grössere Tunnelprofile erhalten. Dazu hat die Schweiz mit Frankreich eine Absichtserklärung unterzeichnet, wobei der Zeitplan noch nicht klar ist.
Weiter will der Bundesrat zwar zusätzliche finanzielle Anreize für den unbegleiteten kombinierten Verkehr (UKV = Transport von Sattelaufliegern, Containern und Wechselbehältern per Bahn) einführen mit dem Ziel, einen möglichst grossen Teil der Rola in den UKV zu überführen. «Aber wie diese Anreize konkret ausgestaltet sein sollen, bleibt unklar», bemängelt Simon Burgunder. «Soll tatsächlich ein Teil der bisherigen Rola-Verkehre überführt werden, braucht es rasch Massnahmen.»
Umso entscheidender ist es, dass der Bundesrat die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) «weiterentwickelt», um die Bahn gegenüber der Strasse wettbewerbsfähiger zu machen. Konkret will er auch die elektrisch angetriebenen Lastwagen ab 2029 der LSVA unterstellen. Darüber soll der Nationalrat in der laufenden Wintersession beraten.
Weitere Massnahmen nötig
Trotz der bundesrätlichen Massnahmen dürften die Lastwagenfahrten durch die Alpen aber weiter steigen. Um dem Verlagerungsziel wieder näherzukommen, sind zusätzliche Massnahmen nötig. Der SEV unterstützt die Forderungen von Pro Alps:
- Neben einer raschen Unterstellung der E-Lastwagen unter die LSVA sollen bei dieser auch die mit der EU vereinbarten Maximalsätze vollständig ausgeschöpft und automatisch an die Teuerung angepasst werden;
- die Gelder, die bisher in die Rola geflossen sind, müssen weiterhin vollständig in die alpenquerende Verlagerung fliessen, um eine Rückverlagerung der Rola-Lastwagen auf die Strasse zu verhindern, beispielsweise als Senkung der Trassenpreise;
- Güterbahnen sind bei Sperrungen und Ausfällen fair zu entschädigen;
- Gefahrguttransporte sind auf Alpenstrassen zu verbieten, insbesondere über den Simplon, wo der Bahntunnel als sicherere Alternative sofort nutzbar ist;
- auch im Import-, Export- und Binnenverkehr ist die Verlagerung zu stärken, weil ein Grossteil der alpenquerenden Lastwagenfahrten mittlerweile dort entstehen.
Parlament gefordert
«Die von Pro Alps geforderten Massnahmen sind nötig, um die Verlagerung wieder auf Kurs zu bringen», sagt Simon Burgunder. «Besonders wichtig ist, die LSVA nicht nur für E-Lastwagen einzuführen, sondern auch rasch auf die Maximalsätze zu erhöhen, die das Landverkehrsabkommen zulässt. Die nationalrätliche Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen verlangt in einer Motion, dies schon per 1. Januar 2027 zu tun. Nur wenn der strukturelle Kostennachteil der Schiene endlich verringert wird, ist ein Turnaround bei der Verlagerung möglich.»
Mit Blick auf die Kürzungen beim Bahninfrastrukturfonds, die der Bundesrat dem Parlament beantragt hat, ergänzt Simon Burgunder: «Die Situation auf den deutschen Zulaufstrecken verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig eine gute und leistungsfähige Infrastruktur für einen zuverlässigen und effizienten Bahnbetrieb ist. Beim Substanzerhalt darf also unter keinen Umständen gekürzt werden. Kürzungen beim BIF sind darum kurzsichtig und können sich schnell verheerend auswirken.»
Markus Fischer
Bahnanteil am Güterverkehr insgesamt gesunken
2024 betrugen die Transportleistungen auf Strasse und Schiene in der Schweiz insgesamt (nicht nur im Alpentransit) 26,1 Milliarden Tonnenkilometer – praktisch gleich viel wie im Vorjahr (-0,1 %), wie das Bundesamt für Statistik (BfS) im November mitteilte. Jedoch nahm der Strassengüterverkehr gegenüber 2023 um 1,4 % auf 16,5 Milliarden Tkm zu, während der Schienengüterverkehr um 2,6 % auf 9,6 Milliarden Tkm zurückging. Dieser hat damit den tiefsten Stand seit 15 Jahren erreicht, 2009 war er letztmals tiefer gelegen. Aufgrund dieser gegenläufigen Entwicklungen stieg der Anteil der Strasse an den Transportleistungen um einen Prozentpunkt auf 63 % an, während der Bahnanteil auf 37 % sank.

Ein wichtiger Grund für den Rückgang des Schienengüterverkehrs waren gemäss BfS mehrere Baustellen auf wichtigen Strecken. Zudem führten Unwetter in der Schweiz im Sommer 2024 zu Produktionsausfällen der Industrie und zu reduzierten Exportmengen bei schienenaffinen Gütern. Der Export per Schiene war 2024 so tief wie nie seit 2008.

Kommentar von Philipp Hadorn: SBB Cargo muss wachsen, nicht schrumpfen
Während die Verlagerungsziele weiter verfehlt werden, verpasst die SBB ihrer eigenen Güterverkehrstochter SBB Cargo eine der grössten Schrumpfkuren ihrer Geschichte. Mit G-enesis sollen Leistungen vereinfacht und abgebaut, Kosten auf die Kunden überwälzt und in einer kurzsichtigen KMU-Logik auch das Personal ausgedünnt werden.
In bisher fünf Leitfaden-Verfahren nahm der SEV Stellung zu konkreten Reorganisationsvorhaben. Bereits über 800 Mitarbeitende sind direkt davon betroffen. Weitere Verfahren folgen. Ungeachtet der Eingaben und Warnungen des SEV nimmt der G-enesis-Zug Fahrt auf. Der GAV bietet grundsätzlich einen passenden Schutzrahmen für solche Prozesse. Zwar gelobt SBB Cargo, den GAV einzuhalten, und reagiert bei Hinweisen auf fehlerhafte Umsetzung einsichtig und korrigiert. Trotzdem: Es werden Stellen aufgehoben, verschiedene Kapazitäten langfristig reduziert und weiterer Verlust von Kunden bewusst in Kauf genommen.
Natürlich sind SBB und SBB Cargo nicht allein verantwortlich für diese Fehlentwicklung. Der ungleiche Wettbewerb mit der Strasse verbunden mit dem politisch verordneten Ziel der Eigenwirtschaftlichkeit führt zum Dilemma. Zwar fliessen neu Millionen für Beiträge und Investitionen in den Schienengüterverkehr. Doch zugleich wird SBB Cargo einmal mehr tiefgreifend reorganisiert und abgebaut, obwohl alle bisherigen Reorganisationen nie (!) die in Aussicht gestellten Ziele erreicht haben – weder punkto Volumen noch Wirtschaftlichkeit.
Am 26. November proklamierte der Bundesrat in seiner Antwort auf die Motion 25.4147 «Sicherung des Leistungsniveaus bei SBB Cargo (…)», dass der Schienengüterverkehr kein Service public sei, und er verweist auf eingegangene Offerten für die Leistungsvereinbarung 2026–2029 für den Einzelwagenladungsverkehr sowie diskriminierungsfreie Freiverlade für Mitbewerbende. Effektiv ist aber nur eine einzige Offerte eingegangen: die von SBB Cargo.
Angesichts des Verlagerungsnotstands braucht es keine Glaubensbekenntnisse zu Wettbewerbsillusionen, sondern politische Beschlüsse zur Lenkung des Güterverkehrs und gute Angebote von SBB Cargo statt Abbau!
Philipp Hadorn ist Gewerkschaftssekretär SEV und leitet unter anderem das SEV-Team Cargo