Auf den Spuren von ...
Florian Martenot, Busfahrer in Genf
Drei Dinge stechen bei Florian heraus: die grosse Ruhe, das starke Engagement und eine ganz und gar nicht typische Berufslaufbahn. Seit Kurzem präsidiert der 36-jährige Genfer Busfahrer die Sektion SEV-TPG.

Das politische und gewerkschaftliche Engagement wurde Florian Martenot sozusagen in die Wiege gelegt. Seine Mutter war Lehrerin und ist immer noch feministisch aktiv im VPOD. Der Vater, ausgebildeter Ingenieur, arbeitete bei der Arbeitslosenkasse und als Sekretär bei der branchenübergreifenden Genfer Gewerkschaft SIT. Seine ältere Schwester Aude arbeitet bei einer NGO. Florian ist in Genf aufgewachsen, wo er auch alle Schulen besucht hat. «Eher per Zufall» hat er an der Universität Geologie studiert.
Er spezialisiert sich in Geochemie und schliesst 2014 mit dem Master ab. Er strebt das Doktorat an und wird Assistent an der Uni. Zu dieser Zeit tritt er dem VPOD bei und beteiligt sich an den grossen Streiks der öffentlichen Dienste 2015. Er unterstützt im November 2014 auch den Streik bei den Genfer Verkehrsbetrieben (TPG). Auch wenn er die Arbeit im Labor schätzt, wo er Mineralien analysiert, begeistert ihn die Aussicht auf eine Berufstätigkeit im Bergbau oder der Ölförderung nicht. Schliesslich führen unterschiedliche Vorstellungen über die Arbeitsbedingungen dazu, dass sein Vertrag nicht verlängert wird.
Von den Mineralien zum Bus
Da er im Militär den Lastwagenausweis gemacht hatte, bewirbt er sich auf ein Stellenangebot der TPG. «Weshalb nicht, habe ich mir gesagt!» Nach mehreren Tests und einem Einstellungsgespräch folgen drei Monate Ausbildung für den Busausweis. Am 1. Dezember 2016 beginnt er als Busfahrer bei den TPG. «Ich finde den Beruf nicht belastend. Er ist für mich keine grosse Leidenschaft, aber auch nicht unangenehm. Die Dienstpläne können ein Problem sein. Aber ich habe Abend- und Spätschichten bekommen, womit ich den Morgen geniessen kann! Da ich keine familiären Verpflichtungen habe, passt es für mich perfekt.»
Für Florian war es selbstverständlich, Gewerkschaftsmitglied zu werden. Einen Monat nach der Anstellung gab es für alle Neuen eine Präsentation der Gewerkschaften. Die stärkste Gewerkschaft, die auch am kämpferischsten wirkt, überzeugt ihn. Es ist der SEV! « Kurz nach Abschluss der Ausbildung bin ich 2017 beigetreten.» Dann ging es sehr schnell. Einige Monate später gab es eine Generalversammlung. Florian konnte nicht teilnehmen, aber Jérôme Fay, ein Vorstandsmitglied, lud ihn zu einer Sitzung der Delegierten des Betriebsbereichs ein. Danach wurde er bald selbst Delegierter. Er beteiligte sich an den Sprechstunden vor Ort, um andere Fahrerinnen und Fahrer kennenzulernen, und kam in verschiedene Kommissionen. «Da ich politisch sehr links bin und bei ‹solidaritéS› mitmache, waren einige mir gegenüber etwas misstrauisch. Ich musste mich beweisen! Für mich geht es beim gewerkschaftlichen Engagement um die Verteidigung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Bei der politischen Tätigkeit geht es um die Themen als Bürger.»
Der Streik als starker Moment
Nach dem Abgang von zwei Kollegen kommt Florian 2020 in den Sektionsvorstand und übernimmt ein Jahr später das Vizepräsidium, in einer Zeit, als die Wut über die Arbeitsbedingungen am Kochen ist. Die stockenden Verhandlungen führen im Oktober 2022 zu einem zweitägigen Streik. «Ich war in En Chardon mit vielen Streikposten. Wir hatten sehr gute Diskussionen mit den Kollegen. Am Schluss haben wir gewonnen und bewiesen, dass wir mobilisieren können. Das wirkt auch heute noch für uns in den Verhandlungen. Danach kamen Kollegen zu mir, gaben mir die Hand und bedankten sich. Diese Wertschätzung hat mich sehr berührt!», gesteht Florian. Ende 2024, als der legendäre Sektionspräsident Vincent Leggiero nicht mehr zur Wiederwahl antritt, wird Florian Präsident und verstärkt damit seinen gewerkschaftlichen Einsatz weiter.
In der Freizeit interessiert sich Florian Martenot für Filme und Bücher, macht Ausfahrten mit dem Velo und kocht mit Begeisterung. Vor einem Jahr hat ihn die Stadt Genf in den Verwaltungsrat der industriellen Betriebe Genf (SIG) gewählt. «Das gibt mir die Möglichkeit, von innen zu sehen, wie gross der Handlungsspielraum des Verwaltungsrats ist – oder eben nicht – bei einem öffentlichen Betrieb, wie auch die TPG einer sind», schmunzelt er.
Yves Sancey