Delegiertenversammlung SGB: Ja zur Öffnung, Nein zum Sozialabbau
Das Rahmenabkommen mit der EU und der wachsende Kaufkraftverlust waren die Hauptthemen an der 305. Delegiertenversammlung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes am 2. Juni 2023. Mit starken Voten machte auch der SEV auf seine Anliegen aufmerksam.
«Wir sind nicht die Abschotter, als die uns die Medien gerne darstellen. Wir sind für eine Öffnung gegenüber der EU, aber diese darf nicht auf Kosten der Menschen gehen. Eine Öffnung muss sozial abgefedert sein», erklärt SGB-Chefökonom Daniel Lampart bei der Eröffnung der Delegiertenversammlung. Er stellt klar, dass die Gewerkschaften bei den Verhandlungen der Schweiz mit der EU über ein Rahmenabkommen nicht einknicken werden. Im Unterschied zu den Arbeitgeberverbänden, die bereit sind, den Lohnschutz zu opfern: «Der SGB hat sich in Gesprächen mit Bundesrat, Arbeitgebern und Verwaltung dafür eingesetzt, dass die Probleme beim Lohnschutz gelöst werden. Nach monatelangen Gesprächen stellt sich heraus: Bis heute liegt nichts Verbindliches auf dem Tisch, ausser Verschlechterungen. Arbeitgeber und EU-Kommission bieten keine Hand für Lösungen, welche die Löhne der Arbeitnehmenden sichern.»
Verschiedene Rednerinnen und Redner betonen, wie gefährlich es ist, der EU-Kommission und den Arbeitgeberverbänden nachzugeben. Sie erzählen von Beispielen, wie die Unternehmen aus der EU mit ihren Mitarbeitenden in der Schweiz umgehen. So werden den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus der EU immer häufiger keine Schweizer Spesenansätze ausbezahlt, wenn sie in der Schweiz Arbeiten ausführen müssen. Das kann bei den Betroffenen zu einer Lohneinbusse von bis zu 1000 Franken führen, wenn sie zum Beispiel teure Übernachtungen in der Schweiz selber berappen müssen.
Service public in Gefahr
Auch beim Service public dürfen keine Abstriche gemacht werden, betonen diverse Rednerinnen und Redner, worunter auch zwei Redner des SEV. Peter Käppler, Vizepräsident des SEV-Vorstands sagt: «Europa ist wichtig für den öffentlichen Verkehr. Unsere Züge fahren auch in die EU. Deshalb sind Verhandlungen mit der EU wichtig. Aber der öV funktioniert nicht mehr, wenn wir die europäische neoliberale Politik übernehmen müssen. Wird der öV zunehmend privatisiert, führt das zu einer Verschlechterung des Angebots. Ein Blick nach Deutschland beweist, welche Verhältnisse drohen.» SEV-Präsident Matthias Hartwich doppelt nach: «Wenn staatliche Beihilfen generell verboten werden, wie das die EU-Kommission will, dann droht eine massive Verlagerung des Güterverkehrs von der Schiene auf die Strasse. Dann können wir auch die Einhaltung der Klimaziele in der Schweiz vergessen. Wer etwas anderes sagt, der lügt. Die Glaubenskrieger, die an die Allmacht des Marktes glauben, liegen falsch. Nur ein funktionierender und starker Service public sorgt dafür, dass der öV auch in Zukunft funktioniert.»
Ohne Gegenstimme nehmen die Delegierten eine Resolution an, die vom Bundesrat verlangt, bei Verhandlungen mit der EU konsequent die Rechte der Arbeitnehmenden zu schützen. Die Haltung des SGB wird auch von den europäischen Gewerkschaften unterstützt.
Kaufkraftverlust stoppen
Eine zweite Resolution verabschieden die Delegierten zur Kaufkraft. Der SGB ruft dazu auf, am 16. September 2023 auf die Strasse zu gehen, um für den Erhalt der Kaufkraft und bessere Renten zu demonstrieren. Mieten, Krankenkassenprämien, Preise und Gebühren steigen, Renten und Löhne hingegen stagnieren vielerorts. Es herrscht ein Kaufkraftschock, betont SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard in seiner Rede vor den Delegierten. «Die kleinen und mittleren Einkommen verlieren laufend an Kaufkraft … Es gibt keine Ausrede, am 16. September nicht demonstrieren zu gehen», sagt VTP-Zentralpräsident Gilbert D’Alessandro und fügt an: «Und ausgerechnet in dieser Situation will Bundesrätin Keller-Sutter das Budget für den regionalen Personenverkehr um 7,8 % kürzen. Für den Kanton Wallis – zum Beispiel – wären es zwischen 4 und 6 Mio. Franken weniger.» Die Leidtragenden dieser Sparpolitik wären sicherlich einmal mehr die Arbeitnehmenden der betroffenen Betriebe. Aber nicht nur die Reallöhne sinken im Durchschnitt, sondern auch die Renten. Die 13. AHV-Rente wird deshalb umso wichtiger, damit der Kaufkraftverlust auch bei den Rentnerinnen und Rentnern wettgemacht werden kann.
HelvetiCA im SGB
Zum Schluss genehmigen die Delegierten die Aufnahme des Schweizerischen Verbands der Flugverkehrsleiter:innen (HelvetiCA, Swiss Controllers Association) in den SGB. Die rund 600 Mitglieder von HelvetiCA sind für Sicherheit und Ordnung am Schweizer Himmel verantwortlich und arbeiten grossmehrheitlich in den Regionen Genf und Zürich. Der SGB als grösster Gewerkschaftsdachverband wächst damit auf 18 Mitgliedsgewerkschaften. Ebenfalls verabschieden die Delegierten eine Resolution der SGB-Jugendkommission, die den Schutz von Lernenden sowie Praktikantinnen und Praktikanten vor sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz fordert. Zudem genehmigen sie die Rechnung 2022 und das Budget 2023.
Michael Spahr