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Verwaltungsrat SBB: Daniel Trolliet zieht Bilanz

Auch wenn die beiden Personalvertreter im SBB-Verwaltungsrat dessen Beschlüsse nicht immer wunschgemäss beeinflussen können, bringen sie doch die Anliegen des Personals ein und wecken bei den sieben anderen Mitgliedern Verständnis dafür, sagt Daniel Trolliet nach zwölf Jahren im VR. Nun löst ihn SEV-Gewerkschaftssekretärin Edith Graf-Litscher ab.

Was waren die grossen strategischen Herausforderungen während deiner Tätigkeit im VR und welche sind es in Zukunft?

Daniel Trolliet : Dazu gehörten die grossen Rollmaterialbestellungen. Bei Cargo hat man 20 Jahre lang alles versucht, um den Einzelwagenladungsverkehr rentabel zu machen, ohne Erfolg. Jetzt muss die Politik entscheiden, ob sie Subventionen gewähren oder diesen Verkehr trotz Klimawandel auf die Strasse verlagern will. Eine Herausforderung war und ist der Fachkräftemangel und der Verlust von Knowhow durch die Pensionierungswelle der Babyboomer. Ebenso die Instandhaltung und der Ausbau des Bahnnetzes mit der steigenden Zahl an Zügen. In einer Schweiz mit 10 Millionen Einwohnern könnte das Korsett etwas eng werden, wie man bei der Linie Lausanne-Genf und dem «Loch von Tolochenaz» gesehen hat. Sehr herausfordernd bleibt die Finanzierung der SBB mit der Verschuldung, die während der Pandemie gestiegen ist. Die SBB ist auf die öffentliche Hand angewiesen. Wenn es den Bundes- und Kantonsfinanzen schlecht geht, hat dies automatisch Auswirkungen auf die SBB. Von steigender Bedeutung ist die Cybersicherheit.

Wie beurteilst du das Risiko, die Kontrolle über den Fahrkartenverkauf an grosse internationale Akteure zu verlieren?

Wir könnten weitere Verkäufer akzeptieren, müssen aber die Wahl der Tarife und Angebote behalten. Die SBB will der Hauptakteur der Mobilität in der Schweiz bleiben und nicht nur die Züge entwickeln, sondern alles, was für die Reise von Tür zu Tür notwendig ist: kundenfreundliche Bahnhöfe, Parkplätze, Mietautos und -fahrräder etc. Das Wichtigste ist, die integrierte Bahn zu verteidigen. Die Konzession für den Fernverkehr ist ebenfalls wichtig. Die Öffnung einiger profitabler grenzüberschreitender Verbindungen für den Dumpingwettbewerb wäre sehr schädlich für das Schweizer Bahnsystem.

Inwieweit kann der VR in das operative Geschäft eingreifen?

Der VR mischt sich nicht ins operative Geschäft ein, dieses ist Sache der Geschäftsleitung. Bei Lohnverhandlungen beantragt die GL beim VR einen Rahmen für die Lohnsummenerhöhung und muss ihm das Verhandlungsergebnis vorlegen. Bei GAV-Verhandlungen legt der VR die Eckwerte fest. Die Pensionskasse SBB ist autonom, doch bei Sanierungen entscheidet der VR, welchen Betrag das Unternehmen dafür bereitstellt.

Können die Personalvertreter im VR auf die SBB Einfluss nehmen?

Kolleginnen und Kollegen baten mich oft um Hilfe. In Fällen, die ich für wichtig hielt, sprach ich bilateral mit Personalchef Markus Jordi darüber, auch wenn dies nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fiel. Fälle, die wirklich den Gang des Unternehmens betrafen, brachte ich dem VR zur Kenntnis, so etwa die Mängel des Informatiksystems Sopre. Ich würde sagen, dass die SBB-Führung im Grossen und Ganzen die Bedeutung und das Engagement des Personals anerkennt. Wenn sie Reorganisationen vorschlägt, sucht sie nach guten Lösungen, indem sie die Sozialpartner einbezieht. Bei Entscheidungen über Finanzen oder Reorganisationen haben mein Kollege Fabio Pedrina und ich jedes Mal unsere Position oder Rückmeldungen des Personals eingebracht. Unsere Meinungen wurden oft berücksichtigt, auch wenn dies angesichts der Lage des Unternehmens nicht immer möglich war. Zum Beispiel hat der VR bei den letzten Lohnverhandlungen trotz finanzieller Schwierigkeiten einem teilweisen Teuerungsausgleich zugestimmt. Übrigens ist es in den Unternehmen, die dem Bund gehören, politischer Wille, dass das Personal vertreten ist. Wenn die Berufsleute und die Gewerkschaften nicht mehr im VR vertreten wären, würden dieser Dialog und unsere Erklärungen, die manchmal zu einem besseren Verständnis personalrelevanter Dinge führen, wegfallen. Die Konfrontation würde zweifellos zunehmen.

Welche Ratschläge gibst du der SBB?

Pflegt weiterhin das Personal, treibt die Rekrutierung von weiblichem Personal weiter voran und sorgt dafür, dass alle Kader ihre Verantwortung wahrnehmen – sei es, um die von der Hierarchie beschlossenen Projekte umzusetzen oder um berechtigte Beschwerden des Personals nach oben zu bringen.

Und dem SEV?

Der SEV muss unbedingt alle Schichten des Personals werben, besonders Jüngere, um den Organisationsgrad hoch zu halten. Ich bedaure, dass sich in unserer Gesellschaft die Menschen generell weniger in Gewerkschaften, Parteien, Vereinen oder anderen solidarischen Strukturen engagieren. Ich bin aber zuversichtlich, dass die heutigen Jugendlichen in anderer Form Veränderungen in Richtung einer besseren Welt herbeiführen werden.

Markus Fischer
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